im Hintergrunde versteckt und speien die Maxi- men aus, nach welchen die übertünchten Men- schen-Gruppen gegenseitig auf einander wirken. Doch verstösst diese Handlungs-Weise nicht allein gegen die Pflichten, die wir Andern schuldig sind, sondern sogar gegen unser eignes Interesse. Ver- rückte, die sich nicht selbst rathen und dem Be- truge Betrug entgegen stellen können, leiden an einem Gebrechen, das in der Menschheit selbst gegründet ist, dem wir also alle, mehr als jedem anderen, offen liegen, und das wir, weder durch Verstand, noch durch Rang und Reichthum ab- halten können. Moralische und physische Poten- zen, der Anfall eines hitzigen Fiebers und ein unvermeidlicher Stoss des Verhängnisses, der einzelne Familien oder ganze Staaten erschüttert, können uns für immer einen Platz im Tollhause anweisen. Wunderlich treibt das Glück sein Spiel mit dem Menschen. Es windet ihn zum Diadem hinauf, und pfropft denn darauf, wie auf der Kutte des Bettlers, dies Extrem des Missgeschicks. So greifen auch hier Kopf und Schwanz dieser Schlange zusammen. Erst im Jahre 1772, sagt Langermann*), sind die Stellen für Wahnsin- nige in den öffentlichen Häusern zu Torgau und Waldheim verdoppelt, und zwanzig Jahre nach- her fehlte es schon wieder an Raum, alle zuströmen-
*) Diss. de Methodo cognoscendi curandique animi morbos stabilienda, Jenae 1797. p. 3.
im Hintergrunde verſteckt und ſpeien die Maxi- men aus, nach welchen die übertünchten Men- ſchen-Gruppen gegenſeitig auf einander wirken. Doch verſtöſst dieſe Handlungs-Weiſe nicht allein gegen die Pflichten, die wir Andern ſchuldig ſind, ſondern ſogar gegen unſer eignes Intereſſe. Ver- rückte, die ſich nicht ſelbſt rathen und dem Be- truge Betrug entgegen ſtellen können, leiden an einem Gebrechen, das in der Menſchheit ſelbſt gegründet iſt, dem wir alſo alle, mehr als jedem anderen, offen liegen, und das wir, weder durch Verſtand, noch durch Rang und Reichthum ab- halten können. Moraliſche und phyſiſche Poten- zen, der Anfall eines hitzigen Fiebers und ein unvermeidlicher Stoſs des Verhängniſſes, der einzelne Familien oder ganze Staaten erſchüttert, können uns für immer einen Platz im Tollhauſe anweiſen. Wunderlich treibt das Glück ſein Spiel mit dem Menſchen. Es windet ihn zum Diadem hinauf, und pfropft denn darauf, wie auf der Kutte des Bettlers, dies Extrem des Miſsgeſchicks. So greifen auch hier Kopf und Schwanz dieſer Schlange zuſammen. Erſt im Jahre 1772, ſagt Langermann*), ſind die Stellen für Wahnſin- nige in den öffentlichen Häuſern zu Torgau und Waldheim verdoppelt, und zwanzig Jahre nach- her fehlte es ſchon wieder an Raum, alle zuſtrömen-
*) Diſſ. de Methodo cognoſcendi curandique animi morbos ſtabilienda, Jenae 1797. p. 3.
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im Hintergrunde verſteckt und ſpeien die Maxi-
men aus, nach welchen die übertünchten Men-
ſchen-Gruppen gegenſeitig auf einander wirken.
Doch verſtöſst dieſe Handlungs-Weiſe nicht allein
gegen die Pflichten, die wir Andern ſchuldig ſind,
ſondern ſogar gegen unſer eignes Intereſſe. Ver-
rückte, die ſich nicht ſelbſt rathen und dem Be-
truge Betrug entgegen ſtellen können, leiden an
einem Gebrechen, das in der Menſchheit ſelbſt
gegründet iſt, dem wir alſo alle, mehr als jedem
anderen, offen liegen, und das wir, weder durch
Verſtand, noch durch Rang und Reichthum ab-
halten können. Moraliſche und phyſiſche Poten-
zen, der Anfall eines hitzigen Fiebers und ein
unvermeidlicher Stoſs des Verhängniſſes, der
einzelne Familien oder ganze Staaten erſchüttert,
können uns für immer einen Platz im Tollhauſe
anweiſen. Wunderlich treibt das Glück ſein Spiel
mit dem Menſchen. Es windet ihn zum Diadem
hinauf, und pfropft denn darauf, wie auf der
Kutte des Bettlers, dies Extrem des Miſsgeſchicks.
So greifen auch hier Kopf und Schwanz dieſer
Schlange zuſammen. Erſt im Jahre 1772, ſagt
Langermann *), ſind die Stellen für Wahnſin-
nige in den öffentlichen Häuſern zu Torgau und
Waldheim verdoppelt, und zwanzig Jahre nach-
her fehlte es ſchon wieder an Raum, alle zuſtrömen-
*) Diſſ. de Methodo cognoſcendi curandique animi
morbos ſtabilienda, Jenae 1797. p. 3.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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