Habsucht und andere Idole der menschlichen Schwäche führen auch auf diesem Strudel das Ru- der, wie auf dem Ocean der grossen Welt. Doch sind jene Narren in Bicetre und Bedlam offener und unschädlicher, als die aus dem gro- ssen Narren-Hause. Der Rachsüchtige gebeut, dass Feuer vom Himmel falle, und der eingebil- dete Heerführer glaubt, nach einem tollkühnen Plan, den halben Erdball mit dem Schwerdt zu zerstören. Doch rauchen keine Dörfer, und kei- ne Menschen winseln in ihrem Blute.
Wie wird uns beim Anblick dieser Horde vernunftloser Wesen, deren einige vielleicht ehe- mals einen Newton, Leibnitz oder Sterne zur Seite standen? Wo bleibt unser Glaube an un- sern ätherischen Ursprung, an die Immaterialität und Selbstständigkeit unseres Geistes und an an- dere Hyperbeln des Dichtungs-Vermögens, die im Drang zwischen Hoffen und Fürchten erfunden sind? Wie kann die nemliche Kraft in dem Ver- kehrten anders seyn und anders wirken? Wie kann sie, deren Wesen Thätigkeit ist, in dem Cretin Jahre lang schlummern? Wie kann sie mit jedem wechselnden Mond, gleich einem kalten Fie- ber, bald rasen, bald vernünftig seyn? Wie kann ein unvernünftiges Thier, das wie der Mensch toll, närrisch und dumm wird, durch ein zerbroche- nes Rad seiner Organisation eine Vernunft verlie- ren, die es nie gehabt hat? Mit jedem Gliede, mit jedem Sinnwerkzeuge des Körpers, wird ein
Habſucht und andere Idole der menſchlichen Schwäche führen auch auf dieſem Strudel das Ru- der, wie auf dem Ocean der groſsen Welt. Doch ſind jene Narren in Biçetre und Bedlam offener und unſchädlicher, als die aus dem gro- ſsen Narren-Hauſe. Der Rachſüchtige gebeut, daſs Feuer vom Himmel falle, und der eingebil- dete Heerführer glaubt, nach einem tollkühnen Plan, den halben Erdball mit dem Schwerdt zu zerſtören. Doch rauchen keine Dörfer, und kei- ne Menſchen winſeln in ihrem Blute.
Wie wird uns beim Anblick dieſer Horde vernunftloſer Weſen, deren einige vielleicht ehe- mals einen Newton, Leibnitz oder Sterne zur Seite ſtanden? Wo bleibt unſer Glaube an un- ſern ätheriſchen Urſprung, an die Immaterialität und Selbſtſtändigkeit unſeres Geiſtes und an an- dere Hyperbeln des Dichtungs-Vermögens, die im Drang zwiſchen Hoffen und Fürchten erfunden ſind? Wie kann die nemliche Kraft in dem Ver- kehrten anders ſeyn und anders wirken? Wie kann ſie, deren Weſen Thätigkeit iſt, in dem Cretin Jahre lang ſchlummern? Wie kann ſie mit jedem wechſelnden Mond, gleich einem kalten Fie- ber, bald raſen, bald vernünftig ſeyn? Wie kann ein unvernünftiges Thier, das wie der Menſch toll, närriſch und dumm wird, durch ein zerbroche- nes Rad ſeiner Organiſation eine Vernunft verlie- ren, die es nie gehabt hat? Mit jedem Gliede, mit jedem Sinnwerkzeuge des Körpers, wird ein
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Habſucht und andere Idole der menſchlichen
Schwäche führen auch auf dieſem Strudel das Ru-
der, wie auf dem Ocean der groſsen Welt. Doch
ſind jene Narren in Biçetre und Bedlam
offener und unſchädlicher, als die aus dem gro-
ſsen Narren-Hauſe. Der Rachſüchtige gebeut,
daſs Feuer vom Himmel falle, und der eingebil-
dete Heerführer glaubt, nach einem tollkühnen
Plan, den halben Erdball mit dem Schwerdt zu
zerſtören. Doch rauchen keine Dörfer, und kei-
ne Menſchen winſeln in ihrem Blute.
Wie wird uns beim Anblick dieſer Horde
vernunftloſer Weſen, deren einige vielleicht ehe-
mals einen Newton, Leibnitz oder Sterne
zur Seite ſtanden? Wo bleibt unſer Glaube an un-
ſern ätheriſchen Urſprung, an die Immaterialität
und Selbſtſtändigkeit unſeres Geiſtes und an an-
dere Hyperbeln des Dichtungs-Vermögens, die
im Drang zwiſchen Hoffen und Fürchten erfunden
ſind? Wie kann die nemliche Kraft in dem Ver-
kehrten anders ſeyn und anders wirken? Wie
kann ſie, deren Weſen Thätigkeit iſt, in dem
Cretin Jahre lang ſchlummern? Wie kann ſie mit
jedem wechſelnden Mond, gleich einem kalten Fie-
ber, bald raſen, bald vernünftig ſeyn? Wie kann ein
unvernünftiges Thier, das wie der Menſch toll,
närriſch und dumm wird, durch ein zerbroche-
nes Rad ſeiner Organiſation eine Vernunft verlie-
ren, die es nie gehabt hat? Mit jedem Gliede,
mit jedem Sinnwerkzeuge des Körpers, wird ein
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/13>, abgerufen am 23.11.2024.
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