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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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nes Feindes und aus verschiedenen Proben des
Hasses, die er bereits von ihm erfahren habe.
Der Pater Sgambari bildete sich ein, Kardinal
zu seyn. Der Provincial suchte ihn von diesem
Wahn zu befreien; allein er antwortete ihm mit
folgendem Dilemma: entweder halten Sie mich
für einen Narren oder nicht. Im letzten Fall
begehn Sie ein grosses Unrecht, dass Sie mit mir
in einem solchen Ton reden. Im ersten Fall halte
ich Sie, mit Ihrer Erlaubniss, für einen grösseren
Narren als mich selbst, weil Sie sich vorstellen,
einen Narren durch blosses Zureden von seinem
Wahn überzeugen zu können *).

Die fixe Idee, als Product einer zu hoch
gespannten Saite im Gehirn, tönt mit bey jeder
auch noch so heterogenen Erregung desselben.
Daher ihre allgemeine Association mit allen an-
deren Thätigkeiten der Seele **). Der Kranke
knüpft sie mit allerhand Gegenständen zusammen,
mit welchen sie nach unserem Dafürhalten keine
Verbindung hat. In diesen Fällen giebt es Inter-
valle, wo die fixe Idee fehlt; sie erscheint und
verschwindet wieder nach gewissen Regeln. Al-
lein im höchsten Grade des fixen Wahns schwebt
sie dem Kranken überall wie ein Gespenst vor;
er hallt sie in jedem Augenblick automatisch wie-
der; producirt ununterbrochen dies Phänomen,

*) Muratori l. c. 2. Th. 8 S.
**) s. oben p. 268.

nes Feindes und aus verſchiedenen Proben des
Haſſes, die er bereits von ihm erfahren habe.
Der Pater Sgambari bildete ſich ein, Kardinal
zu ſeyn. Der Provincial ſuchte ihn von dieſem
Wahn zu befreien; allein er antwortete ihm mit
folgendem Dilemma: entweder halten Sie mich
für einen Narren oder nicht. Im letzten Fall
begehn Sie ein groſses Unrecht, daſs Sie mit mir
in einem ſolchen Ton reden. Im erſten Fall halte
ich Sie, mit Ihrer Erlaubniſs, für einen gröſseren
Narren als mich ſelbſt, weil Sie ſich vorſtellen,
einen Narren durch bloſses Zureden von ſeinem
Wahn überzeugen zu können *).

Die fixe Idee, als Product einer zu hoch
geſpannten Saite im Gehirn, tönt mit bey jeder
auch noch ſo heterogenen Erregung deſſelben.
Daher ihre allgemeine Aſſociation mit allen an-
deren Thätigkeiten der Seele **). Der Kranke
knüpft ſie mit allerhand Gegenſtänden zuſammen,
mit welchen ſie nach unſerem Dafürhalten keine
Verbindung hat. In dieſen Fällen giebt es Inter-
valle, wo die fixe Idee fehlt; ſie erſcheint und
verſchwindet wieder nach gewiſſen Regeln. Al-
lein im höchſten Grade des fixen Wahns ſchwebt
ſie dem Kranken überall wie ein Geſpenſt vor;
er hallt ſie in jedem Augenblick automatiſch wie-
der; producirt ununterbrochen dies Phänomen,

*) Muratori l. c. 2. Th. 8 S.
**) ſ. oben p. 268.
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[316/0321] nes Feindes und aus verſchiedenen Proben des Haſſes, die er bereits von ihm erfahren habe. Der Pater Sgambari bildete ſich ein, Kardinal zu ſeyn. Der Provincial ſuchte ihn von dieſem Wahn zu befreien; allein er antwortete ihm mit folgendem Dilemma: entweder halten Sie mich für einen Narren oder nicht. Im letzten Fall begehn Sie ein groſses Unrecht, daſs Sie mit mir in einem ſolchen Ton reden. Im erſten Fall halte ich Sie, mit Ihrer Erlaubniſs, für einen gröſseren Narren als mich ſelbſt, weil Sie ſich vorſtellen, einen Narren durch bloſses Zureden von ſeinem Wahn überzeugen zu können *). Die fixe Idee, als Product einer zu hoch geſpannten Saite im Gehirn, tönt mit bey jeder auch noch ſo heterogenen Erregung deſſelben. Daher ihre allgemeine Aſſociation mit allen an- deren Thätigkeiten der Seele **). Der Kranke knüpft ſie mit allerhand Gegenſtänden zuſammen, mit welchen ſie nach unſerem Dafürhalten keine Verbindung hat. In dieſen Fällen giebt es Inter- valle, wo die fixe Idee fehlt; ſie erſcheint und verſchwindet wieder nach gewiſſen Regeln. Al- lein im höchſten Grade des fixen Wahns ſchwebt ſie dem Kranken überall wie ein Geſpenſt vor; er hallt ſie in jedem Augenblick automatiſch wie- der; producirt ununterbrochen dies Phänomen, *) Muratori l. c. 2. Th. 8 S. **) ſ. oben p. 268.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/321>, abgerufen am 21.11.2024.