erschienen die einzelnen Theile des Corpus juris -- denn auch die Institutionen konnten nach der Arbeit über die Pan- decten leicht verbessert werden -- in einer der ursprünglichen Fassung über alles Erwarten angenäherten Gestalt.
Und mit der größten Freude ward nun diese Gabe von den Gelehrten empfangen.
Dem Kaiser Carl, der in Justinian seinen Vorgänger, in dessen Rechte sein eigenes sah, bemerkte Johann Olden- dorp, wie früher durch die verunstalteten Gesetze die Rechts- übung selbst unsicher geworden sey, jetzt aber habe man Ge- setze und Constitutionen in ihrem ursprünglichen Wortlaut wie- der: seit vielen Jahrhunderten habe kein Volk etwas Ruhm- volleres erlebt. 1 Oldendorp verbarg sich nicht, daß damit noch nicht alles was wünschenswerth wäre geschehen sey. Sehr schmerzlich empfand er den Verlust der alten Rechts- quellen, aus denen erst volle Bestimmtheit und Klarheit her- vorgehn würde. 2 Wenn ich ihn recht verstehe, war seine Meinung, daß sich das System auf der nunmehr gewon- nenen Grundlage wissenschaftlich weiter ausbilden, und zum allgemeinen Recht aller Nationen erheben lasse.
Aber auch Leute die nicht so weit giengen, sahen doch in der Anwendung des geschriebenen Rechtes eine Verbesse- rung. Ich finde überhaupt daß man weite Aussichten er- griff, schon damals die Tortur verwarf, 3 die Confiscation
1Variarum lectionum libri III. 1540. Dedication.
2Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum - - - quare non potuissent conservari?
3 Jacob Lersener: Antwort, Bericht vnd Beweiß, Auff die Frage, Ob es besser sei, nach gewissen, beschriebenen, vnnd sonst be-
Rechtswiſſenſchaft. (Oldendorp.)
erſchienen die einzelnen Theile des Corpus juris — denn auch die Inſtitutionen konnten nach der Arbeit über die Pan- decten leicht verbeſſert werden — in einer der urſprünglichen Faſſung über alles Erwarten angenäherten Geſtalt.
Und mit der größten Freude ward nun dieſe Gabe von den Gelehrten empfangen.
Dem Kaiſer Carl, der in Juſtinian ſeinen Vorgänger, in deſſen Rechte ſein eigenes ſah, bemerkte Johann Olden- dorp, wie früher durch die verunſtalteten Geſetze die Rechts- übung ſelbſt unſicher geworden ſey, jetzt aber habe man Ge- ſetze und Conſtitutionen in ihrem urſprünglichen Wortlaut wie- der: ſeit vielen Jahrhunderten habe kein Volk etwas Ruhm- volleres erlebt. 1 Oldendorp verbarg ſich nicht, daß damit noch nicht alles was wünſchenswerth wäre geſchehen ſey. Sehr ſchmerzlich empfand er den Verluſt der alten Rechts- quellen, aus denen erſt volle Beſtimmtheit und Klarheit her- vorgehn würde. 2 Wenn ich ihn recht verſtehe, war ſeine Meinung, daß ſich das Syſtem auf der nunmehr gewon- nenen Grundlage wiſſenſchaftlich weiter ausbilden, und zum allgemeinen Recht aller Nationen erheben laſſe.
Aber auch Leute die nicht ſo weit giengen, ſahen doch in der Anwendung des geſchriebenen Rechtes eine Verbeſſe- rung. Ich finde überhaupt daß man weite Ausſichten er- griff, ſchon damals die Tortur verwarf, 3 die Confiſcation
1Variarum lectionum libri III. 1540. Dedication.
2Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ‒ ‒ ‒ quare non potuissent conservari?
3 Jacob Lerſener: Antwort, Bericht vnd Beweiß, Auff die Frage, Ob es beſſer ſei, nach gewiſſen, beſchriebenen, vnnd ſonſt be-
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Rechtswiſſenſchaft. (Oldendorp.)
erſchienen die einzelnen Theile des Corpus juris — denn
auch die Inſtitutionen konnten nach der Arbeit über die Pan-
decten leicht verbeſſert werden — in einer der urſprünglichen
Faſſung über alles Erwarten angenäherten Geſtalt.
Und mit der größten Freude ward nun dieſe Gabe von
den Gelehrten empfangen.
Dem Kaiſer Carl, der in Juſtinian ſeinen Vorgänger,
in deſſen Rechte ſein eigenes ſah, bemerkte Johann Olden-
dorp, wie früher durch die verunſtalteten Geſetze die Rechts-
übung ſelbſt unſicher geworden ſey, jetzt aber habe man Ge-
ſetze und Conſtitutionen in ihrem urſprünglichen Wortlaut wie-
der: ſeit vielen Jahrhunderten habe kein Volk etwas Ruhm-
volleres erlebt. 1 Oldendorp verbarg ſich nicht, daß damit
noch nicht alles was wünſchenswerth wäre geſchehen ſey.
Sehr ſchmerzlich empfand er den Verluſt der alten Rechts-
quellen, aus denen erſt volle Beſtimmtheit und Klarheit her-
vorgehn würde. 2 Wenn ich ihn recht verſtehe, war ſeine
Meinung, daß ſich das Syſtem auf der nunmehr gewon-
nenen Grundlage wiſſenſchaftlich weiter ausbilden, und zum
allgemeinen Recht aller Nationen erheben laſſe.
Aber auch Leute die nicht ſo weit giengen, ſahen doch
in der Anwendung des geſchriebenen Rechtes eine Verbeſſe-
rung. Ich finde überhaupt daß man weite Ausſichten er-
griff, ſchon damals die Tortur verwarf, 3 die Confiſcation
1 Variarum lectionum libri III. 1540. Dedication.
2 Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji, actiones
in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ‒ ‒ ‒
quare non potuissent conservari?
3 Jacob Lerſener: Antwort, Bericht vnd Beweiß, Auff die
Frage, Ob es beſſer ſei, nach gewiſſen, beſchriebenen, vnnd ſonſt be-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/485>, abgerufen am 21.06.2024.
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