scheint zwar, als könne bey einer Verkehrtheit der Seelenkräfte keine Regelmässigkeit der Hand- lungen zu Stande kommen. Allein dies ist blosser Schein. Denn sie sind nicht unbedingt abhängig von den eigenmächtigen Entschlüssen der Seele, sondern können durch Zwangsmittel gleichsam ausser Verbindung mit dem eignen Willen gesetzt werden. In der Folge wird die ursprünglich er- zwungene Ordnung durch Gewohnheit zur me- chanischen Fertigkeit. Der Verstand ist verkehrt; das Handlen regelmässig. Zum Behuf dieses Zwecks muss man, nachdem vorher der Kranke unterjocht ist, streng auf die gegebenen Vorschrif- ten halten, und nie, selbst in den unbedeutendsten Kleinigkeiten, eine Ausnahme verstatten. Im Spital muss Regel, Reinlichkeit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit herrschen. Dies Vorbild wirkt auf den Kranken und macht es ihm leicht, sich an die nemliche Ordnung zu gewöhnen, die er überall um sich verbreitet sieht. Und welche Vortheile gewinnen wir dadurch? In der That keine geringen. Der Kranke bleibt gesund, sein Gehorsam wird zur Gewohnheit; die Wärter können ihn leichter pflegen und die Ordnung des Spitals erhalten. Sollte man ihn endlich als un- heilbar an die Aufbewahrungsanstalt abgeben müssen: so ist er für dieselbe vortrefflich vorberei- tet. Denn kein Anblick ist empörender als die chaotische Verwirrung, in welcher die Kranken in den meisten Tollhäusern durch einander schwir-
ſcheint zwar, als könne bey einer Verkehrtheit der Seelenkräfte keine Regelmäſsigkeit der Hand- lungen zu Stande kommen. Allein dies iſt bloſser Schein. Denn ſie ſind nicht unbedingt abhängig von den eigenmächtigen Entſchlüſſen der Seele, ſondern können durch Zwangsmittel gleichſam auſser Verbindung mit dem eignen Willen geſetzt werden. In der Folge wird die urſprünglich er- zwungene Ordnung durch Gewohnheit zur me- chaniſchen Fertigkeit. Der Verſtand iſt verkehrt; das Handlen regelmäſsig. Zum Behuf dieſes Zwecks muſs man, nachdem vorher der Kranke unterjocht iſt, ſtreng auf die gegebenen Vorſchrif- ten halten, und nie, ſelbſt in den unbedeutendſten Kleinigkeiten, eine Ausnahme verſtatten. Im Spital muſs Regel, Reinlichkeit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit herrſchen. Dies Vorbild wirkt auf den Kranken und macht es ihm leicht, ſich an die nemliche Ordnung zu gewöhnen, die er überall um ſich verbreitet ſieht. Und welche Vortheile gewinnen wir dadurch? In der That keine geringen. Der Kranke bleibt geſund, ſein Gehorſam wird zur Gewohnheit; die Wärter können ihn leichter pflegen und die Ordnung des Spitals erhalten. Sollte man ihn endlich als un- heilbar an die Aufbewahrungsanſtalt abgeben müſſen: ſo iſt er für dieſelbe vortrefflich vorberei- tet. Denn kein Anblick iſt empörender als die chaotiſche Verwirrung, in welcher die Kranken in den meiſten Tollhäuſern durch einander ſchwir-
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ſcheint zwar, als könne bey einer Verkehrtheit
der Seelenkräfte keine Regelmäſsigkeit der Hand-
lungen zu Stande kommen. Allein dies iſt bloſser
Schein. Denn ſie ſind nicht unbedingt abhängig
von den eigenmächtigen Entſchlüſſen der Seele,
ſondern können durch Zwangsmittel gleichſam
auſser Verbindung mit dem eignen Willen geſetzt
werden. In der Folge wird die urſprünglich er-
zwungene Ordnung durch Gewohnheit zur me-
chaniſchen Fertigkeit. Der Verſtand iſt verkehrt;
das Handlen regelmäſsig. Zum Behuf dieſes
Zwecks muſs man, nachdem vorher der Kranke
unterjocht iſt, ſtreng auf die gegebenen Vorſchrif-
ten halten, und nie, ſelbſt in den unbedeutendſten
Kleinigkeiten, eine Ausnahme verſtatten. Im
Spital muſs Regel, Reinlichkeit, Gerechtigkeit
und Sittlichkeit herrſchen. Dies Vorbild wirkt
auf den Kranken und macht es ihm leicht, ſich
an die nemliche Ordnung zu gewöhnen, die er
überall um ſich verbreitet ſieht. Und welche
Vortheile gewinnen wir dadurch? In der That
keine geringen. Der Kranke bleibt geſund,
ſein Gehorſam wird zur Gewohnheit; die Wärter
können ihn leichter pflegen und die Ordnung des
Spitals erhalten. Sollte man ihn endlich als un-
heilbar an die Aufbewahrungsanſtalt abgeben
müſſen: ſo iſt er für dieſelbe vortrefflich vorberei-
tet. Denn kein Anblick iſt empörender als die
chaotiſche Verwirrung, in welcher die Kranken
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/238>, abgerufen am 09.11.2024.
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