Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Zehntes Buch. Achtes Capitel. und umzogen. Während sich in andern wissenschaftlichenZweigen die Critik zur Anschauung des Ächten erhob, hatte hier, seitdem der falsche Berosus erschienen war, der Wahn noch einmal um sich gegriffen. Wohl erhoben sich einzelne Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer so geschickt angelegt, daß sich die Gelehrsamkeit jener Zeit noch täuschen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng man recht absichtlich darauf weiter. Die Provinzialchronisten, unter denen sich gleichwohl einige entschiedene Talente finden, namentlich für die Erzählung, die sich dann und wann zu he- rodoteischer Anmuth entfaltet, machten sich fast ein Geschäft daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten. Unter diesen Umständen brauchte man nichts so dringend Flacius und dessen streng lutherischen Freunde, Wigand, 1 Sie beabsichtigen, wie es in der Vorrede heißt, quoddam
cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum maxima diligentia et solertia comparatum. Zehntes Buch. Achtes Capitel. und umzogen. Während ſich in andern wiſſenſchaftlichenZweigen die Critik zur Anſchauung des Ächten erhob, hatte hier, ſeitdem der falſche Beroſus erſchienen war, der Wahn noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben ſich einzelne Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer ſo geſchickt angelegt, daß ſich die Gelehrſamkeit jener Zeit noch täuſchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng man recht abſichtlich darauf weiter. Die Provinzialchroniſten, unter denen ſich gleichwohl einige entſchiedene Talente finden, namentlich für die Erzählung, die ſich dann und wann zu he- rodoteiſcher Anmuth entfaltet, machten ſich faſt ein Geſchäft daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten. Unter dieſen Umſtänden brauchte man nichts ſo dringend Flacius und deſſen ſtreng lutheriſchen Freunde, Wigand, 1 Sie beabſichtigen, wie es in der Vorrede heißt, quoddam
cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum maxima diligentia et solertia comparatum. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0504" n="492"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/> und umzogen. Während ſich in andern wiſſenſchaftlichen<lb/> Zweigen die Critik zur Anſchauung des Ächten erhob, hatte<lb/> hier, ſeitdem der falſche Beroſus erſchienen war, der Wahn<lb/> noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben ſich einzelne<lb/> Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer ſo<lb/> geſchickt angelegt, daß ſich die Gelehrſamkeit jener Zeit noch<lb/> täuſchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng<lb/> man recht abſichtlich darauf weiter. Die Provinzialchroniſten,<lb/> unter denen ſich gleichwohl einige entſchiedene Talente finden,<lb/> namentlich für die Erzählung, die ſich dann und wann zu he-<lb/> rodoteiſcher Anmuth entfaltet, machten ſich faſt ein Geſchäft<lb/> daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten.</p><lb/> <p>Unter dieſen Umſtänden brauchte man nichts ſo dringend<lb/> als eine durchgreifende Critik auf irgend einer Seite, welches<lb/> dieſelbe auch ſeyn mochte. Die Tendenz des Proteſtantismus<lb/> bewirkte, daß ſie zunächſt im kirchlichen Gebiete hervortrat.</p><lb/> <p>Flacius und deſſen ſtreng lutheriſchen Freunde, Wigand,<lb/> Judex, Baſ. Faber, vereinigten ſich unter einander und mit<lb/> einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfaſſung einer ausführ-<lb/> lichen Kirchengeſchichte. Sie hatten es dabei hauptſächlich<lb/> auf eine Sammlung urkundlicher Materialien über den Fort-<lb/> gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den<lb/> verſchiedenen Jahrhunderten abgeſehen, und ſchon dieſe Aus-<lb/> dehnung der Geſichtspuncte über den herkömmlichen Kreis<lb/> der Kenntniſſe muß als ein Verdienſt betrachtet werden. <note place="foot" n="1">Sie beabſichtigen, wie es in der Vorrede heißt, <hi rendition="#aq">quoddam<lb/> cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum<lb/> maxima diligentia et solertia comparatum</hi>.</note><lb/> Ein noch viel größeres war, daß ſie Ernſt damit machten,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [492/0504]
Zehntes Buch. Achtes Capitel.
und umzogen. Während ſich in andern wiſſenſchaftlichen
Zweigen die Critik zur Anſchauung des Ächten erhob, hatte
hier, ſeitdem der falſche Beroſus erſchienen war, der Wahn
noch einmal um ſich gegriffen. Wohl erhoben ſich einzelne
Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer ſo
geſchickt angelegt, daß ſich die Gelehrſamkeit jener Zeit noch
täuſchen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng
man recht abſichtlich darauf weiter. Die Provinzialchroniſten,
unter denen ſich gleichwohl einige entſchiedene Talente finden,
namentlich für die Erzählung, die ſich dann und wann zu he-
rodoteiſcher Anmuth entfaltet, machten ſich faſt ein Geſchäft
daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten.
Unter dieſen Umſtänden brauchte man nichts ſo dringend
als eine durchgreifende Critik auf irgend einer Seite, welches
dieſelbe auch ſeyn mochte. Die Tendenz des Proteſtantismus
bewirkte, daß ſie zunächſt im kirchlichen Gebiete hervortrat.
Flacius und deſſen ſtreng lutheriſchen Freunde, Wigand,
Judex, Baſ. Faber, vereinigten ſich unter einander und mit
einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfaſſung einer ausführ-
lichen Kirchengeſchichte. Sie hatten es dabei hauptſächlich
auf eine Sammlung urkundlicher Materialien über den Fort-
gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den
verſchiedenen Jahrhunderten abgeſehen, und ſchon dieſe Aus-
dehnung der Geſichtspuncte über den herkömmlichen Kreis
der Kenntniſſe muß als ein Verdienſt betrachtet werden. 1
Ein noch viel größeres war, daß ſie Ernſt damit machten,
1 Sie beabſichtigen, wie es in der Vorrede heißt, quoddam
cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum
maxima diligentia et solertia comparatum.
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