oder durch Erregung anderer Ideen aus den Au- gen rücken. Allein eins ist meistens so schwer als das andere. Man kränkt seine Eigenliebe, predigt tauben Ohren, oder findet keinen Gegen- stand von einem grösseren Interesse, der im Stande wäre, sich seiner zu bemeistern. In dieser Rück- sicht muss man gleichsam in die Leidenschaft des- selben einstimmen, um nur erst sein Zutrauen und seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihn dann allmälig durch zweckmässige Zerstreuungs- mittel von seiner fixen Idee ableiten. In der Re- convalescenz, wenn die Seele es wieder in ihrer Gewalt hat, sich der Grillen durch die Macht des Vorsatzes zu entschlagen, die ihrer Gesundheit gefährlich werden können, sind leichte Zerstreu- ungsmittel, Reisen, Gesellschaften und Spiele heilsam, und daher mehr für diese Periode als zur Heilung der Krankheit selbst geeignet. Der Patient heftet eigenmächtig auf Kleinigkeiten seine Aufmerksamkeit, um nach und nach dersel- ben wieder Meister zu werden. Die Art der Zerstreuung ist verschieden. Wir lassen eine un- unterbrochene Folge mannichfaltiger angenehmer und unangenehmer Eindrücke auf das Gemein- gefühl, das Auge und besonders auf das Ohr einfliessen und haben dabey keinesweges die Ab- sicht eine bestimmte Ideenreihe zu wecken, son- dern wollen vielmehr ein leichtes Spiel von Hirn- wirkungen erregen, um dadurch der Seele die Vorstellungen zu entrücken, auf welche sie hin-
oder durch Erregung anderer Ideen aus den Au- gen rücken. Allein eins iſt meiſtens ſo ſchwer als das andere. Man kränkt ſeine Eigenliebe, predigt tauben Ohren, oder findet keinen Gegen- ſtand von einem gröſseren Intereſſe, der im Stande wäre, ſich ſeiner zu bemeiſtern. In dieſer Rück- ſicht muſs man gleichſam in die Leidenſchaft deſ- ſelben einſtimmen, um nur erſt ſein Zutrauen und ſeine Aufmerkſamkeit zu gewinnen und ihn dann allmälig durch zweckmäſsige Zerſtreuungs- mittel von ſeiner fixen Idee ableiten. In der Re- convaleſcenz, wenn die Seele es wieder in ihrer Gewalt hat, ſich der Grillen durch die Macht des Vorſatzes zu entſchlagen, die ihrer Geſundheit gefährlich werden können, ſind leichte Zerſtreu- ungsmittel, Reiſen, Geſellſchaften und Spiele heilſam, und daher mehr für dieſe Periode als zur Heilung der Krankheit ſelbſt geeignet. Der Patient heftet eigenmächtig auf Kleinigkeiten ſeine Aufmerkſamkeit, um nach und nach derſel- ben wieder Meiſter zu werden. Die Art der Zerſtreuung iſt verſchieden. Wir laſſen eine un- unterbrochene Folge mannichfaltiger angenehmer und unangenehmer Eindrücke auf das Gemein- gefühl, das Auge und beſonders auf das Ohr einflieſsen und haben dabey keinesweges die Ab- ſicht eine beſtimmte Ideenreihe zu wecken, ſon- dern wollen vielmehr ein leichtes Spiel von Hirn- wirkungen erregen, um dadurch der Seele die Vorſtellungen zu entrücken, auf welche ſie hin-
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oder durch Erregung anderer Ideen aus den Au-
gen rücken. Allein eins iſt meiſtens ſo ſchwer
als das andere. Man kränkt ſeine Eigenliebe,
predigt tauben Ohren, oder findet keinen Gegen-
ſtand von einem gröſseren Intereſſe, der im Stande
wäre, ſich ſeiner zu bemeiſtern. In dieſer Rück-
ſicht muſs man gleichſam in die Leidenſchaft deſ-
ſelben einſtimmen, um nur erſt ſein Zutrauen
und ſeine Aufmerkſamkeit zu gewinnen und ihn
dann allmälig durch zweckmäſsige Zerſtreuungs-
mittel von ſeiner fixen Idee ableiten. In der Re-
convaleſcenz, wenn die Seele es wieder in ihrer
Gewalt hat, ſich der Grillen durch die Macht des
Vorſatzes zu entſchlagen, die ihrer Geſundheit
gefährlich werden können, ſind leichte Zerſtreu-
ungsmittel, Reiſen, Geſellſchaften und Spiele
heilſam, und daher mehr für dieſe Periode als
zur Heilung der Krankheit ſelbſt geeignet. Der
Patient heftet eigenmächtig auf Kleinigkeiten
ſeine Aufmerkſamkeit, um nach und nach derſel-
ben wieder Meiſter zu werden. Die Art der
Zerſtreuung iſt verſchieden. Wir laſſen eine un-
unterbrochene Folge mannichfaltiger angenehmer
und unangenehmer Eindrücke auf das Gemein-
gefühl, das Auge und beſonders auf das Ohr
einflieſsen und haben dabey keinesweges die Ab-
ſicht eine beſtimmte Ideenreihe zu wecken, ſon-
dern wollen vielmehr ein leichtes Spiel von Hirn-
wirkungen erregen, um dadurch der Seele die
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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