Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Hans Sachs. ken, 1 oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unschuldig-sinn-liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien- lust der Wiesen, Schönheit und Schmuck der Jung- frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu schildern. Überhaupt muß man ihm Zeit lassen und ihm nach- gehn. Seine Anfänge pflegen prosaisch und uneben zu seyn; weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre- ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt spendet er besonders die Lehre aus. Es ist ihm nicht ge- nug, in seinem Garten die schönsten und würzigsten Blu- men gepflanzt zu haben: er will auch kräftige Wasser, heil- same Säfte daraus abziehen, zur Stärkung der Geistig-schwa- chen. Religiöse Überzeugung und moralische Absicht sind aber in ihm eins und dasselbe. Mögen die Theologen über einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren diese Streitigkei- ten nicht: er hat eine sichere Weltanschauung gewonnen, die alles umfaßt, der sich alles was in sein Bereich kommt, von selbst unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir- dischen Dinge, und oft beschäftigt ihn die Vergänglichkeit derselben; man sieht wohl, daß dieser Gegensatz inneren Ein- druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi- gen Trost ergriffen, an dem ihm nichts irre machen kann. Diese Bildung, die doch auch von ihrem Standpunct 1 Gervinus Geschichte der poetischen Nationalliteratur II, 475. 32*
Hans Sachs. ken, 1 oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unſchuldig-ſinn-liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien- luſt der Wieſen, Schönheit und Schmuck der Jung- frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu ſchildern. Überhaupt muß man ihm Zeit laſſen und ihm nach- gehn. Seine Anfänge pflegen proſaiſch und uneben zu ſeyn; weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre- ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt ſpendet er beſonders die Lehre aus. Es iſt ihm nicht ge- nug, in ſeinem Garten die ſchönſten und würzigſten Blu- men gepflanzt zu haben: er will auch kräftige Waſſer, heil- ſame Säfte daraus abziehen, zur Stärkung der Geiſtig-ſchwa- chen. Religiöſe Überzeugung und moraliſche Abſicht ſind aber in ihm eins und daſſelbe. Mögen die Theologen über einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren dieſe Streitigkei- ten nicht: er hat eine ſichere Weltanſchauung gewonnen, die alles umfaßt, der ſich alles was in ſein Bereich kommt, von ſelbſt unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir- diſchen Dinge, und oft beſchäftigt ihn die Vergänglichkeit derſelben; man ſieht wohl, daß dieſer Gegenſatz inneren Ein- druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi- gen Troſt ergriffen, an dem ihm nichts irre machen kann. Dieſe Bildung, die doch auch von ihrem Standpunct 1 Gervinus Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur II, 475. 32*
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Hans Sachs.
ken, 1 oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unſchuldig-ſinn-
liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien-
luſt der Wieſen, Schönheit und Schmuck der Jung-
frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu
ſchildern. Überhaupt muß man ihm Zeit laſſen und ihm nach-
gehn. Seine Anfänge pflegen proſaiſch und uneben zu ſeyn;
weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre-
ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt
ſpendet er beſonders die Lehre aus. Es iſt ihm nicht ge-
nug, in ſeinem Garten die ſchönſten und würzigſten Blu-
men gepflanzt zu haben: er will auch kräftige Waſſer, heil-
ſame Säfte daraus abziehen, zur Stärkung der Geiſtig-ſchwa-
chen. Religiöſe Überzeugung und moraliſche Abſicht ſind
aber in ihm eins und daſſelbe. Mögen die Theologen über
einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren dieſe Streitigkei-
ten nicht: er hat eine ſichere Weltanſchauung gewonnen, die
alles umfaßt, der ſich alles was in ſein Bereich kommt,
von ſelbſt unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir-
diſchen Dinge, und oft beſchäftigt ihn die Vergänglichkeit
derſelben; man ſieht wohl, daß dieſer Gegenſatz inneren Ein-
druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi-
gen Troſt ergriffen, an dem ihm nichts irre machen kann.
Dieſe Bildung, die doch auch von ihrem Standpunct
aus die Welt umfaßt, und dieſe Geſinnung flößen uns Hoch-
achtung gegen den damaligen Stand der deutſchen Handwerker
ein, aus dem ſie hervorgieng. An vielen Orten wo von je-
her die Poeſie geblüht, fand man noch Meiſterſänger. Um
Hans Sachs hatten ſich deren, wie man ſagt, über zweihun-
1 Gervinus Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur II, 475.
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