len mit neuem Unglimpf beladen, aber man solle ihn für einen verlogenen Mann halten, wenn es nicht geschehe." 1
Ein besonderer Zufall bewirkte, daß man dem Kaiser und seinem Minister in diesem Augenblicke größeres Vertrauen schenkte als jemals bisher. Aus den Papieren des Herzog Heinrich, die man in Wolfenbüttel gefunden und eifrig durch- suchte, ergab sich unwidersprechlich, daß Granvella und der Kaiser demselben immer friedliche Rathschläge gegeben. Man forschte nicht nach, welche Motive in jedem Augenblick dazu mitgewirkt, man nahm an daß die wahre Gesinnung des Kaisers in diesen Briefen sich darlege, Mäßigung und Fried- fertigkeit den Grundcharacter seiner Politik ausmache.
Und auch die allgemeinen Verhältnisse trugen zu dieser Stimmung bei. Die Lage der Dinge in Ungarn, die Be- drängnisse Ferdinands erweckten das Mitleiden der Stände. Am Reichstag hatten sie die Türkenhülfe, die man ihnen an- sann, abgelehnt, aber was sie dort nicht bewilligen wollen, haben sie dann aus freiem Antriebe geleistet.
Endlich begieng der Herzog von Cleve, dessen enge Ver- bindung mit Frankreich sich ohnehin mit nichten allgemeinen Beifalls erfreute, so eben eine Handlung die ihm die Gunst auch seiner wärmsten Freunde raubte.
Noch einmal war, hauptsächlich aus Rücksicht für den Churfürsten, dem Herzog ein Stillstand bewilligt worden, bis zwei Monate nach der Ankunft des Kaisers, 2 in welcher Zeit noch ein friedlicher Austrag versucht werden sollte, un-
1Burkhard an den Churfürsten von Sachsen 19 März 1543. (W. A.)
2 Schreiben der sächsischen Räthe 21 Apr. 1543.
19*
Politik der Proteſtanten.
len mit neuem Unglimpf beladen, aber man ſolle ihn für einen verlogenen Mann halten, wenn es nicht geſchehe.“ 1
Ein beſonderer Zufall bewirkte, daß man dem Kaiſer und ſeinem Miniſter in dieſem Augenblicke größeres Vertrauen ſchenkte als jemals bisher. Aus den Papieren des Herzog Heinrich, die man in Wolfenbüttel gefunden und eifrig durch- ſuchte, ergab ſich unwiderſprechlich, daß Granvella und der Kaiſer demſelben immer friedliche Rathſchläge gegeben. Man forſchte nicht nach, welche Motive in jedem Augenblick dazu mitgewirkt, man nahm an daß die wahre Geſinnung des Kaiſers in dieſen Briefen ſich darlege, Mäßigung und Fried- fertigkeit den Grundcharacter ſeiner Politik ausmache.
Und auch die allgemeinen Verhältniſſe trugen zu dieſer Stimmung bei. Die Lage der Dinge in Ungarn, die Be- drängniſſe Ferdinands erweckten das Mitleiden der Stände. Am Reichstag hatten ſie die Türkenhülfe, die man ihnen an- ſann, abgelehnt, aber was ſie dort nicht bewilligen wollen, haben ſie dann aus freiem Antriebe geleiſtet.
Endlich begieng der Herzog von Cleve, deſſen enge Ver- bindung mit Frankreich ſich ohnehin mit nichten allgemeinen Beifalls erfreute, ſo eben eine Handlung die ihm die Gunſt auch ſeiner wärmſten Freunde raubte.
Noch einmal war, hauptſächlich aus Rückſicht für den Churfürſten, dem Herzog ein Stillſtand bewilligt worden, bis zwei Monate nach der Ankunft des Kaiſers, 2 in welcher Zeit noch ein friedlicher Austrag verſucht werden ſollte, un-
1Burkhard an den Churfuͤrſten von Sachſen 19 Maͤrz 1543. (W. A.)
2 Schreiben der ſaͤchſiſchen Raͤthe 21 Apr. 1543.
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Politik der Proteſtanten.
len mit neuem Unglimpf beladen, aber man ſolle ihn für
einen verlogenen Mann halten, wenn es nicht geſchehe.“ 1
Ein beſonderer Zufall bewirkte, daß man dem Kaiſer
und ſeinem Miniſter in dieſem Augenblicke größeres Vertrauen
ſchenkte als jemals bisher. Aus den Papieren des Herzog
Heinrich, die man in Wolfenbüttel gefunden und eifrig durch-
ſuchte, ergab ſich unwiderſprechlich, daß Granvella und der
Kaiſer demſelben immer friedliche Rathſchläge gegeben. Man
forſchte nicht nach, welche Motive in jedem Augenblick dazu
mitgewirkt, man nahm an daß die wahre Geſinnung des
Kaiſers in dieſen Briefen ſich darlege, Mäßigung und Fried-
fertigkeit den Grundcharacter ſeiner Politik ausmache.
Und auch die allgemeinen Verhältniſſe trugen zu dieſer
Stimmung bei. Die Lage der Dinge in Ungarn, die Be-
drängniſſe Ferdinands erweckten das Mitleiden der Stände.
Am Reichstag hatten ſie die Türkenhülfe, die man ihnen an-
ſann, abgelehnt, aber was ſie dort nicht bewilligen wollen,
haben ſie dann aus freiem Antriebe geleiſtet.
Endlich begieng der Herzog von Cleve, deſſen enge Ver-
bindung mit Frankreich ſich ohnehin mit nichten allgemeinen
Beifalls erfreute, ſo eben eine Handlung die ihm die Gunſt
auch ſeiner wärmſten Freunde raubte.
Noch einmal war, hauptſächlich aus Rückſicht für den
Churfürſten, dem Herzog ein Stillſtand bewilligt worden, bis
zwei Monate nach der Ankunft des Kaiſers, 2 in welcher
Zeit noch ein friedlicher Austrag verſucht werden ſollte, un-
1 Burkhard an den Churfuͤrſten von Sachſen 19 Maͤrz 1543.
(W. A.)
2 Schreiben der ſaͤchſiſchen Raͤthe 21 Apr. 1543.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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