und bin daher genöthiget, sie wie meine Vorgän- ger durch Merkmale zu bestimmen, die sich auf verletzte Seelenvermögen beziehn.
Die Gattungen, unter welche die Arten aufgefasst werden müssen, übergehe ich. Denn es kömmt bey der Classifikation der Krankheiten vorzüglich auf die richtige Begründung der Ob- jekte, und weniger auf ihre Aneinanderreihung an. Doch muss ich einer Differenz der Geistes- zerrüttungen, nemlich ihrer sthenischen oder asthenischen Natur erwähnen, ohne mich darauf einzulassen, ob dieselbe wesentlich oder zufällig, specisische oder generische Differenz sey. Diese Sthenie und Asthenie beziehe ich direct auf die Geisteszerrüttungen. Denn eben diese Zustände im Vegetationssystem sind für sich be- stehende Krankheiten, bedürfen blosser körper- licher Mittel, und stehn nicht selten mit dem Charakter der Geisteszerrüttungen im umgekehr- ten Verhältniss. Oft ist die Seele äusserst wirk- sam in geschwächten Subjekten, oder ihre Thätig- keit wird ganz unterdrückt, wenn das Gehirn durch eine zu grosse Energie der Gefässe mit Blut überfüllt wird.
Zuweilen sind die Seelenkräfte in den Gei- steszerrüttungen über die Norm erhöht. Jede Aeusserung derselben athmet Energie, die Bilder der Phantasie sind brennend, ihre Verknüpfun- gen rasch und treffend, die Gedanken kräftig und und die gewählten Mittel dem Zwecke angemes-
und bin daher genöthiget, ſie wie meine Vorgän- ger durch Merkmale zu beſtimmen, die ſich auf verletzte Seelenvermögen beziehn.
Die Gattungen, unter welche die Arten aufgefaſst werden müſſen, übergehe ich. Denn es kömmt bey der Claſſifikation der Krankheiten vorzüglich auf die richtige Begründung der Ob- jekte, und weniger auf ihre Aneinanderreihung an. Doch muſs ich einer Differenz der Geiſtes- zerrüttungen, nemlich ihrer ſtheniſchen oder aſtheniſchen Natur erwähnen, ohne mich darauf einzulaſſen, ob dieſelbe weſentlich oder zufällig, ſpeciſiſche oder generiſche Differenz ſey. Dieſe Sthenie und Aſthenie beziehe ich direct auf die Geiſteszerrüttungen. Denn eben dieſe Zuſtände im Vegetationsſyſtem ſind für ſich be- ſtehende Krankheiten, bedürfen bloſser körper- licher Mittel, und ſtehn nicht ſelten mit dem Charakter der Geiſteszerrüttungen im umgekehr- ten Verhältniſs. Oft iſt die Seele äuſserſt wirk- ſam in geſchwächten Subjekten, oder ihre Thätig- keit wird ganz unterdrückt, wenn das Gehirn durch eine zu groſse Energie der Gefäſse mit Blut überfüllt wird.
Zuweilen ſind die Seelenkräfte in den Gei- ſteszerrüttungen über die Norm erhöht. Jede Aeuſserung derſelben athmet Energie, die Bilder der Phantaſie ſind brennend, ihre Verknüpfun- gen raſch und treffend, die Gedanken kräftig und und die gewählten Mittel dem Zwecke angemeſ-
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und bin daher genöthiget, ſie wie meine Vorgän-
ger durch Merkmale zu beſtimmen, die ſich auf
verletzte Seelenvermögen beziehn.
Die Gattungen, unter welche die Arten
aufgefaſst werden müſſen, übergehe ich. Denn
es kömmt bey der Claſſifikation der Krankheiten
vorzüglich auf die richtige Begründung der Ob-
jekte, und weniger auf ihre Aneinanderreihung
an. Doch muſs ich einer Differenz der Geiſtes-
zerrüttungen, nemlich ihrer ſtheniſchen oder
aſtheniſchen Natur erwähnen, ohne mich
darauf einzulaſſen, ob dieſelbe weſentlich oder
zufällig, ſpeciſiſche oder generiſche Differenz ſey.
Dieſe Sthenie und Aſthenie beziehe ich direct
auf die Geiſteszerrüttungen. Denn eben dieſe
Zuſtände im Vegetationsſyſtem ſind für ſich be-
ſtehende Krankheiten, bedürfen bloſser körper-
licher Mittel, und ſtehn nicht ſelten mit dem
Charakter der Geiſteszerrüttungen im umgekehr-
ten Verhältniſs. Oft iſt die Seele äuſserſt wirk-
ſam in geſchwächten Subjekten, oder ihre Thätig-
keit wird ganz unterdrückt, wenn das Gehirn
durch eine zu groſse Energie der Gefäſse mit
Blut überfüllt wird.
Zuweilen ſind die Seelenkräfte in den Gei-
ſteszerrüttungen über die Norm erhöht. Jede
Aeuſserung derſelben athmet Energie, die Bilder
der Phantaſie ſind brennend, ihre Verknüpfun-
gen raſch und treffend, die Gedanken kräftig und
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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