Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

die Temperatur der Kräfte des Gehirns gesteigert,
das Kraftverhältniss seiner Theile aufgelöst, die
Angel der Verbindung abgezogen ist, die Ge-
triebe einzeln und in dem Grade stärker wirken,
als die übrige Maschine ruht; so müssen aller-
dings auch eben solche eigenartige Wirkungen
erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her-
vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des
Seelenorgans nicht sichtbar werden konnten.

3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent
sind, sondern erst durch die Vegetation geschaf-
fen werden, lässt es sich begreifen, warum
dazu eine Weile erfordert werde
, wenn
ein Gegenstand vermittelst der Besonnenheit zum
klaren Bewusstseyn gelangen, und durch die Auf-
merksamkeit gehalten werden soll. In einer
weiten Landschaft erkennen wir bey einer raschen
Uebersicht alles verworren, und nur die Gegen-
stände deutlich, auf welchen wir länger haften.
Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge-
stellt, ob sie gleich Fläche genug hat, weil sie in
jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine
Zeit verweilt.

4) Eine Handlung in einem Theil
des Nervensystems wirkt als Erre-
gungsmittel auf einen anderen
. Das
Gehirn erregt den Nerven, dieser das Muskelsy-
stem; der äussere Sinn die Thätigkeit des inne-
ren; eine Vorstellung die andere. Die letzte Art
successiver Erregungen im Seelenorgan, sofern es

die Temperatur der Kräfte des Gehirns geſteigert,
das Kraftverhältniſs ſeiner Theile aufgelöſt, die
Angel der Verbindung abgezogen iſt, die Ge-
triebe einzeln und in dem Grade ſtärker wirken,
als die übrige Maſchine ruht; ſo müſſen aller-
dings auch eben ſolche eigenartige Wirkungen
erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her-
vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des
Seelenorgans nicht ſichtbar werden konnten.

3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent
ſind, ſondern erſt durch die Vegetation geſchaf-
fen werden, läſst es ſich begreifen, warum
dazu eine Weile erfordert werde
, wenn
ein Gegenſtand vermittelſt der Beſonnenheit zum
klaren Bewuſstſeyn gelangen, und durch die Auf-
merkſamkeit gehalten werden ſoll. In einer
weiten Landſchaft erkennen wir bey einer raſchen
Ueberſicht alles verworren, und nur die Gegen-
ſtände deutlich, auf welchen wir länger haften.
Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge-
ſtellt, ob ſie gleich Fläche genug hat, weil ſie in
jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine
Zeit verweilt.

4) Eine Handlung in einem Theil
des Nervenſyſtems wirkt als Erre-
gungsmittel auf einen anderen
. Das
Gehirn erregt den Nerven, dieſer das Muskelſy-
ſtem; der äuſsere Sinn die Thätigkeit des inne-
ren; eine Vorſtellung die andere. Die letzte Art
ſucceſſiver Erregungen im Seelenorgan, ſofern es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="117"/>
die Temperatur der Kräfte des Gehirns ge&#x017F;teigert,<lb/>
das Kraftverhältni&#x017F;s &#x017F;einer Theile aufgelö&#x017F;t, die<lb/>
Angel der Verbindung abgezogen i&#x017F;t, die Ge-<lb/>
triebe einzeln und in dem Grade &#x017F;tärker wirken,<lb/>
als die übrige Ma&#x017F;chine ruht; &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en aller-<lb/>
dings auch eben &#x017F;olche eigenartige Wirkungen<lb/>
erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her-<lb/>
vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des<lb/>
Seelenorgans nicht &#x017F;ichtbar werden konnten.</p><lb/>
          <p>3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;ondern er&#x017F;t durch die Vegetation ge&#x017F;chaf-<lb/>
fen werden, lä&#x017F;st es &#x017F;ich begreifen, <hi rendition="#g">warum<lb/>
dazu eine <hi rendition="#i">Weile</hi> erfordert werde</hi>, wenn<lb/>
ein Gegen&#x017F;tand vermittel&#x017F;t der Be&#x017F;onnenheit zum<lb/>
klaren Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn gelangen, und durch die Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit gehalten werden &#x017F;oll. In einer<lb/>
weiten Land&#x017F;chaft erkennen wir bey einer ra&#x017F;chen<lb/>
Ueber&#x017F;icht alles verworren, und nur die Gegen-<lb/>
&#x017F;tände deutlich, auf welchen wir länger haften.<lb/>
Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge-<lb/>
&#x017F;tellt, ob &#x017F;ie gleich Fläche genug hat, weil &#x017F;ie in<lb/>
jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine<lb/>
Zeit verweilt.</p><lb/>
          <p>4) <hi rendition="#g">Eine Handlung in einem Theil<lb/>
des Nerven&#x017F;y&#x017F;tems wirkt als Erre-<lb/>
gungsmittel auf einen anderen</hi>. Das<lb/>
Gehirn erregt den Nerven, die&#x017F;er das Muskel&#x017F;y-<lb/>
&#x017F;tem; der äu&#x017F;sere Sinn die Thätigkeit des inne-<lb/>
ren; eine Vor&#x017F;tellung die andere. Die letzte Art<lb/>
&#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;iver Erregungen im Seelenorgan, &#x017F;ofern es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0122] die Temperatur der Kräfte des Gehirns geſteigert, das Kraftverhältniſs ſeiner Theile aufgelöſt, die Angel der Verbindung abgezogen iſt, die Ge- triebe einzeln und in dem Grade ſtärker wirken, als die übrige Maſchine ruht; ſo müſſen aller- dings auch eben ſolche eigenartige Wirkungen erfolgen, und dunkle Parthieen in Klarheit her- vorgehn, die bey einer anderen Erleuchtung des Seelenorgans nicht ſichtbar werden konnten. 3) Sofern die Seelenkräfte nicht permanent ſind, ſondern erſt durch die Vegetation geſchaf- fen werden, läſst es ſich begreifen, warum dazu eine Weile erfordert werde, wenn ein Gegenſtand vermittelſt der Beſonnenheit zum klaren Bewuſstſeyn gelangen, und durch die Auf- merkſamkeit gehalten werden ſoll. In einer weiten Landſchaft erkennen wir bey einer raſchen Ueberſicht alles verworren, und nur die Gegen- ſtände deutlich, auf welchen wir länger haften. Eine Kanonenkugel im Fluge wird nicht vorge- ſtellt, ob ſie gleich Fläche genug hat, weil ſie in jedem Punkt des Raums eine unendlich kleine Zeit verweilt. 4) Eine Handlung in einem Theil des Nervenſyſtems wirkt als Erre- gungsmittel auf einen anderen. Das Gehirn erregt den Nerven, dieſer das Muskelſy- ſtem; der äuſsere Sinn die Thätigkeit des inne- ren; eine Vorſtellung die andere. Die letzte Art ſucceſſiver Erregungen im Seelenorgan, ſofern es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/122
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/122>, abgerufen am 23.11.2024.