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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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Ueberzeugung nach einer Maxime der Vernunft
an, die in Krankheiten Hülfe zu suchen, das
Nützliche zu wollen und das Schädliche zu mei-
den gebietet. Er hat das Vermögen sich selbst zu
bestimmen, bedarf also keines äussern Zwangs
und kann deswegen von Mitteln Gebrauch ma-
chen, die ihrer Natur nach, keinem Zwang
unterworfen werden können. Ihm ist es möglich,
seinen Geist im Conflict mit den gewöhnlichen
Potenzen, die auf ihn einwirken, eigenmächtig
zu halten, wie es dem Zweck seiner Genesung
angemessen ist. Er kann endlich durch eine
höhere Ordnung psychischer Mittel, die auf den
Anbau des Verstandes wirken und dadurch der
Freiheit des Willens einen ausgedehnteren Spiel-
raum verschaffen, behandelt werden. Ganz
anders verhält es sich mit Menschen, die dumm
und krank am Geiste und daher unmündig
sind. Diesen fehlt das Vermögen zu einer ver-
nünftigen Selbstbestimmung. Sie müssen also fast
in jedem Moment durch äussere Verhältnisse, die
auf die Sinnlichkeit wirken, gehalten, d. h. durch
Zwang bestimmt werden, das zu thun, was sie
thun sollen. Wir stellen Lust dem Guten,
Schmerz dem Bösen zur Seite, ziehn dadurch das
Begehrungsvermögen mit jedem Schritt an die
rechte Bahn heran und nöthigen die Sinnlichkeit,
das zu wollen, was der Verstand billigt. Sofern
der Kranke von dem Zweck dieses Verfahrens
unterrichtet ist, wird er durch Belohnungen

Ueberzeugung nach einer Maxime der Vernunft
an, die in Krankheiten Hülfe zu ſuchen, das
Nützliche zu wollen und das Schädliche zu mei-
den gebietet. Er hat das Vermögen ſich ſelbſt zu
beſtimmen, bedarf alſo keines äuſsern Zwangs
und kann deswegen von Mitteln Gebrauch ma-
chen, die ihrer Natur nach, keinem Zwang
unterworfen werden können. Ihm iſt es möglich,
ſeinen Geiſt im Conflict mit den gewöhnlichen
Potenzen, die auf ihn einwirken, eigenmächtig
zu halten, wie es dem Zweck ſeiner Geneſung
angemeſſen iſt. Er kann endlich durch eine
höhere Ordnung pſychiſcher Mittel, die auf den
Anbau des Verſtandes wirken und dadurch der
Freiheit des Willens einen ausgedehnteren Spiel-
raum verſchaffen, behandelt werden. Ganz
anders verhält es ſich mit Menſchen, die dumm
und krank am Geiſte und daher unmündig
ſind. Dieſen fehlt das Vermögen zu einer ver-
nünftigen Selbſtbeſtimmung. Sie müſſen alſo faſt
in jedem Moment durch äuſsere Verhältniſſe, die
auf die Sinnlichkeit wirken, gehalten, d. h. durch
Zwang beſtimmt werden, das zu thun, was ſie
thun ſollen. Wir ſtellen Luſt dem Guten,
Schmerz dem Böſen zur Seite, ziehn dadurch das
Begehrungsvermögen mit jedem Schritt an die
rechte Bahn heran und nöthigen die Sinnlichkeit,
das zu wollen, was der Verſtand billigt. Sofern
der Kranke von dem Zweck dieſes Verfahrens
unterrichtet iſt, wird er durch Belohnungen

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[152/0157] Ueberzeugung nach einer Maxime der Vernunft an, die in Krankheiten Hülfe zu ſuchen, das Nützliche zu wollen und das Schädliche zu mei- den gebietet. Er hat das Vermögen ſich ſelbſt zu beſtimmen, bedarf alſo keines äuſsern Zwangs und kann deswegen von Mitteln Gebrauch ma- chen, die ihrer Natur nach, keinem Zwang unterworfen werden können. Ihm iſt es möglich, ſeinen Geiſt im Conflict mit den gewöhnlichen Potenzen, die auf ihn einwirken, eigenmächtig zu halten, wie es dem Zweck ſeiner Geneſung angemeſſen iſt. Er kann endlich durch eine höhere Ordnung pſychiſcher Mittel, die auf den Anbau des Verſtandes wirken und dadurch der Freiheit des Willens einen ausgedehnteren Spiel- raum verſchaffen, behandelt werden. Ganz anders verhält es ſich mit Menſchen, die dumm und krank am Geiſte und daher unmündig ſind. Dieſen fehlt das Vermögen zu einer ver- nünftigen Selbſtbeſtimmung. Sie müſſen alſo faſt in jedem Moment durch äuſsere Verhältniſſe, die auf die Sinnlichkeit wirken, gehalten, d. h. durch Zwang beſtimmt werden, das zu thun, was ſie thun ſollen. Wir ſtellen Luſt dem Guten, Schmerz dem Böſen zur Seite, ziehn dadurch das Begehrungsvermögen mit jedem Schritt an die rechte Bahn heran und nöthigen die Sinnlichkeit, das zu wollen, was der Verſtand billigt. Sofern der Kranke von dem Zweck dieſes Verfahrens unterrichtet iſt, wird er durch Belohnungen

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/157>, abgerufen am 21.11.2024.