Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Drittes Capitel.
Differenz, die nicht allein die Anwendung, sondern auch
die Auffassung der Schrift eben in Bezug auf diese wich-
tigste aller geistlichen Handlungen betraf.

Es ist bekannt, wie mannichfaltig dies Mysterium auch
in frühern Zeiten aufgefaßt worden ist, namentlich vom
neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der
Transsubstantiation die Alleinherrschaft errang. Kein Wun-
der, wenn nun, nachdem diese erschüttert worden, auch
neue Verschiedenheiten der Auffassung erschienen.

Damals waren sie mehr speculativer, jetzt, der veränder-
ten Richtung der Gelehrsamkeit gemäß, mehr exegetischer Art.

Bald nachdem Luther das Wunder der Transsubstan-
tiation verworfen, regte sich in mehrern Köpfen zugleich die
Idee, ob nicht überhaupt auch abgesehen davon sich den
Einsetzungsworten eine andre Deutung geben lasse.

Luther selbst bekennt, eine Anwandlung nach dieser
Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern
und innern Kämpfen seine allezeit siegreiche Waffe der Grund-
text gewesen war, dessen wörtlicher Verstand, so gab er seine
Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb
dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie
weiter bestimmen zu wollen.

Nicht Alle aber waren so zurückhaltend, dem Wort-
verstande so unterwürfig wie Luther.

Zuerst wagte sich Carlstadt, als er im Jahr 1524 aus
Sachsen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor,
die nun freilich exegetisch unhaltbar, ja abenteuerlich aus-
fiel, die er auch zuletzt selber wieder aufgegeben hat, bei
deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Differenz, die nicht allein die Anwendung, ſondern auch
die Auffaſſung der Schrift eben in Bezug auf dieſe wich-
tigſte aller geiſtlichen Handlungen betraf.

Es iſt bekannt, wie mannichfaltig dies Myſterium auch
in frühern Zeiten aufgefaßt worden iſt, namentlich vom
neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der
Transſubſtantiation die Alleinherrſchaft errang. Kein Wun-
der, wenn nun, nachdem dieſe erſchüttert worden, auch
neue Verſchiedenheiten der Auffaſſung erſchienen.

Damals waren ſie mehr ſpeculativer, jetzt, der veränder-
ten Richtung der Gelehrſamkeit gemäß, mehr exegetiſcher Art.

Bald nachdem Luther das Wunder der Transſubſtan-
tiation verworfen, regte ſich in mehrern Köpfen zugleich die
Idee, ob nicht überhaupt auch abgeſehen davon ſich den
Einſetzungsworten eine andre Deutung geben laſſe.

Luther ſelbſt bekennt, eine Anwandlung nach dieſer
Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern
und innern Kämpfen ſeine allezeit ſiegreiche Waffe der Grund-
text geweſen war, deſſen wörtlicher Verſtand, ſo gab er ſeine
Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb
dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie
weiter beſtimmen zu wollen.

Nicht Alle aber waren ſo zurückhaltend, dem Wort-
verſtande ſo unterwürfig wie Luther.

Zuerſt wagte ſich Carlſtadt, als er im Jahr 1524 aus
Sachſen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor,
die nun freilich exegetiſch unhaltbar, ja abenteuerlich aus-
fiel, die er auch zuletzt ſelber wieder aufgegeben hat, bei
deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Differenz, die nicht allein die Anwendung, &#x017F;ondern auch<lb/>
die Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Schrift eben in Bezug auf die&#x017F;e wich-<lb/>
tig&#x017F;te aller gei&#x017F;tlichen Handlungen betraf.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t bekannt, wie mannichfaltig dies My&#x017F;terium auch<lb/>
in frühern Zeiten aufgefaßt worden i&#x017F;t, namentlich vom<lb/>
neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der<lb/>
Trans&#x017F;ub&#x017F;tantiation die Alleinherr&#x017F;chaft errang. Kein Wun-<lb/>
der, wenn nun, nachdem die&#x017F;e er&#x017F;chüttert worden, auch<lb/>
neue Ver&#x017F;chiedenheiten der Auffa&#x017F;&#x017F;ung er&#x017F;chienen.</p><lb/>
            <p>Damals waren &#x017F;ie mehr &#x017F;peculativer, jetzt, der veränder-<lb/>
ten Richtung der Gelehr&#x017F;amkeit gemäß, mehr exegeti&#x017F;cher Art.</p><lb/>
            <p>Bald nachdem Luther das Wunder der Trans&#x017F;ub&#x017F;tan-<lb/>
tiation verworfen, regte &#x017F;ich in mehrern Köpfen zugleich die<lb/>
Idee, ob nicht überhaupt auch abge&#x017F;ehen davon &#x017F;ich den<lb/>
Ein&#x017F;etzungsworten eine andre Deutung geben la&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Luther &#x017F;elb&#x017F;t bekennt, eine Anwandlung nach die&#x017F;er<lb/>
Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern<lb/>
und innern Kämpfen &#x017F;eine allezeit &#x017F;iegreiche Waffe der Grund-<lb/>
text gewe&#x017F;en war, de&#x017F;&#x017F;en wörtlicher Ver&#x017F;tand, &#x017F;o gab er &#x017F;eine<lb/>
Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb<lb/>
dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie<lb/>
weiter be&#x017F;timmen zu wollen.</p><lb/>
            <p>Nicht Alle aber waren &#x017F;o zurückhaltend, dem Wort-<lb/>
ver&#x017F;tande &#x017F;o unterwürfig wie Luther.</p><lb/>
            <p>Zuer&#x017F;t wagte &#x017F;ich Carl&#x017F;tadt, als er im Jahr 1524 aus<lb/>
Sach&#x017F;en flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor,<lb/>
die nun freilich exegeti&#x017F;ch unhaltbar, ja abenteuerlich aus-<lb/>
fiel, die er auch zuletzt &#x017F;elber wieder aufgegeben hat, bei<lb/>
deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0096] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. Differenz, die nicht allein die Anwendung, ſondern auch die Auffaſſung der Schrift eben in Bezug auf dieſe wich- tigſte aller geiſtlichen Handlungen betraf. Es iſt bekannt, wie mannichfaltig dies Myſterium auch in frühern Zeiten aufgefaßt worden iſt, namentlich vom neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der Transſubſtantiation die Alleinherrſchaft errang. Kein Wun- der, wenn nun, nachdem dieſe erſchüttert worden, auch neue Verſchiedenheiten der Auffaſſung erſchienen. Damals waren ſie mehr ſpeculativer, jetzt, der veränder- ten Richtung der Gelehrſamkeit gemäß, mehr exegetiſcher Art. Bald nachdem Luther das Wunder der Transſubſtan- tiation verworfen, regte ſich in mehrern Köpfen zugleich die Idee, ob nicht überhaupt auch abgeſehen davon ſich den Einſetzungsworten eine andre Deutung geben laſſe. Luther ſelbſt bekennt, eine Anwandlung nach dieſer Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern und innern Kämpfen ſeine allezeit ſiegreiche Waffe der Grund- text geweſen war, deſſen wörtlicher Verſtand, ſo gab er ſeine Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie weiter beſtimmen zu wollen. Nicht Alle aber waren ſo zurückhaltend, dem Wort- verſtande ſo unterwürfig wie Luther. Zuerſt wagte ſich Carlſtadt, als er im Jahr 1524 aus Sachſen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor, die nun freilich exegetiſch unhaltbar, ja abenteuerlich aus- fiel, die er auch zuletzt ſelber wieder aufgegeben hat, bei deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/96
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/96>, abgerufen am 22.11.2024.