ben, sie auszudrücken, das Gedächtniss wenige derselben festhalten kann. Meistens sind sie ohne Einwirkung auf die Willenskraft. Der Verstand ist passiver Zuschauer, er staunt oft über den ver- wirrten Zustand seiner Oekonomie, ordnet gar Mittel zur Heilung an, aber ohne Erfolg. Di- rect sind wir zwar eigentlich nie Meister unserer Vorstellungen; aber uns stehen indirekte Mittel zu ihrer Leitung zu Gebote. Wir ändern nem- lich die Objekte und erregen neue Ideenreihen, durch welche die vorhandenen modificirt oder getilgt werden. Diese Mittel versagen aber in dem vorliegenden Fall ihren Dienst.
Ideenjagden kommen selten einfach, mei- stens in Gesellschaft anderer Nervenkrankheiten, namentlich im Wahnsinn und besonders in der Tobsucht und in der Narrheit vor. Der Tobsüchtige handelt ohne Zusammenhang seiner Handlungen mit Vorstellungen, ohne sich eines Zwecks derselben klar bewusst zu seyn. Daran ist freilich hauptsächlich der blinde Willensdrang schuld. Doch ich habe grossen Verdacht, dass ein isolirter Zustand seiner Vorstellungen und ihre schnelle Flucht auch einigen Antheil an den Aeusserungen seiner Krankheit haben. Er han- delt im Gefolge des Stosses einer Idee, die aber so schnell von einer andern verdrängt wird, dass er zur Zeit der Handlung kein Bewusstseyn der- selben mehr hat. Auch in der Narrheit finden wir dies schnelle Treiben unzusammenhängender
ben, ſie auszudrücken, das Gedächtniſs wenige derſelben feſthalten kann. Meiſtens ſind ſie ohne Einwirkung auf die Willenskraft. Der Verſtand iſt paſſiver Zuſchauer, er ſtaunt oft über den ver- wirrten Zuſtand ſeiner Oekonomie, ordnet gar Mittel zur Heilung an, aber ohne Erfolg. Di- rect ſind wir zwar eigentlich nie Meiſter unſerer Vorſtellungen; aber uns ſtehen indirekte Mittel zu ihrer Leitung zu Gebote. Wir ändern nem- lich die Objekte und erregen neue Ideenreihen, durch welche die vorhandenen modificirt oder getilgt werden. Dieſe Mittel verſagen aber in dem vorliegenden Fall ihren Dienſt.
Ideenjagden kommen ſelten einfach, mei- ſtens in Geſellſchaft anderer Nervenkrankheiten, namentlich im Wahnſinn und beſonders in der Tobſucht und in der Narrheit vor. Der Tobſüchtige handelt ohne Zuſammenhang ſeiner Handlungen mit Vorſtellungen, ohne ſich eines Zwecks derſelben klar bewuſst zu ſeyn. Daran iſt freilich hauptſächlich der blinde Willensdrang ſchuld. Doch ich habe groſsen Verdacht, daſs ein iſolirter Zuſtand ſeiner Vorſtellungen und ihre ſchnelle Flucht auch einigen Antheil an den Aeuſserungen ſeiner Krankheit haben. Er han- delt im Gefolge des Stoſses einer Idee, die aber ſo ſchnell von einer andern verdrängt wird, daſs er zur Zeit der Handlung kein Bewuſstſeyn der- ſelben mehr hat. Auch in der Narrheit finden wir dies ſchnelle Treiben unzuſammenhängender
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ben, ſie auszudrücken, das Gedächtniſs wenige
derſelben feſthalten kann. Meiſtens ſind ſie ohne
Einwirkung auf die Willenskraft. Der Verſtand
iſt paſſiver Zuſchauer, er ſtaunt oft über den ver-
wirrten Zuſtand ſeiner Oekonomie, ordnet gar
Mittel zur Heilung an, aber ohne Erfolg. Di-
rect ſind wir zwar eigentlich nie Meiſter unſerer
Vorſtellungen; aber uns ſtehen indirekte Mittel
zu ihrer Leitung zu Gebote. Wir ändern nem-
lich die Objekte und erregen neue Ideenreihen,
durch welche die vorhandenen modificirt oder
getilgt werden. Dieſe Mittel verſagen aber in
dem vorliegenden Fall ihren Dienſt.
Ideenjagden kommen ſelten einfach, mei-
ſtens in Geſellſchaft anderer Nervenkrankheiten,
namentlich im Wahnſinn und beſonders in der
Tobſucht und in der Narrheit vor. Der
Tobſüchtige handelt ohne Zuſammenhang ſeiner
Handlungen mit Vorſtellungen, ohne ſich eines
Zwecks derſelben klar bewuſst zu ſeyn. Daran
iſt freilich hauptſächlich der blinde Willensdrang
ſchuld. Doch ich habe groſsen Verdacht, daſs
ein iſolirter Zuſtand ſeiner Vorſtellungen und
ihre ſchnelle Flucht auch einigen Antheil an den
Aeuſserungen ſeiner Krankheit haben. Er han-
delt im Gefolge des Stoſses einer Idee, die aber
ſo ſchnell von einer andern verdrängt wird, daſs
er zur Zeit der Handlung kein Bewuſstſeyn der-
ſelben mehr hat. Auch in der Narrheit finden
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/138>, abgerufen am 23.11.2024.
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