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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Achtes Buch. Erstes Capitel.
wenn er komme, der Kaiser werde sich als Freund und Va-
ter gegen ihn zeigen.

Hierauf säumte Moritz nicht l[än]ger. Er kündigte seinem
Vetter die anberaumte Zusammenkunft auf, er riß sich los von
seinem Blutsverwandten und der evangelischen Gemeinschaft,
der er, wie Luther einst sagte, nicht allein sein Emporkom-
men, sondern sein Daseyn verdankte, der er mit seiner religiö-
sen Gesinnung angehörte, und begab sich nach Regensburg.

Wohl wahr, daß der Kaiser in diesem Augenblick nichts
als weltliche Absichten vorgab, Bestrafung des Ungehorsams,
eines angeblichen Landfriedensbruchs, Herstellung der Autori-
tät des Reiches: aber wir haben einen Brief von ihm, worin
er ganz ausdrücklich sagt, daß dieß alles nur ein Vor-
wand sey, den ihm wohl nicht Jedermann glauben, der
aber doch wohl dazu dienen werde die Gegner zu trennen: 1
sein vornehmstes Motiv sey, den Ruin des Katholicismus
zu verhüten, dem Protestantismus Einhalt zu thun.

Sollte das dem erfahrnen Carlowitz, dem mit natürli-
chem Scharfsinn begabten Herzog entgangen seyn? Man
kann es nicht glauben.

Aber sie sahen auf der entgegengesetzten Seite die Ober-
herrlichkeit über Magdeburg und Halberstadt, die Churwürde,
den endlichen Sieg über ihre nachbarlichen Widersacher.

Am 23sten Mai hätte Moritz zu der Tagsatzung mit
seinem Vetter einkommen sollen: am 24sten langte er in Re-

1 Et combien que cette couverte et pretexte de guerre ne
pourra du tout encourir que les dits envoyes ne pensent bien
que ce soit pour cause de la religion, toutesfois sera ce occa-
casion de les separer. (L'empereur a la reine Marie 9 Juin
1546.)

Achtes Buch. Erſtes Capitel.
wenn er komme, der Kaiſer werde ſich als Freund und Va-
ter gegen ihn zeigen.

Hierauf ſäumte Moritz nicht l[än]ger. Er kündigte ſeinem
Vetter die anberaumte Zuſammenkunft auf, er riß ſich los von
ſeinem Blutsverwandten und der evangeliſchen Gemeinſchaft,
der er, wie Luther einſt ſagte, nicht allein ſein Emporkom-
men, ſondern ſein Daſeyn verdankte, der er mit ſeiner religiö-
ſen Geſinnung angehörte, und begab ſich nach Regensburg.

Wohl wahr, daß der Kaiſer in dieſem Augenblick nichts
als weltliche Abſichten vorgab, Beſtrafung des Ungehorſams,
eines angeblichen Landfriedensbruchs, Herſtellung der Autori-
tät des Reiches: aber wir haben einen Brief von ihm, worin
er ganz ausdrücklich ſagt, daß dieß alles nur ein Vor-
wand ſey, den ihm wohl nicht Jedermann glauben, der
aber doch wohl dazu dienen werde die Gegner zu trennen: 1
ſein vornehmſtes Motiv ſey, den Ruin des Katholicismus
zu verhüten, dem Proteſtantismus Einhalt zu thun.

Sollte das dem erfahrnen Carlowitz, dem mit natürli-
chem Scharfſinn begabten Herzog entgangen ſeyn? Man
kann es nicht glauben.

Aber ſie ſahen auf der entgegengeſetzten Seite die Ober-
herrlichkeit über Magdeburg und Halberſtadt, die Churwürde,
den endlichen Sieg über ihre nachbarlichen Widerſacher.

Am 23ſten Mai hätte Moritz zu der Tagſatzung mit
ſeinem Vetter einkommen ſollen: am 24ſten langte er in Re-

1 Et combien que cette couverte et pretexte de guerre ne
pourra du tout encourir que les dits envoyés ne pensent bien
que ce soit pour cause de la religion, toutesfois sera ce occa-
casion de les separer. (L’empereur à la reine Marie 9 Juin
1546.)
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[402/0414] Achtes Buch. Erſtes Capitel. wenn er komme, der Kaiſer werde ſich als Freund und Va- ter gegen ihn zeigen. Hierauf ſäumte Moritz nicht länger. Er kündigte ſeinem Vetter die anberaumte Zuſammenkunft auf, er riß ſich los von ſeinem Blutsverwandten und der evangeliſchen Gemeinſchaft, der er, wie Luther einſt ſagte, nicht allein ſein Emporkom- men, ſondern ſein Daſeyn verdankte, der er mit ſeiner religiö- ſen Geſinnung angehörte, und begab ſich nach Regensburg. Wohl wahr, daß der Kaiſer in dieſem Augenblick nichts als weltliche Abſichten vorgab, Beſtrafung des Ungehorſams, eines angeblichen Landfriedensbruchs, Herſtellung der Autori- tät des Reiches: aber wir haben einen Brief von ihm, worin er ganz ausdrücklich ſagt, daß dieß alles nur ein Vor- wand ſey, den ihm wohl nicht Jedermann glauben, der aber doch wohl dazu dienen werde die Gegner zu trennen: 1 ſein vornehmſtes Motiv ſey, den Ruin des Katholicismus zu verhüten, dem Proteſtantismus Einhalt zu thun. Sollte das dem erfahrnen Carlowitz, dem mit natürli- chem Scharfſinn begabten Herzog entgangen ſeyn? Man kann es nicht glauben. Aber ſie ſahen auf der entgegengeſetzten Seite die Ober- herrlichkeit über Magdeburg und Halberſtadt, die Churwürde, den endlichen Sieg über ihre nachbarlichen Widerſacher. Am 23ſten Mai hätte Moritz zu der Tagſatzung mit ſeinem Vetter einkommen ſollen: am 24ſten langte er in Re- 1 Et combien que cette couverte et pretexte de guerre ne pourra du tout encourir que les dits envoyés ne pensent bien que ce soit pour cause de la religion, toutesfois sera ce occa- casion de les separer. (L’empereur à la reine Marie 9 Juin 1546.)

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/414>, abgerufen am 22.11.2024.