fremde Eindrücke, die dem inneren und äusseren Sinn noch zur Zeit übrig ist, wo er auf ganz andere Dinge haf- tet. Die Seele wechselt ihre Geschäffte. Dies kann sie nicht ohne einen inneren und zureichen- den Grund. Sie wechselt dieselben nach Regeln, die ihr die Besonnenheit an die Hand giebt. Daher die scheinbare Spontaneität in dem Gebrauche ihrer Kräfte nach den For- derungen der Vernunft.
Die Seele muss vermöge der Besonnenheit mitten in ihren Anstrengungen, ohne Abbruch derselben, dennoch ein so leises Gefühl gegen die Eindrücke der Welt und ihres Körpers, und gegen die Reproduktionen des Erinnerungsver- mögens beibehalten, dass in richtigen Verhält- nissen jedesmal diejenigen Gegenstände im Be- wusstseyn zur Klarheit kommen, die mit ihrem gegenwärtigen Interesse in Beziehung stehn. Sie muss stättig wirken, aber nicht absolut gefesselt seyn; auf das vorhandene Object haften können und dennoch alle Eindrücke der Welt, die der Zufall vorüberführt und das leise Anpochen des Erinnerungsvermögens fühlen, die vorüberschwe- benden Vorstellungen schnell beäugeln und auf der Flucht ihren Werth schätzen können. Dann lässt sie nichtige Dinge, fast ohne sich derselben bewusst zu werden, bey Seite liegen, hält sich aber auf der Stelle an, und richtet ihre Kraft auf das neue Object, wenn es von einem höhe-
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fremde Eindrücke, die dem inneren und äuſseren Sinn noch zur Zeit übrig iſt, wo er auf ganz andere Dinge haf- tet. Die Seele wechſelt ihre Geſchäffte. Dies kann ſie nicht ohne einen inneren und zureichen- den Grund. Sie wechſelt dieſelben nach Regeln, die ihr die Beſonnenheit an die Hand giebt. Daher die ſcheinbare Spontaneität in dem Gebrauche ihrer Kräfte nach den For- derungen der Vernunft.
Die Seele muſs vermöge der Beſonnenheit mitten in ihren Anſtrengungen, ohne Abbruch derſelben, dennoch ein ſo leiſes Gefühl gegen die Eindrücke der Welt und ihres Körpers, und gegen die Reproduktionen des Erinnerungsver- mögens beibehalten, daſs in richtigen Verhält- niſſen jedesmal diejenigen Gegenſtände im Be- wuſstſeyn zur Klarheit kommen, die mit ihrem gegenwärtigen Intereſſe in Beziehung ſtehn. Sie muſs ſtättig wirken, aber nicht abſolut gefeſſelt ſeyn; auf das vorhandene Object haften können und dennoch alle Eindrücke der Welt, die der Zufall vorüberführt und das leiſe Anpochen des Erinnerungsvermögens fühlen, die vorüberſchwe- benden Vorſtellungen ſchnell beäugeln und auf der Flucht ihren Werth ſchätzen können. Dann läſst ſie nichtige Dinge, faſt ohne ſich derſelben bewuſst zu werden, bey Seite liegen, hält ſich aber auf der Stelle an, und richtet ihre Kraft auf das neue Object, wenn es von einem höhe-
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fremde Eindrücke, die dem inneren
und äuſseren Sinn noch zur Zeit übrig
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tet. Die Seele wechſelt ihre Geſchäffte. Dies
kann ſie nicht ohne einen inneren und zureichen-
den Grund. Sie wechſelt dieſelben nach Regeln,
die ihr die Beſonnenheit an die Hand giebt.
Daher die ſcheinbare Spontaneität in dem
Gebrauche ihrer Kräfte nach den For-
derungen der Vernunft.
Die Seele muſs vermöge der Beſonnenheit
mitten in ihren Anſtrengungen, ohne Abbruch
derſelben, dennoch ein ſo leiſes Gefühl gegen
die Eindrücke der Welt und ihres Körpers, und
gegen die Reproduktionen des Erinnerungsver-
mögens beibehalten, daſs in richtigen Verhält-
niſſen jedesmal diejenigen Gegenſtände im Be-
wuſstſeyn zur Klarheit kommen, die mit ihrem
gegenwärtigen Intereſſe in Beziehung ſtehn. Sie
muſs ſtättig wirken, aber nicht abſolut gefeſſelt
ſeyn; auf das vorhandene Object haften können
und dennoch alle Eindrücke der Welt, die der
Zufall vorüberführt und das leiſe Anpochen des
Erinnerungsvermögens fühlen, die vorüberſchwe-
benden Vorſtellungen ſchnell beäugeln und auf
der Flucht ihren Werth ſchätzen können. Dann
läſst ſie nichtige Dinge, faſt ohne ſich derſelben
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/104>, abgerufen am 23.11.2024.
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