Wirkungskreises erweitert werden *). Im Zu- stande der Natur, sagt Kant**), kann der Mensch nur wenig Thorheiten begehen und schwerlich der Narrheit unterworfen seyn. Sei- ne Bedürfnisse halten ihn jederzeit nahe an der Erfahrung und geben seinem gesunden Verstande eine so leichte Beschäftigung, dass er kaum be- merkt, er habe zu seinen Handlungen Verstand nöthig. Seinen groben und gemeinen Begierden giebt die Trägheit eine Mässigung, welche der wenigen Urtheilskraft, die er bedarf, Macht ge- nug lässt, über sie, seinem grössesten Vortheile ge- mäss, zu herrschen. Wo sollte er wol zur Narr- heit Stoff hernehmen, da er, um Anderer Urtheil unbekümmert, weder eitel noch aufgeblasen seyn kann? Indem er von dem Werthe ungenossener Güter gar keine Vorstellung hat, so ist er für die Ungereimtheit der filzigen Habsucht gesichert, und weil in seinem Kopfe niemals einiger Witz Eingang findet, so ist er eben deswegen gegen allen Aberwitz verwahrt. Gleichergestalt kann die Stöhrung des Gemüths in diesem Stande der Einfalt nur selten Statt finden. Wenn das Gehirn des Wilden einigen Anstoss erlitten hat, so weiss
*)Reil, über die Erkenntniss und Cur der Fie- ber, 4. Bd. §. 25.
**) Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebe- ner Schriften von Immanuel Kant, heraus- gegeben von Rink. Königsberg 1800. S. 50.
Wirkungskreiſes erweitert werden *). Im Zu- ſtande der Natur, ſagt Kant**), kann der Menſch nur wenig Thorheiten begehen und ſchwerlich der Narrheit unterworfen ſeyn. Sei- ne Bedürfniſſe halten ihn jederzeit nahe an der Erfahrung und geben ſeinem geſunden Verſtande eine ſo leichte Beſchäftigung, daſs er kaum be- merkt, er habe zu ſeinen Handlungen Verſtand nöthig. Seinen groben und gemeinen Begierden giebt die Trägheit eine Mäſsigung, welche der wenigen Urtheilskraft, die er bedarf, Macht ge- nug läſst, über ſie, ſeinem gröſseſten Vortheile ge- mäſs, zu herrſchen. Wo ſollte er wol zur Narr- heit Stoff hernehmen, da er, um Anderer Urtheil unbekümmert, weder eitel noch aufgeblaſen ſeyn kann? Indem er von dem Werthe ungenoſſener Güter gar keine Vorſtellung hat, ſo iſt er für die Ungereimtheit der filzigen Habſucht geſichert, und weil in ſeinem Kopfe niemals einiger Witz Eingang findet, ſo iſt er eben deswegen gegen allen Aberwitz verwahrt. Gleichergeſtalt kann die Stöhrung des Gemüths in dieſem Stande der Einfalt nur ſelten Statt finden. Wenn das Gehirn des Wilden einigen Anſtoſs erlitten hat, ſo weiſs
*)Reil, über die Erkenntniſs und Cur der Fie- ber, 4. Bd. §. 25.
**) Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebe- ner Schriften von Immanuel Kant, heraus- gegeben von Rink. Königsberg 1800. S. 50.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0018"n="13"/>
Wirkungskreiſes erweitert werden <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#g">Reil</hi>, über die Erkenntniſs und Cur der Fie-<lb/>
ber, 4. Bd. §. 25.</note>. Im Zu-<lb/>ſtande der Natur, ſagt <hirendition="#g">Kant</hi><noteplace="foot"n="**)">Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebe-<lb/>
ner Schriften von <hirendition="#g">Immanuel Kant</hi>, heraus-<lb/>
gegeben von <hirendition="#g">Rink</hi>. Königsberg 1800. S. 50.</note>, kann der<lb/>
Menſch nur wenig Thorheiten begehen und<lb/>ſchwerlich der Narrheit unterworfen ſeyn. Sei-<lb/>
ne Bedürfniſſe halten ihn jederzeit nahe an der<lb/>
Erfahrung und geben ſeinem geſunden Verſtande<lb/>
eine ſo leichte Beſchäftigung, daſs er kaum be-<lb/>
merkt, er habe zu ſeinen Handlungen Verſtand<lb/>
nöthig. Seinen groben und gemeinen Begierden<lb/>
giebt die Trägheit eine Mäſsigung, welche der<lb/>
wenigen Urtheilskraft, die er bedarf, Macht ge-<lb/>
nug läſst, über ſie, ſeinem gröſseſten Vortheile ge-<lb/>
mäſs, zu herrſchen. Wo ſollte er wol zur Narr-<lb/>
heit Stoff hernehmen, da er, um Anderer Urtheil<lb/>
unbekümmert, weder eitel noch aufgeblaſen ſeyn<lb/>
kann? Indem er von dem Werthe ungenoſſener<lb/>
Güter gar keine Vorſtellung hat, ſo iſt er für<lb/>
die Ungereimtheit der filzigen Habſucht geſichert,<lb/>
und weil in ſeinem Kopfe niemals einiger Witz<lb/>
Eingang findet, ſo iſt er eben deswegen gegen<lb/>
allen Aberwitz verwahrt. Gleichergeſtalt kann<lb/>
die Stöhrung des Gemüths in dieſem Stande der<lb/>
Einfalt nur ſelten Statt finden. Wenn das Gehirn<lb/>
des Wilden einigen Anſtoſs erlitten hat, ſo weiſs<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0018]
Wirkungskreiſes erweitert werden *). Im Zu-
ſtande der Natur, ſagt Kant **), kann der
Menſch nur wenig Thorheiten begehen und
ſchwerlich der Narrheit unterworfen ſeyn. Sei-
ne Bedürfniſſe halten ihn jederzeit nahe an der
Erfahrung und geben ſeinem geſunden Verſtande
eine ſo leichte Beſchäftigung, daſs er kaum be-
merkt, er habe zu ſeinen Handlungen Verſtand
nöthig. Seinen groben und gemeinen Begierden
giebt die Trägheit eine Mäſsigung, welche der
wenigen Urtheilskraft, die er bedarf, Macht ge-
nug läſst, über ſie, ſeinem gröſseſten Vortheile ge-
mäſs, zu herrſchen. Wo ſollte er wol zur Narr-
heit Stoff hernehmen, da er, um Anderer Urtheil
unbekümmert, weder eitel noch aufgeblaſen ſeyn
kann? Indem er von dem Werthe ungenoſſener
Güter gar keine Vorſtellung hat, ſo iſt er für
die Ungereimtheit der filzigen Habſucht geſichert,
und weil in ſeinem Kopfe niemals einiger Witz
Eingang findet, ſo iſt er eben deswegen gegen
allen Aberwitz verwahrt. Gleichergeſtalt kann
die Stöhrung des Gemüths in dieſem Stande der
Einfalt nur ſelten Statt finden. Wenn das Gehirn
des Wilden einigen Anſtoſs erlitten hat, ſo weiſs
*) Reil, über die Erkenntniſs und Cur der Fie-
ber, 4. Bd. §. 25.
**) Sammlung einiger bisher unbekannt gebliebe-
ner Schriften von Immanuel Kant, heraus-
gegeben von Rink. Königsberg 1800. S. 50.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/18>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.