Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Neuntes Buch. Zweites Capitel. fürsten in seiner Widersetzlichkeit bestärkt habe, nahm die Re-gierung den Gelehrten in Schutz, und ließ ihn wissen daß sie das that. Einst, auf einer Reise hat sie ihn sogar gleich als sey die dringendste Gefahr vorhanden einen Au- genblick entfernt: es schien ihm wohl als hänge von ihrer Gunst und Fürsprache sein ganzes Daseyn ab. Und zu die- sem Gefühl der Dankbarkeit kam noch ein andres. In den letzten Jahren hatte sich Melanchthon, aus Furcht den al- ternden Luther zu verletzen, nicht mit voller Freiheit bewegt, besonders seine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht wie er wünschte zu entwickeln gewagt; auch von dem am Wortlaut festhaltenden Hofe hatte er sich beschränkt gefühlt. In dem Umsturz der Regierung, unter deren Schirme die neue Lehre emporgekommen, sah doch Melanchthon auch wieder auf seinem wissenschaftlichen Standpuncte gleichsam eine Erleichterung. So geschah daß er sich dem neuen Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anschloß. Mit jenen Räthen, deren bloßer Name Luthers Wider- willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den Dr Komerstadt auf dessen Landgut besuchen, er correspondirt mit Carlowitz. Wer wollte ihn an und für sich darum ta- deln? Mit dem einen berieth er die Geschäfte der Univer- sität, die Herbeibringung der zerstreuten Einkünfte; bei dem andern suchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die Erlaubniß der Rückkehr an seine Stelle in Halle nach. Aber indem man diese Wendung seiner Hinneigung und Abhängigkeit beobachtet, erschrickt man schon vor der Gefahr, in welche seine persönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe- wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowitz für die Neuntes Buch. Zweites Capitel. fürſten in ſeiner Widerſetzlichkeit beſtärkt habe, nahm die Re-gierung den Gelehrten in Schutz, und ließ ihn wiſſen daß ſie das that. Einſt, auf einer Reiſe hat ſie ihn ſogar gleich als ſey die dringendſte Gefahr vorhanden einen Au- genblick entfernt: es ſchien ihm wohl als hänge von ihrer Gunſt und Fürſprache ſein ganzes Daſeyn ab. Und zu die- ſem Gefühl der Dankbarkeit kam noch ein andres. In den letzten Jahren hatte ſich Melanchthon, aus Furcht den al- ternden Luther zu verletzen, nicht mit voller Freiheit bewegt, beſonders ſeine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht wie er wünſchte zu entwickeln gewagt; auch von dem am Wortlaut feſthaltenden Hofe hatte er ſich beſchränkt gefühlt. In dem Umſturz der Regierung, unter deren Schirme die neue Lehre emporgekommen, ſah doch Melanchthon auch wieder auf ſeinem wiſſenſchaftlichen Standpuncte gleichſam eine Erleichterung. So geſchah daß er ſich dem neuen Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anſchloß. Mit jenen Räthen, deren bloßer Name Luthers Wider- willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den Dr Komerſtadt auf deſſen Landgut beſuchen, er correſpondirt mit Carlowitz. Wer wollte ihn an und für ſich darum ta- deln? Mit dem einen berieth er die Geſchäfte der Univer- ſität, die Herbeibringung der zerſtreuten Einkünfte; bei dem andern ſuchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die Erlaubniß der Rückkehr an ſeine Stelle in Halle nach. Aber indem man dieſe Wendung ſeiner Hinneigung und Abhängigkeit beobachtet, erſchrickt man ſchon vor der Gefahr, in welche ſeine perſönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe- wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowitz für die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. 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Neuntes Buch. Zweites Capitel.
fürſten in ſeiner Widerſetzlichkeit beſtärkt habe, nahm die Re-
gierung den Gelehrten in Schutz, und ließ ihn wiſſen daß
ſie das that. Einſt, auf einer Reiſe hat ſie ihn ſogar
gleich als ſey die dringendſte Gefahr vorhanden einen Au-
genblick entfernt: es ſchien ihm wohl als hänge von ihrer
Gunſt und Fürſprache ſein ganzes Daſeyn ab. Und zu die-
ſem Gefühl der Dankbarkeit kam noch ein andres. In den
letzten Jahren hatte ſich Melanchthon, aus Furcht den al-
ternden Luther zu verletzen, nicht mit voller Freiheit bewegt,
beſonders ſeine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht
wie er wünſchte zu entwickeln gewagt; auch von dem am
Wortlaut feſthaltenden Hofe hatte er ſich beſchränkt gefühlt.
In dem Umſturz der Regierung, unter deren Schirme die
neue Lehre emporgekommen, ſah doch Melanchthon auch
wieder auf ſeinem wiſſenſchaftlichen Standpuncte gleichſam
eine Erleichterung. So geſchah daß er ſich dem neuen
Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anſchloß.
Mit jenen Räthen, deren bloßer Name Luthers Wider-
willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den
Dr Komerſtadt auf deſſen Landgut beſuchen, er correſpondirt
mit Carlowitz. Wer wollte ihn an und für ſich darum ta-
deln? Mit dem einen berieth er die Geſchäfte der Univer-
ſität, die Herbeibringung der zerſtreuten Einkünfte; bei dem
andern ſuchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die
Erlaubniß der Rückkehr an ſeine Stelle in Halle nach. Aber
indem man dieſe Wendung ſeiner Hinneigung und Abhängigkeit
beobachtet, erſchrickt man ſchon vor der Gefahr, in welche
ſeine perſönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe-
wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowitz für die
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