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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele un-
gelöste Fragen vor.

In unsrer historischen Betrachtung stellen sich deren be-
sonders drei heraus.

Nachdem der Grundsatz von der Rechtfertigung durch
den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre
von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche
der Mensch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott-
heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geistern
völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al-
ten ächten deutschen Mystik mit dem erneuerten Dogma in
der ursprünglichen Absicht gelegen? Noch war sie wohl
nicht gelungen. Nur allzu oft schlugen sich die jungen,
streitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des
Glaubens, die aus der Scholastik übrig geblieben.

Ferner war, wie berührt, der Zürcherische Consensus
noch nicht der letzte Schritt in dem großen Werke der Ver-
einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf-
gabe gewesen, das an Zeit und Ort des Ursprungs Erinnernde,
mit zufälligen Beschränkungen Behaftete, das er noch an sich
trug, vollends fallen zu lassen, und die wesentlichen Momente
beider Ansichten noch tiefer mit einander zu durchdringen.
Von allen Gelehrten eignete sich gewiß Melanchthon am
meisten, diese Sache durchzuführen; allein in schwieriger Lage
und von Widersachern umgeben fand er nie den Muth, sie
mit vollem Ernst in die Hand zu nehmen, der Meinung
die er in sich trug, eine allseitig entwickelte Form zu geben
und ihr ein festes Daseyn zu erkämpfen.

Und wie viel war noch in Hinsicht der Verfassung zu

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele un-
gelöſte Fragen vor.

In unſrer hiſtoriſchen Betrachtung ſtellen ſich deren be-
ſonders drei heraus.

Nachdem der Grundſatz von der Rechtfertigung durch
den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre
von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche
der Menſch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott-
heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geiſtern
völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al-
ten ächten deutſchen Myſtik mit dem erneuerten Dogma in
der urſprünglichen Abſicht gelegen? Noch war ſie wohl
nicht gelungen. Nur allzu oft ſchlugen ſich die jungen,
ſtreitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des
Glaubens, die aus der Scholaſtik übrig geblieben.

Ferner war, wie berührt, der Zürcheriſche Conſenſus
noch nicht der letzte Schritt in dem großen Werke der Ver-
einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf-
gabe geweſen, das an Zeit und Ort des Urſprungs Erinnernde,
mit zufälligen Beſchränkungen Behaftete, das er noch an ſich
trug, vollends fallen zu laſſen, und die weſentlichen Momente
beider Anſichten noch tiefer mit einander zu durchdringen.
Von allen Gelehrten eignete ſich gewiß Melanchthon am
meiſten, dieſe Sache durchzuführen; allein in ſchwieriger Lage
und von Widerſachern umgeben fand er nie den Muth, ſie
mit vollem Ernſt in die Hand zu nehmen, der Meinung
die er in ſich trug, eine allſeitig entwickelte Form zu geben
und ihr ein feſtes Daſeyn zu erkämpfen.

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[462/0474] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele un- gelöſte Fragen vor. In unſrer hiſtoriſchen Betrachtung ſtellen ſich deren be- ſonders drei heraus. Nachdem der Grundſatz von der Rechtfertigung durch den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche der Menſch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott- heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geiſtern völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al- ten ächten deutſchen Myſtik mit dem erneuerten Dogma in der urſprünglichen Abſicht gelegen? Noch war ſie wohl nicht gelungen. Nur allzu oft ſchlugen ſich die jungen, ſtreitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des Glaubens, die aus der Scholaſtik übrig geblieben. Ferner war, wie berührt, der Zürcheriſche Conſenſus noch nicht der letzte Schritt in dem großen Werke der Ver- einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf- gabe geweſen, das an Zeit und Ort des Urſprungs Erinnernde, mit zufälligen Beſchränkungen Behaftete, das er noch an ſich trug, vollends fallen zu laſſen, und die weſentlichen Momente beider Anſichten noch tiefer mit einander zu durchdringen. Von allen Gelehrten eignete ſich gewiß Melanchthon am meiſten, dieſe Sache durchzuführen; allein in ſchwieriger Lage und von Widerſachern umgeben fand er nie den Muth, ſie mit vollem Ernſt in die Hand zu nehmen, der Meinung die er in ſich trug, eine allſeitig entwickelte Form zu geben und ihr ein feſtes Daſeyn zu erkämpfen. Und wie viel war noch in Hinſicht der Verfaſſung zu

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/474>, abgerufen am 22.11.2024.