Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Da saß er des andern Tages finster und stumm, mit zusammengebissenen Zähnen, und flickte die Schuhe der Dörfler, gegen die er sich wie ein Gott vorkam; er schob Mittag die Brodsuppe bei Seite und ließ den Vater allein essen und beten, letzteres kam ihm geradezu lächerlich vor; er hätte gern aus vollem Halse geflucht. -- Schuster Ignaz redete des Tages oft recht sänftiglich zu ihm, auch warf er verstohlenerweise mitleidige Blicke auf den armen Kerl, der sich so erniedrigt vorkam durch die Arbeit, aber das half Alles nichts, Martin wollte nicht freundlicher werden. Abends warf der alte Meister zornig die Schürze ab, zog den langen Rock an, welchen man nicht eigentlich Sonntagsrock nennen konnte, da er für die Woche keinen zweiten hatte, und lief ins Städtchen hinab, sich in der Schenke einen Rausch zu trinken. -- Kaum war er fort, als Trude Martin überraschte; sie hatte rothgeweinte Augen und sah recht verstört aus. In ihrem Kummer bemerkte sie fast gar nicht oder nur leicht die Veränderung, welche mit Martin vorgegangen war; das hinderte ihn aber nicht, schamroth zu werden, die Schürze abzulegen, Ahle, Draht und Pech wegzuschleudern und Truden entschuldigend zu verstehen zu geben, er habe "aus Jux" seinem Vater helfen wollen. Als er ihr ins Gesicht schaute, um zu sehen, ob sie ihm auch glaube, bemerkte er erst ihren traurigen Zustand. Du hast geflennt! was hat's denn? fragte er. -- Du lieber Herrgott! die Mühle kriegt in acht Tagen den Da saß er des andern Tages finster und stumm, mit zusammengebissenen Zähnen, und flickte die Schuhe der Dörfler, gegen die er sich wie ein Gott vorkam; er schob Mittag die Brodsuppe bei Seite und ließ den Vater allein essen und beten, letzteres kam ihm geradezu lächerlich vor; er hätte gern aus vollem Halse geflucht. — Schuster Ignaz redete des Tages oft recht sänftiglich zu ihm, auch warf er verstohlenerweise mitleidige Blicke auf den armen Kerl, der sich so erniedrigt vorkam durch die Arbeit, aber das half Alles nichts, Martin wollte nicht freundlicher werden. Abends warf der alte Meister zornig die Schürze ab, zog den langen Rock an, welchen man nicht eigentlich Sonntagsrock nennen konnte, da er für die Woche keinen zweiten hatte, und lief ins Städtchen hinab, sich in der Schenke einen Rausch zu trinken. — Kaum war er fort, als Trude Martin überraschte; sie hatte rothgeweinte Augen und sah recht verstört aus. In ihrem Kummer bemerkte sie fast gar nicht oder nur leicht die Veränderung, welche mit Martin vorgegangen war; das hinderte ihn aber nicht, schamroth zu werden, die Schürze abzulegen, Ahle, Draht und Pech wegzuschleudern und Truden entschuldigend zu verstehen zu geben, er habe „aus Jux“ seinem Vater helfen wollen. Als er ihr ins Gesicht schaute, um zu sehen, ob sie ihm auch glaube, bemerkte er erst ihren traurigen Zustand. Du hast geflennt! was hat's denn? fragte er. — Du lieber Herrgott! die Mühle kriegt in acht Tagen den <TEI> <text> <body> <div n="0"> <pb facs="#f0039"/> <p>Da saß er des andern Tages finster und stumm, mit zusammengebissenen Zähnen, und flickte die Schuhe der Dörfler, gegen die er sich wie ein Gott vorkam; er schob Mittag die Brodsuppe bei Seite und ließ den Vater allein essen und beten, letzteres kam ihm geradezu lächerlich vor; er hätte gern aus vollem Halse geflucht. — Schuster Ignaz redete des Tages oft recht sänftiglich zu ihm, auch warf er verstohlenerweise mitleidige Blicke auf den armen Kerl, der sich so erniedrigt vorkam durch die Arbeit, aber das half Alles nichts, Martin wollte nicht freundlicher werden. Abends warf der alte Meister zornig die Schürze ab, zog den langen Rock an, welchen man nicht eigentlich Sonntagsrock nennen konnte, da er für die Woche keinen zweiten hatte, und lief ins Städtchen hinab, sich in der Schenke einen Rausch zu trinken. —</p><lb/> <p>Kaum war er fort, als Trude Martin überraschte; sie hatte rothgeweinte Augen und sah recht verstört aus. In ihrem Kummer bemerkte sie fast gar nicht oder nur leicht die Veränderung, welche mit Martin vorgegangen war; das hinderte ihn aber nicht, schamroth zu werden, die Schürze abzulegen, Ahle, Draht und Pech wegzuschleudern und Truden entschuldigend zu verstehen zu geben, er habe „aus Jux“ seinem Vater helfen wollen. Als er ihr ins Gesicht schaute, um zu sehen, ob sie ihm auch glaube, bemerkte er erst ihren traurigen Zustand. Du hast geflennt! was hat's denn? fragte er. — Du lieber Herrgott! die Mühle kriegt in acht Tagen den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Da saß er des andern Tages finster und stumm, mit zusammengebissenen Zähnen, und flickte die Schuhe der Dörfler, gegen die er sich wie ein Gott vorkam; er schob Mittag die Brodsuppe bei Seite und ließ den Vater allein essen und beten, letzteres kam ihm geradezu lächerlich vor; er hätte gern aus vollem Halse geflucht. — Schuster Ignaz redete des Tages oft recht sänftiglich zu ihm, auch warf er verstohlenerweise mitleidige Blicke auf den armen Kerl, der sich so erniedrigt vorkam durch die Arbeit, aber das half Alles nichts, Martin wollte nicht freundlicher werden. Abends warf der alte Meister zornig die Schürze ab, zog den langen Rock an, welchen man nicht eigentlich Sonntagsrock nennen konnte, da er für die Woche keinen zweiten hatte, und lief ins Städtchen hinab, sich in der Schenke einen Rausch zu trinken. —
Kaum war er fort, als Trude Martin überraschte; sie hatte rothgeweinte Augen und sah recht verstört aus. In ihrem Kummer bemerkte sie fast gar nicht oder nur leicht die Veränderung, welche mit Martin vorgegangen war; das hinderte ihn aber nicht, schamroth zu werden, die Schürze abzulegen, Ahle, Draht und Pech wegzuschleudern und Truden entschuldigend zu verstehen zu geben, er habe „aus Jux“ seinem Vater helfen wollen. Als er ihr ins Gesicht schaute, um zu sehen, ob sie ihm auch glaube, bemerkte er erst ihren traurigen Zustand. Du hast geflennt! was hat's denn? fragte er. — Du lieber Herrgott! die Mühle kriegt in acht Tagen den
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Zitationshilfe: | Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/39>, abgerufen am 16.07.2024. |