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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Achtes Buch. Erstes Capitel.
Neue Familienverbindungen, bei denen man auf die kaum
Geborenen, ja auch auf die noch nicht Geborenen Rücksicht
nahm, wurden in Vorschlag gebracht.

Der günstigste Umstand hiefür aber war, daß der Krieg
zwischen England und Frankreich noch immer fortgieng. Was
Granvella gleich anfangs vorausgesehen, die Franzosen woll-
ten Boulogne um keinen Preis fahren lassen, Heinrich VIII
wollte es nicht wieder herausgeben. Januar und Februar
1546 waren noch mit Scharmützeln und entgegengesetzten
Fortificationen an den Grenzen erfüllt. Dadurch geschah
daß von diesen mächtigen und eifersüchtigen Nachbarn sich
jetzt weder der eine noch der andere in die Geschäfte des
Kaisers mischen konnte.

Auch von dem Norden hatte er keine Störung zu fürch-
ten: um so weniger, da der König von Dänemark die An-
näherung des Churfürsten von der Pfalz an den schmalkal-
dischen Bund mit Besorgniß ansah.

Dergestalt nach allen Seiten hin frei, konnte er seine
Aufmerksamkeit dieß Mal ungestört auf die deutschen Angele-
genheiten richten.

Wir wissen, in wie hohem Grade die Verwickelungen
der europäischen Politik zum Emporkommen der Protestan-
ten beigetragen, besonders ihnen Zeit gegeben, freien Raum
gemacht hatten. Wir sahen auch, wie es kam daß sie die
Vortheile die ihnen aus diesem Verhältniß zu des Kaisers
Gegnern, das doch nie ein eigentliches Bündniß war, entspran-
gen, im Jahr 1543 selber aufgaben, die ihnen dargebotene
Combination nicht allein nicht benutzten, sondern den Kaiser zur
Überwältigung seiner Feinde unterstützten. Ein von der Ge-
wohnheit wie jeder andern, so besonders dieser Zeit sehr ab-

Achtes Buch. Erſtes Capitel.
Neue Familienverbindungen, bei denen man auf die kaum
Geborenen, ja auch auf die noch nicht Geborenen Rückſicht
nahm, wurden in Vorſchlag gebracht.

Der günſtigſte Umſtand hiefür aber war, daß der Krieg
zwiſchen England und Frankreich noch immer fortgieng. Was
Granvella gleich anfangs vorausgeſehen, die Franzoſen woll-
ten Boulogne um keinen Preis fahren laſſen, Heinrich VIII
wollte es nicht wieder herausgeben. Januar und Februar
1546 waren noch mit Scharmützeln und entgegengeſetzten
Fortificationen an den Grenzen erfüllt. Dadurch geſchah
daß von dieſen mächtigen und eiferſüchtigen Nachbarn ſich
jetzt weder der eine noch der andere in die Geſchäfte des
Kaiſers miſchen konnte.

Auch von dem Norden hatte er keine Störung zu fürch-
ten: um ſo weniger, da der König von Dänemark die An-
näherung des Churfürſten von der Pfalz an den ſchmalkal-
diſchen Bund mit Beſorgniß anſah.

Dergeſtalt nach allen Seiten hin frei, konnte er ſeine
Aufmerkſamkeit dieß Mal ungeſtört auf die deutſchen Angele-
genheiten richten.

Wir wiſſen, in wie hohem Grade die Verwickelungen
der europäiſchen Politik zum Emporkommen der Proteſtan-
ten beigetragen, beſonders ihnen Zeit gegeben, freien Raum
gemacht hatten. Wir ſahen auch, wie es kam daß ſie die
Vortheile die ihnen aus dieſem Verhältniß zu des Kaiſers
Gegnern, das doch nie ein eigentliches Bündniß war, entſpran-
gen, im Jahr 1543 ſelber aufgaben, die ihnen dargebotene
Combination nicht allein nicht benutzten, ſondern den Kaiſer zur
Überwältigung ſeiner Feinde unterſtützten. Ein von der Ge-
wohnheit wie jeder andern, ſo beſonders dieſer Zeit ſehr ab-

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[374/0386] Achtes Buch. Erſtes Capitel. Neue Familienverbindungen, bei denen man auf die kaum Geborenen, ja auch auf die noch nicht Geborenen Rückſicht nahm, wurden in Vorſchlag gebracht. Der günſtigſte Umſtand hiefür aber war, daß der Krieg zwiſchen England und Frankreich noch immer fortgieng. Was Granvella gleich anfangs vorausgeſehen, die Franzoſen woll- ten Boulogne um keinen Preis fahren laſſen, Heinrich VIII wollte es nicht wieder herausgeben. Januar und Februar 1546 waren noch mit Scharmützeln und entgegengeſetzten Fortificationen an den Grenzen erfüllt. Dadurch geſchah daß von dieſen mächtigen und eiferſüchtigen Nachbarn ſich jetzt weder der eine noch der andere in die Geſchäfte des Kaiſers miſchen konnte. Auch von dem Norden hatte er keine Störung zu fürch- ten: um ſo weniger, da der König von Dänemark die An- näherung des Churfürſten von der Pfalz an den ſchmalkal- diſchen Bund mit Beſorgniß anſah. Dergeſtalt nach allen Seiten hin frei, konnte er ſeine Aufmerkſamkeit dieß Mal ungeſtört auf die deutſchen Angele- genheiten richten. Wir wiſſen, in wie hohem Grade die Verwickelungen der europäiſchen Politik zum Emporkommen der Proteſtan- ten beigetragen, beſonders ihnen Zeit gegeben, freien Raum gemacht hatten. Wir ſahen auch, wie es kam daß ſie die Vortheile die ihnen aus dieſem Verhältniß zu des Kaiſers Gegnern, das doch nie ein eigentliches Bündniß war, entſpran- gen, im Jahr 1543 ſelber aufgaben, die ihnen dargebotene Combination nicht allein nicht benutzten, ſondern den Kaiſer zur Überwältigung ſeiner Feinde unterſtützten. Ein von der Ge- wohnheit wie jeder andern, ſo beſonders dieſer Zeit ſehr ab-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/386>, abgerufen am 22.11.2024.