Georg meinte, nach dem Spruche der Schrift, daß die Eltern den Kindern und diese wieder den ihren sagen soll- ten, was ihnen von Gott und dem Gesetz bewußt, so wolle auch er des Glaubens, den er einst von seinem gnädigen Herrn Vater und seiner herzlieben Mutter gelernt, leben und sterben. 1 Die Lehre Luthers von der alleinseligmachenden Kraft des Glaubens schien ihm ohnehin verderblich, denn sie mache ruchlose Leute. Er kam nie darüber weg, daß Luther ein ausgetretener unkeuscher Mönch sey. Bei jedem seiner Vettern, die nach einander zur Regierung gelangten, machte er einmal einen ernstlichen Anlauf, um denselben zu stürzen. Da dieß zu nichts führte, so beschloß er wenig- stens selbst dem Irrthum zu widerstehn "mit allen Kräften, -- wie er sich einmal ausdrückt -- allem Vermögen, aller Macht, bis in den Tod." Nirgends fand die neue Lehre größern Beifall als in seinem Lande: fiel doch selbst ein Kloster, zu dem er mit eigner Hand den Grundstein gelegt, und das er min den zuverläßigsten Leuten besetzt zu haben glaubte, zu derselben ab; nirgend aber ward sie auch mit anhaltenderer Strenge verfolgt. Wir haben die Edicte, die Jahr für Jahr dagegen ergiengen; man las sie an großen Tafeln, die auf den Landstraßen aufgestellt, an den Wirths- häusern angebracht waren, und ohne Rücksicht wurden sie gehandhabt. Neigte sich ein vornehmerer Landsasse dahin, so wurden seine Unterthanen von ihren Pflichten gegen ihn freigesprochen; war es ein Beamter, so sollte sein Ende am Rabenstein seyn; ein Priester, der in Luthers Sinn geschrie-
Georg meinte, nach dem Spruche der Schrift, daß die Eltern den Kindern und dieſe wieder den ihren ſagen ſoll- ten, was ihnen von Gott und dem Geſetz bewußt, ſo wolle auch er des Glaubens, den er einſt von ſeinem gnädigen Herrn Vater und ſeiner herzlieben Mutter gelernt, leben und ſterben. 1 Die Lehre Luthers von der alleinſeligmachenden Kraft des Glaubens ſchien ihm ohnehin verderblich, denn ſie mache ruchloſe Leute. Er kam nie darüber weg, daß Luther ein ausgetretener unkeuſcher Mönch ſey. Bei jedem ſeiner Vettern, die nach einander zur Regierung gelangten, machte er einmal einen ernſtlichen Anlauf, um denſelben zu ſtürzen. Da dieß zu nichts führte, ſo beſchloß er wenig- ſtens ſelbſt dem Irrthum zu widerſtehn „mit allen Kräften, — wie er ſich einmal ausdrückt — allem Vermögen, aller Macht, bis in den Tod.“ Nirgends fand die neue Lehre größern Beifall als in ſeinem Lande: fiel doch ſelbſt ein Kloſter, zu dem er mit eigner Hand den Grundſtein gelegt, und das er min den zuverläßigſten Leuten beſetzt zu haben glaubte, zu derſelben ab; nirgend aber ward ſie auch mit anhaltenderer Strenge verfolgt. Wir haben die Edicte, die Jahr für Jahr dagegen ergiengen; man las ſie an großen Tafeln, die auf den Landſtraßen aufgeſtellt, an den Wirths- häuſern angebracht waren, und ohne Rückſicht wurden ſie gehandhabt. Neigte ſich ein vornehmerer Landſaſſe dahin, ſo wurden ſeine Unterthanen von ihren Pflichten gegen ihn freigeſprochen; war es ein Beamter, ſo ſollte ſein Ende am Rabenſtein ſeyn; ein Prieſter, der in Luthers Sinn geſchrie-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0149"n="137"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g"><persNamefull="abb"ref="http://d-nb.info/gnd/118716921">Georg</persName> und <persNameref="http://d-nb.info/gnd/115821872">Heinrich von Sachſen</persName></hi>.</fw><lb/><p><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118716921">Georg</persName> meinte, nach dem Spruche der Schrift, daß die<lb/>
Eltern den Kindern und dieſe wieder den ihren ſagen ſoll-<lb/>
ten, was ihnen von Gott und dem Geſetz bewußt, ſo wolle<lb/>
auch er des Glaubens, den er einſt von ſeinem gnädigen<lb/>
Herrn Vater und ſeiner herzlieben Mutter gelernt, leben und<lb/>ſterben. <noteplace="foot"n="1">Briefwechſel mit <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118716891">Georg von Anhalt</persName>: <persNameref="http://d-nb.info/gnd/100031358">Beckmanns</persName> Anhalti-<lb/>ſche Geſchichte Bd <hirendition="#aq">VI.</hi></note> Die Lehre <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Luthers</persName> von der alleinſeligmachenden<lb/>
Kraft des Glaubens ſchien ihm ohnehin verderblich, denn<lb/>ſie mache ruchloſe Leute. Er kam nie darüber weg, daß<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Luther</persName> ein ausgetretener unkeuſcher Mönch ſey. Bei jedem<lb/>ſeiner Vettern, die nach einander zur Regierung gelangten,<lb/>
machte er einmal einen ernſtlichen Anlauf, um denſelben zu<lb/>ſtürzen. Da dieß zu nichts führte, ſo beſchloß er wenig-<lb/>ſtens ſelbſt dem Irrthum zu widerſtehn „mit allen Kräften,<lb/>— wie er ſich einmal ausdrückt — allem Vermögen, aller<lb/>
Macht, bis in den Tod.“ Nirgends fand die neue Lehre<lb/>
größern Beifall als in ſeinem Lande: fiel doch ſelbſt ein<lb/>
Kloſter, zu dem er mit eigner Hand den Grundſtein gelegt,<lb/>
und das er min den zuverläßigſten Leuten beſetzt zu haben<lb/>
glaubte, zu derſelben ab; nirgend aber ward ſie auch mit<lb/>
anhaltenderer Strenge verfolgt. Wir haben die Edicte, die<lb/>
Jahr für Jahr dagegen ergiengen; man las ſie an großen<lb/>
Tafeln, die auf den Landſtraßen aufgeſtellt, an den Wirths-<lb/>
häuſern angebracht waren, und ohne Rückſicht wurden ſie<lb/>
gehandhabt. Neigte ſich ein vornehmerer Landſaſſe dahin,<lb/>ſo wurden ſeine Unterthanen von ihren Pflichten gegen ihn<lb/>
freigeſprochen; war es ein Beamter, ſo ſollte ſein Ende am<lb/><placeName>Rabenſtein</placeName>ſeyn; ein Prieſter, der in <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118575449">Luthers</persName> Sinn geſchrie-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0149]
Georg und Heinrich von Sachſen.
Georg meinte, nach dem Spruche der Schrift, daß die
Eltern den Kindern und dieſe wieder den ihren ſagen ſoll-
ten, was ihnen von Gott und dem Geſetz bewußt, ſo wolle
auch er des Glaubens, den er einſt von ſeinem gnädigen
Herrn Vater und ſeiner herzlieben Mutter gelernt, leben und
ſterben. 1 Die Lehre Luthers von der alleinſeligmachenden
Kraft des Glaubens ſchien ihm ohnehin verderblich, denn
ſie mache ruchloſe Leute. Er kam nie darüber weg, daß
Luther ein ausgetretener unkeuſcher Mönch ſey. Bei jedem
ſeiner Vettern, die nach einander zur Regierung gelangten,
machte er einmal einen ernſtlichen Anlauf, um denſelben zu
ſtürzen. Da dieß zu nichts führte, ſo beſchloß er wenig-
ſtens ſelbſt dem Irrthum zu widerſtehn „mit allen Kräften,
— wie er ſich einmal ausdrückt — allem Vermögen, aller
Macht, bis in den Tod.“ Nirgends fand die neue Lehre
größern Beifall als in ſeinem Lande: fiel doch ſelbſt ein
Kloſter, zu dem er mit eigner Hand den Grundſtein gelegt,
und das er min den zuverläßigſten Leuten beſetzt zu haben
glaubte, zu derſelben ab; nirgend aber ward ſie auch mit
anhaltenderer Strenge verfolgt. Wir haben die Edicte, die
Jahr für Jahr dagegen ergiengen; man las ſie an großen
Tafeln, die auf den Landſtraßen aufgeſtellt, an den Wirths-
häuſern angebracht waren, und ohne Rückſicht wurden ſie
gehandhabt. Neigte ſich ein vornehmerer Landſaſſe dahin,
ſo wurden ſeine Unterthanen von ihren Pflichten gegen ihn
freigeſprochen; war es ein Beamter, ſo ſollte ſein Ende am
Rabenſtein ſeyn; ein Prieſter, der in Luthers Sinn geſchrie-
1 Briefwechſel mit Georg von Anhalt: Beckmanns Anhalti-
ſche Geſchichte Bd VI.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/149>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.