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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Wechsel politischer Tendenzen.
ten die Bürger umfassende alte Privilegien, die ihnen in
Folge früherer Unruhen entrissen worden, zurückgefordert.
Den Zwangsmaaßregeln welche die Regentin anordnete, be-
gegneten sie mit förmlichen Feindseligkeiten. 1

Das war nun aber um so gefährlicher, da diese Re-
gungen nicht so vereinzelt waren wie man wohl annimmt.
In den gesammten Niederlanden bewirkte es eine gewisse
Verstimmung, daß man den eingebornen Fürsten so selten
im Lande sah und so viele Kriege fremdartigen Ursprungs
ausfechten mußte. Wir können sagen: es regte sich bereits
der Gegensatz der Provinzen gegen die Centralregierung, der
später zu so großen Ereignissen geführt hat.

Was würde wohl erfolgt seyn, wenn der König von
Frankreich den Aufforderungen der Genter, die ihm wirklich
geschehen sind, 2 Gehör gegeben hätte, als alter Lehnsherr
von Flandern ihnen zu Hülfe gekommen wäre?

Zum Glück für den Kaiser trafen die Unruhen in eine
Zeit wo ihnen dieser Rückhalt nicht zu Theil werden konnte,
wo er mit Frankreich in Unterhandlungen über die genaueste
Verbindung stand.

Die Politik die Carl V gegen Frankreich beobachtet, be-
wegt sich in einem noch stärkeren Schwanken, als die welche
wir in Deutschland wahrnahmen. Von offener Feindseligkeit
und Anwendung der Waffengewalt sehen wir ihn zu Tenden-
zen der innigsten Allianz übergehen. Und dabei ist das Merk-

1 Jean d'Hollander discours de troubles advenues en la ville
de Gand. Anal. Belg. III, ii.
2 Les dits de Gand ont passe si avant, et tant se dehon-
tez -- que de recourir a France.
Schreiben des Kaisers bei Arendt
in Raumers Taschenbuch 1842, p. 562.

Wechſel politiſcher Tendenzen.
ten die Bürger umfaſſende alte Privilegien, die ihnen in
Folge früherer Unruhen entriſſen worden, zurückgefordert.
Den Zwangsmaaßregeln welche die Regentin anordnete, be-
gegneten ſie mit förmlichen Feindſeligkeiten. 1

Das war nun aber um ſo gefährlicher, da dieſe Re-
gungen nicht ſo vereinzelt waren wie man wohl annimmt.
In den geſammten Niederlanden bewirkte es eine gewiſſe
Verſtimmung, daß man den eingebornen Fürſten ſo ſelten
im Lande ſah und ſo viele Kriege fremdartigen Urſprungs
ausfechten mußte. Wir können ſagen: es regte ſich bereits
der Gegenſatz der Provinzen gegen die Centralregierung, der
ſpäter zu ſo großen Ereigniſſen geführt hat.

Was würde wohl erfolgt ſeyn, wenn der König von
Frankreich den Aufforderungen der Genter, die ihm wirklich
geſchehen ſind, 2 Gehör gegeben hätte, als alter Lehnsherr
von Flandern ihnen zu Hülfe gekommen wäre?

Zum Glück für den Kaiſer trafen die Unruhen in eine
Zeit wo ihnen dieſer Rückhalt nicht zu Theil werden konnte,
wo er mit Frankreich in Unterhandlungen über die genaueſte
Verbindung ſtand.

Die Politik die Carl V gegen Frankreich beobachtet, be-
wegt ſich in einem noch ſtärkeren Schwanken, als die welche
wir in Deutſchland wahrnahmen. Von offener Feindſeligkeit
und Anwendung der Waffengewalt ſehen wir ihn zu Tenden-
zen der innigſten Allianz übergehen. Und dabei iſt das Merk-

1 Jean d’Hollander discours de troubles advenues en la ville
de Gand. Anal. Belg. III, ii.
2 Les dits de Gand ont passé si avant, et tant se dehon-
tez — que de recourir a France.
Schreiben des Kaiſers bei Arendt
in Raumers Taſchenbuch 1842, p. 562.
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[173/0185] Wechſel politiſcher Tendenzen. ten die Bürger umfaſſende alte Privilegien, die ihnen in Folge früherer Unruhen entriſſen worden, zurückgefordert. Den Zwangsmaaßregeln welche die Regentin anordnete, be- gegneten ſie mit förmlichen Feindſeligkeiten. 1 Das war nun aber um ſo gefährlicher, da dieſe Re- gungen nicht ſo vereinzelt waren wie man wohl annimmt. In den geſammten Niederlanden bewirkte es eine gewiſſe Verſtimmung, daß man den eingebornen Fürſten ſo ſelten im Lande ſah und ſo viele Kriege fremdartigen Urſprungs ausfechten mußte. Wir können ſagen: es regte ſich bereits der Gegenſatz der Provinzen gegen die Centralregierung, der ſpäter zu ſo großen Ereigniſſen geführt hat. Was würde wohl erfolgt ſeyn, wenn der König von Frankreich den Aufforderungen der Genter, die ihm wirklich geſchehen ſind, 2 Gehör gegeben hätte, als alter Lehnsherr von Flandern ihnen zu Hülfe gekommen wäre? Zum Glück für den Kaiſer trafen die Unruhen in eine Zeit wo ihnen dieſer Rückhalt nicht zu Theil werden konnte, wo er mit Frankreich in Unterhandlungen über die genaueſte Verbindung ſtand. Die Politik die Carl V gegen Frankreich beobachtet, be- wegt ſich in einem noch ſtärkeren Schwanken, als die welche wir in Deutſchland wahrnahmen. Von offener Feindſeligkeit und Anwendung der Waffengewalt ſehen wir ihn zu Tenden- zen der innigſten Allianz übergehen. Und dabei iſt das Merk- 1 Jean d’Hollander discours de troubles advenues en la ville de Gand. Anal. Belg. III, ii. 2 Les dits de Gand ont passé si avant, et tant se dehon- tez — que de recourir a France. Schreiben des Kaiſers bei Arendt in Raumers Taſchenbuch 1842, p. 562.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/185>, abgerufen am 22.05.2024.