Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16).Zwei Monate früher ereignete sich dasjenige, was viele Beobachter für Ich will nur noch kurz den Verlauf der Wahlrechtagitation in jenen IV. In den Kolonien, die das Experiment gemacht haben, hat die Erfahrung Zwei Monate früher ereignete sich dasjenige, was viele Beobachter für Ich will nur noch kurz den Verlauf der Wahlrechtagitation in jenen IV. In den Kolonien, die das Experiment gemacht haben, hat die Erfahrung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0026" n="24"/> <p>Zwei Monate früher ereignete sich dasjenige, was viele Beobachter für<lb/> den grössten bisher errungenen Erfolg der Anhänger des Frauenwahlrechtes<lb/> bezeichnen dürften. Das Prinzip wurde in seiner ausgedehntesten Form vom<lb/> Bundesparlament angenommen. Ja noch mehr, es wurde friedlich, ohne die<lb/> geringste öffentliche Erregung adoptiert. Seine Anwendung in drei Bundes-<lb/> staaten hatte bereits seine Harmlosigkeit erwiesen, was auch die heftigsten<lb/> Gegner zugestehen mussten. Wohl behaupteten die letzteren auch, dass es<lb/> nichts Vorteilhaftes geleistet hätte; aber es fanden sich Verteidiger, die anders<lb/> dachten, und viele Parlamentsmitglieder waren geneigt, zu glauben, dass die<lb/> wohltätigen Folgen in besseren Zeiten eintreten werden und willens, dafür<lb/> eine billige Frist zu gewähren. Die Opposition war eine höchst sanfte.</p><lb/> <p>Ich will nur noch kurz den Verlauf der Wahlrechtagitation in jenen<lb/> Bundesstaaten berühren, in denen die Frauen derzeit noch kein Stimmrecht<lb/> besitzen. In Queensland und Tasmanien hat die Frage des Frauenwahlrechtes<lb/> keinerlei nennenswertes Interesse erweckt. ln Victoria ist es im Unterhause<lb/> des Parlamentes wiederholt durchgedrungen, um im Oberhause regelmässig<lb/> abgelehnt zu werden.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>IV.</head><lb/> <p>In den Kolonien, die das Experiment gemacht haben, hat die Erfahrung<lb/> gezeigt, dass die Frauen vom Stimmrecht Gebrauch machen, wenn sie es er-<lb/> halten. Sie fürchten sich nicht, die Wahlurnen aufzusuchen. Auch versuchen<lb/> es die Männer keiner Berufsklasse, sie hieran zu hindern. Bei den Wahlen<lb/> giebt es keine Anzeichen von Unordnung. Der Zudrang der Frauen zu den<lb/> Wahlbuden hat keine Unzukömmlichkeiten oder Roheiten im Gefolge gehabt.<lb/> Die weiblichen Wähler als besondere Klasse eignen sich nicht, zur Zielscheibe<lb/> des Spottes oder der Karikatur. Einige junge Herrchen der Cambridger<lb/> Universität in England bekundeten 1897 mehr gröbliche Unverschämtheit gegen<lb/> das weibliche Geschlecht, als der Strassenpöbel dreier australischer Bundes-<lb/> staaten binnen acht Jahren. Die Wahlen waren in früheren Jahren ruhig<lb/> und sie sind es auch heute. Die einst so häufigen Schilderungen vermeint-<lb/> licher häuslicher Misshelligkeiten, vergessener Kinder, vernachlässigter Gatten,<lb/> ungekochter Diners, nachlässiger Kleidung und Haltung als Folgen des weib-<lb/> lichen Stimmrechts sind fast ganz aus dem Gedächtnisse geschwunden. Wahl-<lb/> ausschüsse berichten, dass Familien, die unter einem Dache wohnen, fast<lb/> immer für dieselbe Partei abstimmen. Es ist ein alltäglicher Anblick, Mann,<lb/> Gattin und erwachsene Kinder zusammen fröhlich nach den Wahllokalen pil-<lb/> gern zu sehen. Das Familienoberhaupt ist ein wichtigerer politischer Faktor<lb/> geworden als ehedem. Die Dienstboten folgen oft der Leitung des Herrn<lb/> und der Herrin, obgleich es, wenn die letzteren konservativ sind, vorkommt,<lb/> dass die Dienerschaft mit ihrer eigenen Klasse abzustimmen pflegt. Von den<lb/> Katholiken stimmen die Irländer zumeist so, wie die Kirche sie dirigiert,<lb/> wenn diese es überhaupt tut. Man kann derzeit nicht das geringste Anzeichen<lb/> irgend einer beginnenden Umwälzung in Kleidung oder Lebensweise entdecken<lb/> – kein Tragen von Gamaschen, kein Zigarettenrauchen, keine Verachtung<lb/> der Ehe. Das Wahlrecht hat weder zu getrennten Haushaltungen, noch zu<lb/> geteilten Rockschössen geführt. Es giebt wahrscheinlich zwanzigmal mehr<lb/> „neue Frauen“ in London als in sämtlichen sieben australischen Bundesstaaten,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0026]
Zwei Monate früher ereignete sich dasjenige, was viele Beobachter für
den grössten bisher errungenen Erfolg der Anhänger des Frauenwahlrechtes
bezeichnen dürften. Das Prinzip wurde in seiner ausgedehntesten Form vom
Bundesparlament angenommen. Ja noch mehr, es wurde friedlich, ohne die
geringste öffentliche Erregung adoptiert. Seine Anwendung in drei Bundes-
staaten hatte bereits seine Harmlosigkeit erwiesen, was auch die heftigsten
Gegner zugestehen mussten. Wohl behaupteten die letzteren auch, dass es
nichts Vorteilhaftes geleistet hätte; aber es fanden sich Verteidiger, die anders
dachten, und viele Parlamentsmitglieder waren geneigt, zu glauben, dass die
wohltätigen Folgen in besseren Zeiten eintreten werden und willens, dafür
eine billige Frist zu gewähren. Die Opposition war eine höchst sanfte.
Ich will nur noch kurz den Verlauf der Wahlrechtagitation in jenen
Bundesstaaten berühren, in denen die Frauen derzeit noch kein Stimmrecht
besitzen. In Queensland und Tasmanien hat die Frage des Frauenwahlrechtes
keinerlei nennenswertes Interesse erweckt. ln Victoria ist es im Unterhause
des Parlamentes wiederholt durchgedrungen, um im Oberhause regelmässig
abgelehnt zu werden.
IV.
In den Kolonien, die das Experiment gemacht haben, hat die Erfahrung
gezeigt, dass die Frauen vom Stimmrecht Gebrauch machen, wenn sie es er-
halten. Sie fürchten sich nicht, die Wahlurnen aufzusuchen. Auch versuchen
es die Männer keiner Berufsklasse, sie hieran zu hindern. Bei den Wahlen
giebt es keine Anzeichen von Unordnung. Der Zudrang der Frauen zu den
Wahlbuden hat keine Unzukömmlichkeiten oder Roheiten im Gefolge gehabt.
Die weiblichen Wähler als besondere Klasse eignen sich nicht, zur Zielscheibe
des Spottes oder der Karikatur. Einige junge Herrchen der Cambridger
Universität in England bekundeten 1897 mehr gröbliche Unverschämtheit gegen
das weibliche Geschlecht, als der Strassenpöbel dreier australischer Bundes-
staaten binnen acht Jahren. Die Wahlen waren in früheren Jahren ruhig
und sie sind es auch heute. Die einst so häufigen Schilderungen vermeint-
licher häuslicher Misshelligkeiten, vergessener Kinder, vernachlässigter Gatten,
ungekochter Diners, nachlässiger Kleidung und Haltung als Folgen des weib-
lichen Stimmrechts sind fast ganz aus dem Gedächtnisse geschwunden. Wahl-
ausschüsse berichten, dass Familien, die unter einem Dache wohnen, fast
immer für dieselbe Partei abstimmen. Es ist ein alltäglicher Anblick, Mann,
Gattin und erwachsene Kinder zusammen fröhlich nach den Wahllokalen pil-
gern zu sehen. Das Familienoberhaupt ist ein wichtigerer politischer Faktor
geworden als ehedem. Die Dienstboten folgen oft der Leitung des Herrn
und der Herrin, obgleich es, wenn die letzteren konservativ sind, vorkommt,
dass die Dienerschaft mit ihrer eigenen Klasse abzustimmen pflegt. Von den
Katholiken stimmen die Irländer zumeist so, wie die Kirche sie dirigiert,
wenn diese es überhaupt tut. Man kann derzeit nicht das geringste Anzeichen
irgend einer beginnenden Umwälzung in Kleidung oder Lebensweise entdecken
– kein Tragen von Gamaschen, kein Zigarettenrauchen, keine Verachtung
der Ehe. Das Wahlrecht hat weder zu getrennten Haushaltungen, noch zu
geteilten Rockschössen geführt. Es giebt wahrscheinlich zwanzigmal mehr
„neue Frauen“ in London als in sämtlichen sieben australischen Bundesstaaten,
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Zitationshilfe: | Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16), S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904/26>, abgerufen am 16.02.2025. |