Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

starke Wachtknechte herein, stellten sich mit mar-
tialischer Miene ihm zur Seite und empfingen
meine Befehle über ihr Verhältniss zu dem Kran-
ken. Sein Auge sing an zwischen mir und seinen
Wächtern rechts und links zu schweben, er ver-
lohr allen Muth, folgte in allem wie ein zaghaftes
Kind und wurde geheilt. Der König Nebu-
cadnezar wurde vor Hochmuth ein Narr.
Dies ist die stolze Babel, sprach er, die ich er-
baut habe, durch meine grosse Macht, zu Ehren
meiner Herrlichkeit. Allein der Herr heilte ihn
durch Demüthigung. Haut dem Baum um,
sprach er durch seinen Propheten, dessen Wipfel
gen Himmel, dessen Aeste bis an der Welt Ende
reichen, dass alles Fleisch unter ihm Schatten
findet. Doch lasst den Stamm mit seinen Wur-
zeln in der Erde bleiben. Der grosse König soll
sieben Jahre lang im Grase gehn, vom Thau des
Himmels nass werden und mit den Thieren von den
Kräutern der Erde weiden, bis sein Haar wächst
wie Adlers Federn und seine Nägel wie Vogel-
klauen *). Eben so abgeschmackt ist die Leiden-
schaft des Geizes. Der Kranke hat nach sei-
ner Meinung viel nöthig und kann von seinen Gü-
tern nichts entbehren. Er entbehrt indessen wirk-
lich ihrer aller, indem er durch Kargheit einen
Beschlag auf dieselben legt.

Zuweilen kann der Nachahmungstrie[b]

*) Daniel Kap. 4

ſtarke Wachtknechte herein, ſtellten ſich mit mar-
tialiſcher Miene ihm zur Seite und empfingen
meine Befehle über ihr Verhältniſs zu dem Kran-
ken. Sein Auge ſing an zwiſchen mir und ſeinen
Wächtern rechts und links zu ſchweben, er ver-
lohr allen Muth, folgte in allem wie ein zaghaftes
Kind und wurde geheilt. Der König Nebu-
cadnezar wurde vor Hochmuth ein Narr.
Dies iſt die ſtolze Babel, ſprach er, die ich er-
baut habe, durch meine groſse Macht, zu Ehren
meiner Herrlichkeit. Allein der Herr heilte ihn
durch Demüthigung. Haut dem Baum um,
ſprach er durch ſeinen Propheten, deſſen Wipfel
gen Himmel, deſſen Aeſte bis an der Welt Ende
reichen, daſs alles Fleiſch unter ihm Schatten
findet. Doch laſst den Stamm mit ſeinen Wur-
zeln in der Erde bleiben. Der groſse König ſoll
ſieben Jahre lang im Graſe gehn, vom Thau des
Himmels naſs werden und mit den Thieren von den
Kräutern der Erde weiden, bis ſein Haar wächſt
wie Adlers Federn und ſeine Nägel wie Vogel-
klauen *). Eben ſo abgeſchmackt iſt die Leiden-
ſchaft des Geizes. Der Kranke hat nach ſei-
ner Meinung viel nöthig und kann von ſeinen Gü-
tern nichts entbehren. Er entbehrt indeſſen wirk-
lich ihrer aller, indem er durch Kargheit einen
Beſchlag auf dieſelben legt.

Zuweilen kann der Nachahmungstrie[b]

*) Daniel Kap. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="295"/>
&#x017F;tarke Wachtknechte herein, &#x017F;tellten &#x017F;ich mit mar-<lb/>
tiali&#x017F;cher Miene ihm zur Seite und empfingen<lb/>
meine Befehle über ihr Verhältni&#x017F;s zu dem Kran-<lb/>
ken. Sein Auge &#x017F;ing an zwi&#x017F;chen mir und &#x017F;einen<lb/>
Wächtern rechts und links zu &#x017F;chweben, er ver-<lb/>
lohr allen Muth, folgte in allem wie ein zaghaftes<lb/>
Kind und wurde geheilt. Der König <hi rendition="#g">Nebu-<lb/>
cadnezar</hi> wurde <hi rendition="#g">vor</hi> Hochmuth ein Narr.<lb/>
Dies i&#x017F;t die &#x017F;tolze <hi rendition="#g">Babel</hi>, &#x017F;prach er, die ich er-<lb/>
baut habe, durch meine gro&#x017F;se Macht, zu Ehren<lb/>
meiner Herrlichkeit. Allein der Herr heilte ihn<lb/>
durch Demüthigung. Haut dem Baum um,<lb/>
&#x017F;prach er durch &#x017F;einen Propheten, de&#x017F;&#x017F;en Wipfel<lb/>
gen Himmel, de&#x017F;&#x017F;en Ae&#x017F;te bis an der Welt Ende<lb/>
reichen, da&#x017F;s alles Flei&#x017F;ch unter ihm Schatten<lb/>
findet. Doch la&#x017F;st den Stamm mit &#x017F;einen Wur-<lb/>
zeln in der Erde bleiben. Der gro&#x017F;se König &#x017F;oll<lb/>
&#x017F;ieben Jahre lang im Gra&#x017F;e gehn, vom Thau des<lb/>
Himmels na&#x017F;s werden und mit den Thieren von den<lb/>
Kräutern der Erde weiden, bis &#x017F;ein Haar wäch&#x017F;t<lb/>
wie Adlers Federn und &#x017F;eine Nägel wie Vogel-<lb/>
klauen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Daniel</hi> Kap. 4</note>. Eben &#x017F;o abge&#x017F;chmackt i&#x017F;t die Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft des <hi rendition="#g">Geizes</hi>. Der Kranke hat nach &#x017F;ei-<lb/>
ner Meinung viel nöthig und kann von &#x017F;einen Gü-<lb/>
tern nichts entbehren. Er entbehrt inde&#x017F;&#x017F;en wirk-<lb/>
lich ihrer aller, indem er durch Kargheit einen<lb/>
Be&#x017F;chlag auf die&#x017F;elben legt.</p><lb/>
          <p>Zuweilen kann der <hi rendition="#g">Nachahmungstrie<supplied>b</supplied></hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0300] ſtarke Wachtknechte herein, ſtellten ſich mit mar- tialiſcher Miene ihm zur Seite und empfingen meine Befehle über ihr Verhältniſs zu dem Kran- ken. Sein Auge ſing an zwiſchen mir und ſeinen Wächtern rechts und links zu ſchweben, er ver- lohr allen Muth, folgte in allem wie ein zaghaftes Kind und wurde geheilt. Der König Nebu- cadnezar wurde vor Hochmuth ein Narr. Dies iſt die ſtolze Babel, ſprach er, die ich er- baut habe, durch meine groſse Macht, zu Ehren meiner Herrlichkeit. Allein der Herr heilte ihn durch Demüthigung. Haut dem Baum um, ſprach er durch ſeinen Propheten, deſſen Wipfel gen Himmel, deſſen Aeſte bis an der Welt Ende reichen, daſs alles Fleiſch unter ihm Schatten findet. Doch laſst den Stamm mit ſeinen Wur- zeln in der Erde bleiben. Der groſse König ſoll ſieben Jahre lang im Graſe gehn, vom Thau des Himmels naſs werden und mit den Thieren von den Kräutern der Erde weiden, bis ſein Haar wächſt wie Adlers Federn und ſeine Nägel wie Vogel- klauen *). Eben ſo abgeſchmackt iſt die Leiden- ſchaft des Geizes. Der Kranke hat nach ſei- ner Meinung viel nöthig und kann von ſeinen Gü- tern nichts entbehren. Er entbehrt indeſſen wirk- lich ihrer aller, indem er durch Kargheit einen Beſchlag auf dieſelben legt. Zuweilen kann der Nachahmungstrieb *) Daniel Kap. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/300
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/300>, abgerufen am 22.11.2024.