Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Neuntes Buch. Drittes Capitel. gen, hin und wieder erwogen werden: und so geschieht eswohl daß sie zuweilen ein wenig gedehnt erscheinen; allein sie zeigen ein vollkommenes, den Geist erfüllendes Bewußt- seyn des gegenwärtigen Moments, den sie auf das trefflichste erläutern: sie sind gründlich und fein, umfassend und ein- dringend, sie eröffnen die Motive der Handlungen mit über- raschender Klarheit, und halten immer an der großen Ten- denz fest, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber nicht glauben daß sie alles sagen. Ferdinand redet wohl einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiser Herr von Deutschland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie- mals aussprechen, niemals giebt er sich bloß. Vielmehr mit der unausgesprochenen Absicht die in sei- Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geschäfte: Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne seine In dem Minister der ihm während der großen Ereig- Neuntes Buch. Drittes Capitel. gen, hin und wieder erwogen werden: und ſo geſchieht eswohl daß ſie zuweilen ein wenig gedehnt erſcheinen; allein ſie zeigen ein vollkommenes, den Geiſt erfüllendes Bewußt- ſeyn des gegenwärtigen Moments, den ſie auf das trefflichſte erläutern: ſie ſind gründlich und fein, umfaſſend und ein- dringend, ſie eröffnen die Motive der Handlungen mit über- raſchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten- denz feſt, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber nicht glauben daß ſie alles ſagen. Ferdinand redet wohl einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von Deutſchland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie- mals ausſprechen, niemals giebt er ſich bloß. Vielmehr mit der unausgeſprochenen Abſicht die in ſei- Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geſchäfte: Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne ſeine In dem Miniſter der ihm während der großen Ereig- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> gen, hin und wieder erwogen werden: und ſo geſchieht es<lb/> wohl daß ſie zuweilen ein wenig gedehnt erſcheinen; allein<lb/> ſie zeigen ein vollkommenes, den Geiſt erfüllendes Bewußt-<lb/> ſeyn des gegenwärtigen Moments, den ſie auf das trefflichſte<lb/> erläutern: ſie ſind gründlich und fein, umfaſſend und ein-<lb/> dringend, ſie eröffnen die Motive der Handlungen mit über-<lb/> raſchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten-<lb/> denz feſt, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber<lb/> nicht glauben daß ſie alles ſagen. Ferdinand redet wohl<lb/> einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von<lb/> Deutſchland werden könne: Carl <hi rendition="#aq">V</hi> würde dieß Wort nie-<lb/> mals ausſprechen, niemals giebt er ſich bloß.</p><lb/> <p>Vielmehr mit der unausgeſprochenen Abſicht die in ſei-<lb/> ner Seele lebt, beherrſcht er alle und leitet er alles.</p><lb/> <p>Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geſchäfte:<lb/> da bemerkte man nur, wie eifrig der junge Fürſt ſich denſelben<lb/> widme, wie er ſein vornehmſtes Vergnügen daran finde;<lb/> nach Gattinaras Tod nahm er ſie ſelber in die Hand.</p><lb/> <p>Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne ſeine<lb/> Miniſter: bald darauf hören wir, daß ſie nichts thun ohne<lb/> ihn; allmählig bekennt ein Jeder, daß er ſelbſt die Haupt-<lb/> ſache ausrichtet, daß er von den klugen Leuten die er um<lb/> ſich verſammelt, ſelber der Klügſte iſt.</p><lb/> <p>In dem Miniſter der ihm während der großen Ereig-<lb/> niſſe die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite ſtand, Nico-<lb/> las Perrenot Granvella, dem ältern, hatte er jedoch in die-<lb/> ſem Rufe faſt einen Nebenbuhler und gewiß einen unver-<lb/> gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der<lb/> den halben Virgil auswendig wußte, ſich in ſeiner Heimath<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0116]
Neuntes Buch. Drittes Capitel.
gen, hin und wieder erwogen werden: und ſo geſchieht es
wohl daß ſie zuweilen ein wenig gedehnt erſcheinen; allein
ſie zeigen ein vollkommenes, den Geiſt erfüllendes Bewußt-
ſeyn des gegenwärtigen Moments, den ſie auf das trefflichſte
erläutern: ſie ſind gründlich und fein, umfaſſend und ein-
dringend, ſie eröffnen die Motive der Handlungen mit über-
raſchender Klarheit, und halten immer an der großen Ten-
denz feſt, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber
nicht glauben daß ſie alles ſagen. Ferdinand redet wohl
einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiſer Herr von
Deutſchland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie-
mals ausſprechen, niemals giebt er ſich bloß.
Vielmehr mit der unausgeſprochenen Abſicht die in ſei-
ner Seele lebt, beherrſcht er alle und leitet er alles.
Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geſchäfte:
da bemerkte man nur, wie eifrig der junge Fürſt ſich denſelben
widme, wie er ſein vornehmſtes Vergnügen daran finde;
nach Gattinaras Tod nahm er ſie ſelber in die Hand.
Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne ſeine
Miniſter: bald darauf hören wir, daß ſie nichts thun ohne
ihn; allmählig bekennt ein Jeder, daß er ſelbſt die Haupt-
ſache ausrichtet, daß er von den klugen Leuten die er um
ſich verſammelt, ſelber der Klügſte iſt.
In dem Miniſter der ihm während der großen Ereig-
niſſe die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite ſtand, Nico-
las Perrenot Granvella, dem ältern, hatte er jedoch in die-
ſem Rufe faſt einen Nebenbuhler und gewiß einen unver-
gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der
den halben Virgil auswendig wußte, ſich in ſeiner Heimath
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