beschäfftigen, weil in beiden Fällen ein gehaltner und mässiger Grad von Erregung obwaltet. Wirkt die Seele heftig und stossweise, so muss man ein Zerstreuungsmittel aufsuchen, das ähnli- che convulsivische Erschütterungen hervorbringt und erst nach und nach zu mildern Reizungen übergehen. Dann muss das gewählte Zerstreu- ungsmittel ein der fixen Idee des Kran- ken nahe kommendes Interesse für ihn haben. Spiele würden z. B. schlechte Zer- streuungsmittel für Menschen seyn, die durch Unglück stark gebeugt sind. Hingegen können Gefahren der Ehre und des Vermögens, Krank- heiten der Kinder oder anderer nahen Verwandten anziehen. Doch darf dasselbe auch kein so grosses Interesse haben, als der Ge- genstand, den es tilgen soll, damit derselbe nicht ganz aus dem Auge ge- rückt werde. Die fixe Idee verlöscht nur dann ohne Schaden, wenn wir uns mit ihr be- kannt machen, sie immerhin in der Erinnerung vorrufen und sie wieder für eine Zeitlang schwin- den lassen. Dies verhütet, dass sie nicht habi- tuell wird; jenes, dass sie allmälig ihr Interesse verliert und zuletzt abstirbt. Könnte man das Bewusstseyn eines erlittenen Unglücks, das zur Schwermuth führen kann, für eine Zeitlang ganz unterdrücken, z. B. durch einen langen Schlaf, so wäre damit nichts weiter als Aufschub des zu fürchtenden Uebels gewonnen. Es kehrt nach
diesem
beſchäfftigen, weil in beiden Fällen ein gehaltner und mäſsiger Grad von Erregung obwaltet. Wirkt die Seele heftig und ſtoſsweiſe, ſo muſs man ein Zerſtreuungsmittel aufſuchen, das ähnli- che convulſiviſche Erſchütterungen hervorbringt und erſt nach und nach zu mildern Reizungen übergehen. Dann muſs das gewählte Zerſtreu- ungsmittel ein der fixen Idee des Kran- ken nahe kommendes Intereſſe für ihn haben. Spiele würden z. B. ſchlechte Zer- ſtreuungsmittel für Menſchen ſeyn, die durch Unglück ſtark gebeugt ſind. Hingegen können Gefahren der Ehre und des Vermögens, Krank- heiten der Kinder oder anderer nahen Verwandten anziehen. Doch darf daſſelbe auch kein ſo groſses Intereſſe haben, als der Ge- genſtand, den es tilgen ſoll, damit derſelbe nicht ganz aus dem Auge ge- rückt werde. Die fixe Idee verlöſcht nur dann ohne Schaden, wenn wir uns mit ihr be- kannt machen, ſie immerhin in der Erinnerung vorrufen und ſie wieder für eine Zeitlang ſchwin- den laſſen. Dies verhütet, daſs ſie nicht habi- tuell wird; jenes, daſs ſie allmälig ihr Intereſſe verliert und zuletzt abſtirbt. Könnte man das Bewuſstſeyn eines erlittenen Unglücks, das zur Schwermuth führen kann, für eine Zeitlang ganz unterdrücken, z. B. durch einen langen Schlaf, ſo wäre damit nichts weiter als Aufſchub des zu fürchtenden Uebels gewonnen. Es kehrt nach
dieſem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0181"n="176"/>
beſchäfftigen, weil in beiden Fällen ein gehaltner<lb/>
und mäſsiger Grad von Erregung obwaltet.<lb/>
Wirkt die Seele heftig und ſtoſsweiſe, ſo muſs<lb/>
man ein Zerſtreuungsmittel aufſuchen, das ähnli-<lb/>
che convulſiviſche Erſchütterungen hervorbringt<lb/>
und erſt nach und nach zu mildern Reizungen<lb/>
übergehen. Dann muſs das gewählte Zerſtreu-<lb/>
ungsmittel <hirendition="#g">ein der fixen Idee des Kran-<lb/>
ken nahe kommendes Intereſſe für<lb/>
ihn haben</hi>. Spiele würden z. B. ſchlechte Zer-<lb/>ſtreuungsmittel für Menſchen ſeyn, die durch<lb/>
Unglück ſtark gebeugt ſind. Hingegen können<lb/>
Gefahren der Ehre und des Vermögens, Krank-<lb/>
heiten der Kinder oder anderer nahen Verwandten<lb/>
anziehen. Doch darf daſſelbe auch <hirendition="#g">kein ſo<lb/>
groſses Intereſſe haben, als der Ge-<lb/>
genſtand, den es tilgen ſoll, damit<lb/>
derſelbe nicht ganz aus dem Auge ge-<lb/>
rückt werde</hi>. Die fixe Idee verlöſcht nur<lb/>
dann ohne Schaden, wenn wir uns mit ihr be-<lb/>
kannt machen, ſie immerhin in der Erinnerung<lb/>
vorrufen und ſie wieder für eine Zeitlang ſchwin-<lb/>
den laſſen. Dies verhütet, daſs ſie nicht habi-<lb/>
tuell wird; jenes, daſs ſie allmälig ihr Intereſſe<lb/>
verliert und zuletzt abſtirbt. Könnte man das<lb/>
Bewuſstſeyn eines erlittenen Unglücks, das zur<lb/>
Schwermuth führen kann, für eine Zeitlang ganz<lb/>
unterdrücken, z. B. durch einen langen Schlaf,<lb/>ſo wäre damit nichts weiter als Aufſchub des zu<lb/>
fürchtenden Uebels gewonnen. Es kehrt nach<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dieſem</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[176/0181]
beſchäfftigen, weil in beiden Fällen ein gehaltner
und mäſsiger Grad von Erregung obwaltet.
Wirkt die Seele heftig und ſtoſsweiſe, ſo muſs
man ein Zerſtreuungsmittel aufſuchen, das ähnli-
che convulſiviſche Erſchütterungen hervorbringt
und erſt nach und nach zu mildern Reizungen
übergehen. Dann muſs das gewählte Zerſtreu-
ungsmittel ein der fixen Idee des Kran-
ken nahe kommendes Intereſſe für
ihn haben. Spiele würden z. B. ſchlechte Zer-
ſtreuungsmittel für Menſchen ſeyn, die durch
Unglück ſtark gebeugt ſind. Hingegen können
Gefahren der Ehre und des Vermögens, Krank-
heiten der Kinder oder anderer nahen Verwandten
anziehen. Doch darf daſſelbe auch kein ſo
groſses Intereſſe haben, als der Ge-
genſtand, den es tilgen ſoll, damit
derſelbe nicht ganz aus dem Auge ge-
rückt werde. Die fixe Idee verlöſcht nur
dann ohne Schaden, wenn wir uns mit ihr be-
kannt machen, ſie immerhin in der Erinnerung
vorrufen und ſie wieder für eine Zeitlang ſchwin-
den laſſen. Dies verhütet, daſs ſie nicht habi-
tuell wird; jenes, daſs ſie allmälig ihr Intereſſe
verliert und zuletzt abſtirbt. Könnte man das
Bewuſstſeyn eines erlittenen Unglücks, das zur
Schwermuth führen kann, für eine Zeitlang ganz
unterdrücken, z. B. durch einen langen Schlaf,
ſo wäre damit nichts weiter als Aufſchub des zu
fürchtenden Uebels gewonnen. Es kehrt nach
dieſem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/181>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.