Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16).Erwartungen hinaus jedoch konnte man nichts Gewisses behaupten. Die Jede Schilderung der Rolle, welche die Frauen bei den Wahlen von Erwartungen hinaus jedoch konnte man nichts Gewisses behaupten. Die Jede Schilderung der Rolle, welche die Frauen bei den Wahlen von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="16"/> Erwartungen hinaus jedoch konnte man nichts Gewisses behaupten. Die<lb/> grosse Menge erwartete einen Zudrang und eine Verwirrung, trotzdem doppelt<lb/> so viel Wahlbuden vorbereitet worden waren als sonst. Gar manch besorgter<lb/> Wahlagent konnte Nächte vorher nicht mehr schlafen oder träumte von be-<lb/> geisterten Anhängerinnen, die auf den Stimmzetteln aus Versehen den Namen<lb/> seines Kandidaten statt des Namens des Gegners ausstrichen. In Neuseeland<lb/> finden sämtliche Parlamentswahlen an <hi rendition="#g">einem</hi> Tage statt, und 1893 war der<lb/> Wahltag für den 28. November festgesetzt worden. Die Frauen begannen<lb/> zeitig – gegen 9 Uhr – abzustimmen und infolge eines freundschaftlichen<lb/> Übereinkommens wurden ihnen in den Städten bestimmte Wahlbuden bis zur<lb/> Mittagsstunde überlassen. Die Neuseeländer Wähler dürfen bei jeder be-<lb/> liebigen Wahlurne ihres Bezirkes abstimmen. In mehreren Bezirken trugen<lb/> die Wahlkomitees dafür Sorge, dass die erste Stimme von einer Frau abge-<lb/> geben werde. Die Gattinnen der Arbeiter brachen frühzeitig vom Hause auf<lb/> und legten für den Gang zum nächsten Wahlplatze ihren besten Staat an.<lb/> Zuweilen wurden sie von ihren männlichen Verwandten begleitet, denn der<lb/> Wahltag galt überall als allgemeiner Feiertag. Oft besprachen die Frauen<lb/> benachbarter Familien einen gemeinsamen Ausflug und machten sich zu-<lb/> sammen auf den Weg. Zwischen zwölf und zwei Uhr verdrängte die Mittag-<lb/> mahlzeit die Politik; nachmittags strömten die Frauen abermals zu den Wahl-<lb/> buden und hatten bis zur Theezeit fast alle abgestimmt, ehe der Andrang der<lb/> Arbeiter zu den Wahlurnen sich fühlbar zu machen anfing. Alles ging höf-<lb/> lich und in Ordnung, ohne Roheit, Balgerei oder Hysterie vor sich. Gut-<lb/> mütige Nachbarn übernahmen es, abwechselnd nach den Kindern zu sehen,<lb/> bis die Abstimmung erfolgt war. Jede Frau versah sich gewissenhaft mit<lb/> ihrer Nummer und im grossen Ganzen überstanden die Novizen die Feuer-<lb/> probe mit Erfolg. Das Verhältnis der verdorbenen Stimmzettel war nur um<lb/> ein geringeres grösser als bei früheren Wahlen. Als die Wahlbuden um<lb/> 7 Uhr abends geschlossen wurden, hatten 90000 Frauen friedlich abgestimmt.<lb/> In den Städten warteten von 9 Uhr an Gruppen von Männern und Frauen in<lb/> den Strassen geduldig auf das Resultat der Wahlen nicht blos ihres Bezirkes,<lb/> sondern des ganzen Bundesstaates. Die Tausende von Bürgern hielten eine<lb/> musterhafte Ordnung aufrecht. Sie plauderten, lachten und schwatzten, die<lb/> Kinder rannten jauchzend umher. Keine Spur von Trunkenbolden oder Bru-<lb/> talitäten. Jede Partei begrüsste die auf die Anschlagsäulen gehefteten Er-<lb/> gebnisse mit Abwehr oder Akklamation. Das Interesse war wohl ein leb-<lb/> haftes; da es aber keine unverantwortliche, zu rohen Scherzen geneigte Menge<lb/> ohne Stimmrecht gab, kam es auch nicht zu Ausschreitungen. Kurz nach<lb/> Mitternacht war es im ganzen Lande bekannt, dass die Progressisten den Sieg<lb/> davon getragen hatten, und mit einem Seufzer der Erleichterung oder der<lb/> Resignation ging die Kolonie nüchtern zu Bette.</p><lb/> <p>Jede Schilderung der Rolle, welche die Frauen bei den Wahlen von<lb/> 1893 spielten, hat mit geringen Änderungen auch für die Wahlen von 1896<lb/> und 1899 Geltung. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Gefühl<lb/> der Neuheit und Nervosität schon vorüber war. Die Frauen fuhren fort, ohne<lb/> Störung oder Verhinderung den weitesten Gebrauch von ihrem Wahlrechte<lb/> zu machen – sie wurden im Gegenteil dazu ausdrücklich ermuntert. In<lb/> mehreren Wahlbezirken übertraf die Anzahl der weiblichen Wähler jene der<lb/>   </p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0018]
Erwartungen hinaus jedoch konnte man nichts Gewisses behaupten. Die
grosse Menge erwartete einen Zudrang und eine Verwirrung, trotzdem doppelt
so viel Wahlbuden vorbereitet worden waren als sonst. Gar manch besorgter
Wahlagent konnte Nächte vorher nicht mehr schlafen oder träumte von be-
geisterten Anhängerinnen, die auf den Stimmzetteln aus Versehen den Namen
seines Kandidaten statt des Namens des Gegners ausstrichen. In Neuseeland
finden sämtliche Parlamentswahlen an einem Tage statt, und 1893 war der
Wahltag für den 28. November festgesetzt worden. Die Frauen begannen
zeitig – gegen 9 Uhr – abzustimmen und infolge eines freundschaftlichen
Übereinkommens wurden ihnen in den Städten bestimmte Wahlbuden bis zur
Mittagsstunde überlassen. Die Neuseeländer Wähler dürfen bei jeder be-
liebigen Wahlurne ihres Bezirkes abstimmen. In mehreren Bezirken trugen
die Wahlkomitees dafür Sorge, dass die erste Stimme von einer Frau abge-
geben werde. Die Gattinnen der Arbeiter brachen frühzeitig vom Hause auf
und legten für den Gang zum nächsten Wahlplatze ihren besten Staat an.
Zuweilen wurden sie von ihren männlichen Verwandten begleitet, denn der
Wahltag galt überall als allgemeiner Feiertag. Oft besprachen die Frauen
benachbarter Familien einen gemeinsamen Ausflug und machten sich zu-
sammen auf den Weg. Zwischen zwölf und zwei Uhr verdrängte die Mittag-
mahlzeit die Politik; nachmittags strömten die Frauen abermals zu den Wahl-
buden und hatten bis zur Theezeit fast alle abgestimmt, ehe der Andrang der
Arbeiter zu den Wahlurnen sich fühlbar zu machen anfing. Alles ging höf-
lich und in Ordnung, ohne Roheit, Balgerei oder Hysterie vor sich. Gut-
mütige Nachbarn übernahmen es, abwechselnd nach den Kindern zu sehen,
bis die Abstimmung erfolgt war. Jede Frau versah sich gewissenhaft mit
ihrer Nummer und im grossen Ganzen überstanden die Novizen die Feuer-
probe mit Erfolg. Das Verhältnis der verdorbenen Stimmzettel war nur um
ein geringeres grösser als bei früheren Wahlen. Als die Wahlbuden um
7 Uhr abends geschlossen wurden, hatten 90000 Frauen friedlich abgestimmt.
In den Städten warteten von 9 Uhr an Gruppen von Männern und Frauen in
den Strassen geduldig auf das Resultat der Wahlen nicht blos ihres Bezirkes,
sondern des ganzen Bundesstaates. Die Tausende von Bürgern hielten eine
musterhafte Ordnung aufrecht. Sie plauderten, lachten und schwatzten, die
Kinder rannten jauchzend umher. Keine Spur von Trunkenbolden oder Bru-
talitäten. Jede Partei begrüsste die auf die Anschlagsäulen gehefteten Er-
gebnisse mit Abwehr oder Akklamation. Das Interesse war wohl ein leb-
haftes; da es aber keine unverantwortliche, zu rohen Scherzen geneigte Menge
ohne Stimmrecht gab, kam es auch nicht zu Ausschreitungen. Kurz nach
Mitternacht war es im ganzen Lande bekannt, dass die Progressisten den Sieg
davon getragen hatten, und mit einem Seufzer der Erleichterung oder der
Resignation ging die Kolonie nüchtern zu Bette.
Jede Schilderung der Rolle, welche die Frauen bei den Wahlen von
1893 spielten, hat mit geringen Änderungen auch für die Wahlen von 1896
und 1899 Geltung. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Gefühl
der Neuheit und Nervosität schon vorüber war. Die Frauen fuhren fort, ohne
Störung oder Verhinderung den weitesten Gebrauch von ihrem Wahlrechte
zu machen – sie wurden im Gegenteil dazu ausdrücklich ermuntert. In
mehreren Wahlbezirken übertraf die Anzahl der weiblichen Wähler jene der
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(2018-12-06T12:34:34Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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