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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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diesem Intervall in seiner ursprünglichen Stärke
wieder. Eine Mutter, die von zwey Kindern
eins zur Zeit verlohr, als das andere noch ge-
fährlich krank lag, wurde erst dann schwer-
müthig als das letzte zu genesen anfing. Daher
der Vortheil einer Reise zur Zerstreuung in leich-
ten Unglücksfällen. Sie beschäfftigt uns, lässt
uns aber dabey Augenblicke übrig, an unser
Uebel zurückzudenken. Darin lag vielleicht der
Grund, sagt Hoffbauer *), dass viele Einhei-
mische, aber wenig Ausgewanderte durch die
französische Revolution um ihren Verstand ka-
men. Diese wurden nemlich durch die Reise,
durch die anfängliche Sorge für ihren Aufenthalt,
und in der Folge für den Erwerb ihres Lebens-
unterhalts von dem Andenken an ihr Unglück
abgeleitet. Doch blieben ihnen Zwischenräume
genug übrig, sich dessen zu erinnern und sich mit
demselben zu familiarisiren. Das Zerstreuungs-
mittel muss endlich einerley Ton mit der
Idee haben
, an welche der Kranke gefesselt
ist. Oderunt hilarem, tristes; tristemque jocosi;
sedatum, celeres; agilem gnavumque, remissi.
Eine fröhliche und rauschende Gesellschaft zerreisst
einer Mutter das Herz, die durch den Verlust
ihres Kindes gebeugt ist. Hingegen sind Men-
schen, die das nemliche Unglück erlitten haben,
oder einen warmen Antheil an ihrem Verlust

*) l. c. I. Th. 176 S.
M

dieſem Intervall in ſeiner urſprünglichen Stärke
wieder. Eine Mutter, die von zwey Kindern
eins zur Zeit verlohr, als das andere noch ge-
fährlich krank lag, wurde erſt dann ſchwer-
müthig als das letzte zu geneſen anfing. Daher
der Vortheil einer Reiſe zur Zerſtreuung in leich-
ten Unglücksfällen. Sie beſchäfftigt uns, läſst
uns aber dabey Augenblicke übrig, an unſer
Uebel zurückzudenken. Darin lag vielleicht der
Grund, ſagt Hoffbauer *), daſs viele Einhei-
miſche, aber wenig Ausgewanderte durch die
franzöſiſche Revolution um ihren Verſtand ka-
men. Dieſe wurden nemlich durch die Reiſe,
durch die anfängliche Sorge für ihren Aufenthalt,
und in der Folge für den Erwerb ihres Lebens-
unterhalts von dem Andenken an ihr Unglück
abgeleitet. Doch blieben ihnen Zwiſchenräume
genug übrig, ſich deſſen zu erinnern und ſich mit
demſelben zu familiariſiren. Das Zerſtreuungs-
mittel muſs endlich einerley Ton mit der
Idee haben
, an welche der Kranke gefeſſelt
iſt. Oderunt hilarem, triſtes; triſtemque jocoſi;
ſedatum, celeres; agilem gnavumque, remiſſi.
Eine fröhliche und rauſchende Geſellſchaft zerreiſst
einer Mutter das Herz, die durch den Verluſt
ihres Kindes gebeugt iſt. Hingegen ſind Men-
ſchen, die das nemliche Unglück erlitten haben,
oder einen warmen Antheil an ihrem Verluſt

*) l. c. I. Th. 176 S.
M
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[177/0182] dieſem Intervall in ſeiner urſprünglichen Stärke wieder. Eine Mutter, die von zwey Kindern eins zur Zeit verlohr, als das andere noch ge- fährlich krank lag, wurde erſt dann ſchwer- müthig als das letzte zu geneſen anfing. Daher der Vortheil einer Reiſe zur Zerſtreuung in leich- ten Unglücksfällen. Sie beſchäfftigt uns, läſst uns aber dabey Augenblicke übrig, an unſer Uebel zurückzudenken. Darin lag vielleicht der Grund, ſagt Hoffbauer *), daſs viele Einhei- miſche, aber wenig Ausgewanderte durch die franzöſiſche Revolution um ihren Verſtand ka- men. Dieſe wurden nemlich durch die Reiſe, durch die anfängliche Sorge für ihren Aufenthalt, und in der Folge für den Erwerb ihres Lebens- unterhalts von dem Andenken an ihr Unglück abgeleitet. Doch blieben ihnen Zwiſchenräume genug übrig, ſich deſſen zu erinnern und ſich mit demſelben zu familiariſiren. Das Zerſtreuungs- mittel muſs endlich einerley Ton mit der Idee haben, an welche der Kranke gefeſſelt iſt. Oderunt hilarem, triſtes; triſtemque jocoſi; ſedatum, celeres; agilem gnavumque, remiſſi. Eine fröhliche und rauſchende Geſellſchaft zerreiſst einer Mutter das Herz, die durch den Verluſt ihres Kindes gebeugt iſt. Hingegen ſind Men- ſchen, die das nemliche Unglück erlitten haben, oder einen warmen Antheil an ihrem Verluſt *) l. c. I. Th. 176 S. M

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/182>, abgerufen am 21.11.2024.