Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.Urspr. des Krieges. Politik der Protestanten. weichendes Verfahren. Alle diese einander entgegenstehendenMächte, der Kaiser, die Franzosen, England, der Papst selbst, schließen ihre Bündnisse und lösen sie auf, führen ihre Kriege und endigen sie nach ihrem bestimmten Interesse, dessen sie sich sehr wohl bewußt sind: eine Freundschaft oder gemeinschaft- liche Tendenz, vor der dasselbe verschwände, giebt es für sie nicht: alle Allianzen stellen den Krieg in Aussicht, jeder Krieg trägt als Auskunftsmittel eine Bundescombination in sich: nach dem Wechsel der Ereignisse behauptet oder verändert jede Macht, nur sich selber treu, ihre Haltung nach allen Seiten hin. Anders aber die Bundesgenossen von Schmal- kalden. Ihre Einung war mit nichten gegen das Kaiser- thum geschlossen, wohl aber wider die von dem damaligen Kaiser, der eine so ganz eigenthümliche Stellung einnahm, zu besorgenden Angriffe. Sie hinderte sie nicht an dem pa- triotischen Wunsch, sich ihm anschließen, irgend eine nationale Unternehmung mit ihm ausführen zu können. Da er ihnen religiöse Concessionen machte, so faßten sie Zutrauen zu ihm, und gesellten sich ihm am Ende mit herzlicher Hingebung bei. Unglücklicherweise beruhte ihr Zutrauen zum Theil auf Irr- thum; ihre Hingebung entsprang nicht aus ruhiger Erwä- gung, sondern zugleich aus persönlichen Motiven; endlich wurden die Zugeständnisse die man ihnen machte, nicht so voll- kommen fest bestimmt, um als unzweifelhaft gelten zu können. So geschah daß sie eben in den Glaubensstreitigkeiten zuerst zu empfinden bekamen, daß der Kaiser keinen auswärtigen Feind mehr zu bekämpfen hatte. Schon in Worms hören wir sie klagen, er würde sie wohl anders behandeln, wenn er wie sonst ihrer Hülfe bedürfte. Ihre Erwartung, daß das in einem Türkenkriege geschehen könne, sahen sie getäuscht. Eben Urſpr. des Krieges. Politik der Proteſtanten. weichendes Verfahren. Alle dieſe einander entgegenſtehendenMächte, der Kaiſer, die Franzoſen, England, der Papſt ſelbſt, ſchließen ihre Bündniſſe und löſen ſie auf, führen ihre Kriege und endigen ſie nach ihrem beſtimmten Intereſſe, deſſen ſie ſich ſehr wohl bewußt ſind: eine Freundſchaft oder gemeinſchaft- liche Tendenz, vor der daſſelbe verſchwände, giebt es für ſie nicht: alle Allianzen ſtellen den Krieg in Ausſicht, jeder Krieg trägt als Auskunftsmittel eine Bundescombination in ſich: nach dem Wechſel der Ereigniſſe behauptet oder verändert jede Macht, nur ſich ſelber treu, ihre Haltung nach allen Seiten hin. Anders aber die Bundesgenoſſen von Schmal- kalden. Ihre Einung war mit nichten gegen das Kaiſer- thum geſchloſſen, wohl aber wider die von dem damaligen Kaiſer, der eine ſo ganz eigenthümliche Stellung einnahm, zu beſorgenden Angriffe. Sie hinderte ſie nicht an dem pa- triotiſchen Wunſch, ſich ihm anſchließen, irgend eine nationale Unternehmung mit ihm ausführen zu können. Da er ihnen religiöſe Conceſſionen machte, ſo faßten ſie Zutrauen zu ihm, und geſellten ſich ihm am Ende mit herzlicher Hingebung bei. Unglücklicherweiſe beruhte ihr Zutrauen zum Theil auf Irr- thum; ihre Hingebung entſprang nicht aus ruhiger Erwä- gung, ſondern zugleich aus perſönlichen Motiven; endlich wurden die Zugeſtändniſſe die man ihnen machte, nicht ſo voll- kommen feſt beſtimmt, um als unzweifelhaft gelten zu können. So geſchah daß ſie eben in den Glaubensſtreitigkeiten zuerſt zu empfinden bekamen, daß der Kaiſer keinen auswärtigen Feind mehr zu bekämpfen hatte. Schon in Worms hören wir ſie klagen, er würde ſie wohl anders behandeln, wenn er wie ſonſt ihrer Hülfe bedürfte. Ihre Erwartung, daß das in einem Türkenkriege geſchehen könne, ſahen ſie getäuſcht. Eben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0387" n="375"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Urſpr. des Krieges. Politik der Proteſtanten</hi>.</fw><lb/> weichendes Verfahren. 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Urſpr. des Krieges. Politik der Proteſtanten.
weichendes Verfahren. Alle dieſe einander entgegenſtehenden
Mächte, der Kaiſer, die Franzoſen, England, der Papſt ſelbſt,
ſchließen ihre Bündniſſe und löſen ſie auf, führen ihre Kriege
und endigen ſie nach ihrem beſtimmten Intereſſe, deſſen ſie ſich
ſehr wohl bewußt ſind: eine Freundſchaft oder gemeinſchaft-
liche Tendenz, vor der daſſelbe verſchwände, giebt es für ſie
nicht: alle Allianzen ſtellen den Krieg in Ausſicht, jeder Krieg
trägt als Auskunftsmittel eine Bundescombination in ſich:
nach dem Wechſel der Ereigniſſe behauptet oder verändert
jede Macht, nur ſich ſelber treu, ihre Haltung nach allen
Seiten hin. Anders aber die Bundesgenoſſen von Schmal-
kalden. Ihre Einung war mit nichten gegen das Kaiſer-
thum geſchloſſen, wohl aber wider die von dem damaligen
Kaiſer, der eine ſo ganz eigenthümliche Stellung einnahm,
zu beſorgenden Angriffe. Sie hinderte ſie nicht an dem pa-
triotiſchen Wunſch, ſich ihm anſchließen, irgend eine nationale
Unternehmung mit ihm ausführen zu können. Da er ihnen
religiöſe Conceſſionen machte, ſo faßten ſie Zutrauen zu ihm,
und geſellten ſich ihm am Ende mit herzlicher Hingebung bei.
Unglücklicherweiſe beruhte ihr Zutrauen zum Theil auf Irr-
thum; ihre Hingebung entſprang nicht aus ruhiger Erwä-
gung, ſondern zugleich aus perſönlichen Motiven; endlich
wurden die Zugeſtändniſſe die man ihnen machte, nicht ſo voll-
kommen feſt beſtimmt, um als unzweifelhaft gelten zu können.
So geſchah daß ſie eben in den Glaubensſtreitigkeiten zuerſt
zu empfinden bekamen, daß der Kaiſer keinen auswärtigen Feind
mehr zu bekämpfen hatte. Schon in Worms hören wir ſie
klagen, er würde ſie wohl anders behandeln, wenn er wie
ſonſt ihrer Hülfe bedürfte. Ihre Erwartung, daß das in
einem Türkenkriege geſchehen könne, ſahen ſie getäuſcht. Eben
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