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Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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verlernt die Dankbarkeit, welche sich nicht ausspricht, aber um so wahrer und tiefer empfindet. --

Sie ward bald schmuck und reif, die Knospe der Jungfräulichkeit schwoll, mit eigenem Wohlgefallen ruhte Sommer's Auge auf ihr und funkelte sonderbar. Wenn es ihr in der Schulzerei zu unheimlich wurde, besonders gegen Abend, wenn die Sonne hinter den westlichen Bergen verschwand und der Mond im Osten emporstieg, schlüpfte das schlanke Mädchen zum Thore hinaus wie ein Pfeil oder Mondesstrahl, hinüber in das arme Häuschen des Schusters Ignaz, der auf seinem Dreifuß saß und den Draht wichs'te. Sie setzte sich auf den andern Dreifuß und half ihm wohl auch; dabei erzählte ihr der Schuster Ignaz von seinem Sohne Martin, welcher in der "Kavallerie zu Pferde" diene, und jetzt wohl in Italien oder Hungarn stehen mochte. -- Da, sagte der Alte, wo du jetzt sitzest, ich bleibe beim Du, wenn du auch aufschießest wie ein Flachsstengel nach einem guten Regen, da, wo du sitzest, saß er immer und arbeitete und sang. Der Alte seufzte. -- Schreibt er Euch wohl auch? -- O ja! rief der Schuster, ich hab' nur seinen letzten Brief verlegt, sonst möcht' ich dir ihn wohl zeigen! Er wandte sich um und murmelte: wenn's wahr wär', der Lump! -- Kömmt er denn nicht bald heim? -- Kömmt Zeit, kömmt Rath! Siehst, Mädel, ich war auch Soldat! -- Wie lange? -- Nu, vierzehn -- Tage! -- So lange! und habt's Handwerk nicht verlernt? -- Wart' nur, du Kruzmalefiz! ich werd' dich lehren, mich zum

verlernt die Dankbarkeit, welche sich nicht ausspricht, aber um so wahrer und tiefer empfindet. —

Sie ward bald schmuck und reif, die Knospe der Jungfräulichkeit schwoll, mit eigenem Wohlgefallen ruhte Sommer's Auge auf ihr und funkelte sonderbar. Wenn es ihr in der Schulzerei zu unheimlich wurde, besonders gegen Abend, wenn die Sonne hinter den westlichen Bergen verschwand und der Mond im Osten emporstieg, schlüpfte das schlanke Mädchen zum Thore hinaus wie ein Pfeil oder Mondesstrahl, hinüber in das arme Häuschen des Schusters Ignaz, der auf seinem Dreifuß saß und den Draht wichs'te. Sie setzte sich auf den andern Dreifuß und half ihm wohl auch; dabei erzählte ihr der Schuster Ignaz von seinem Sohne Martin, welcher in der „Kavallerie zu Pferde“ diene, und jetzt wohl in Italien oder Hungarn stehen mochte. — Da, sagte der Alte, wo du jetzt sitzest, ich bleibe beim Du, wenn du auch aufschießest wie ein Flachsstengel nach einem guten Regen, da, wo du sitzest, saß er immer und arbeitete und sang. Der Alte seufzte. — Schreibt er Euch wohl auch? — O ja! rief der Schuster, ich hab' nur seinen letzten Brief verlegt, sonst möcht' ich dir ihn wohl zeigen! Er wandte sich um und murmelte: wenn's wahr wär', der Lump! — Kömmt er denn nicht bald heim? — Kömmt Zeit, kömmt Rath! Siehst, Mädel, ich war auch Soldat! — Wie lange? — Nu, vierzehn — Tage! — So lange! und habt's Handwerk nicht verlernt? — Wart' nur, du Kruzmalefiz! ich werd' dich lehren, mich zum

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[0018] verlernt die Dankbarkeit, welche sich nicht ausspricht, aber um so wahrer und tiefer empfindet. — Sie ward bald schmuck und reif, die Knospe der Jungfräulichkeit schwoll, mit eigenem Wohlgefallen ruhte Sommer's Auge auf ihr und funkelte sonderbar. Wenn es ihr in der Schulzerei zu unheimlich wurde, besonders gegen Abend, wenn die Sonne hinter den westlichen Bergen verschwand und der Mond im Osten emporstieg, schlüpfte das schlanke Mädchen zum Thore hinaus wie ein Pfeil oder Mondesstrahl, hinüber in das arme Häuschen des Schusters Ignaz, der auf seinem Dreifuß saß und den Draht wichs'te. Sie setzte sich auf den andern Dreifuß und half ihm wohl auch; dabei erzählte ihr der Schuster Ignaz von seinem Sohne Martin, welcher in der „Kavallerie zu Pferde“ diene, und jetzt wohl in Italien oder Hungarn stehen mochte. — Da, sagte der Alte, wo du jetzt sitzest, ich bleibe beim Du, wenn du auch aufschießest wie ein Flachsstengel nach einem guten Regen, da, wo du sitzest, saß er immer und arbeitete und sang. Der Alte seufzte. — Schreibt er Euch wohl auch? — O ja! rief der Schuster, ich hab' nur seinen letzten Brief verlegt, sonst möcht' ich dir ihn wohl zeigen! Er wandte sich um und murmelte: wenn's wahr wär', der Lump! — Kömmt er denn nicht bald heim? — Kömmt Zeit, kömmt Rath! Siehst, Mädel, ich war auch Soldat! — Wie lange? — Nu, vierzehn — Tage! — So lange! und habt's Handwerk nicht verlernt? — Wart' nur, du Kruzmalefiz! ich werd' dich lehren, mich zum

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:03:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:03:58Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/18>, abgerufen am 21.11.2024.