Verkehrtheit, wovon der psychologische Grund leichter oder schwerer zu finden ist. Der Kran- ke, welcher sich über irgend etwas Vorwürfe macht, fürchtet und flieht den Henker, aber in der Folge sucht er ihn, wenn er durch die Flucht keine Seelenruhe findet, und durch sein Blut die Rache Gottes versöhnen zu können glaubt. In andern Fällen bemüht er sich, seinen ihm lästigen Zustand zu ändern, und da dies in der Wirklich- keit nicht geschehen kann, so versucht er es in der Einbildung, und überredet sich endlich, in der Erreichung seines Zwecks glücklich gewesen zu seyn. Ein Verrückter in Bicetre war sonst ganz vernünftig, nur bildete er sich ein, dass man ihn vergiften wolle, und darüber ward er schwer- müthig. In diesem Zustande beharrte er achtzehn Jahre lang. Dann änderte sich der Gegenstand seiner Verkehrtheit; er bildete sich anfangs ein, ein grosser Herr der Erde und zuletzt der Mit- regierer der Welt zu seyn. Im Gefolge der ver- änderten Idee änderte sich auch die Stimmung sei- ner Seele. Er ward nun so glücklich, als er vorher unglücklich gewesen war *). So wechselt auch der fixe Wahn mit andern Arten von Gei- steszerrüttungen, oder geht ganz und gar in die- selben über. Seltner verwandelt er sich in Tob- sucht, häufiger in Narrheit und Blödsinn. Die örtliche Verkehrtheit breitet sich aus, und die
*) Mem. de la Soc. med. d'emul. T. III. p. 9.
Verkehrtheit, wovon der pſychologiſche Grund leichter oder ſchwerer zu finden iſt. Der Kran- ke, welcher ſich über irgend etwas Vorwürfe macht, fürchtet und flieht den Henker, aber in der Folge ſucht er ihn, wenn er durch die Flucht keine Seelenruhe findet, und durch ſein Blut die Rache Gottes verſöhnen zu können glaubt. In andern Fällen bemüht er ſich, ſeinen ihm läſtigen Zuſtand zu ändern, und da dies in der Wirklich- keit nicht geſchehen kann, ſo verſucht er es in der Einbildung, und überredet ſich endlich, in der Erreichung ſeines Zwecks glücklich geweſen zu ſeyn. Ein Verrückter in Bicetre war ſonſt ganz vernünftig, nur bildete er ſich ein, daſs man ihn vergiften wolle, und darüber ward er ſchwer- müthig. In dieſem Zuſtande beharrte er achtzehn Jahre lang. Dann änderte ſich der Gegenſtand ſeiner Verkehrtheit; er bildete ſich anfangs ein, ein groſser Herr der Erde und zuletzt der Mit- regierer der Welt zu ſeyn. Im Gefolge der ver- änderten Idee änderte ſich auch die Stimmung ſei- ner Seele. Er ward nun ſo glücklich, als er vorher unglücklich geweſen war *). So wechſelt auch der fixe Wahn mit andern Arten von Gei- ſteszerrüttungen, oder geht ganz und gar in die- ſelben über. Seltner verwandelt er ſich in Tob- ſucht, häufiger in Narrheit und Blödſinn. Die örtliche Verkehrtheit breitet ſich aus, und die
*) Mém. de la Soc. méd. d’émul. T. III. p. 9.
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Verkehrtheit, wovon der pſychologiſche Grund
leichter oder ſchwerer zu finden iſt. Der Kran-
ke, welcher ſich über irgend etwas Vorwürfe
macht, fürchtet und flieht den Henker, aber in
der Folge ſucht er ihn, wenn er durch die Flucht
keine Seelenruhe findet, und durch ſein Blut die
Rache Gottes verſöhnen zu können glaubt. In
andern Fällen bemüht er ſich, ſeinen ihm läſtigen
Zuſtand zu ändern, und da dies in der Wirklich-
keit nicht geſchehen kann, ſo verſucht er es in
der Einbildung, und überredet ſich endlich, in
der Erreichung ſeines Zwecks glücklich geweſen
zu ſeyn. Ein Verrückter in Bicetre war ſonſt
ganz vernünftig, nur bildete er ſich ein, daſs man
ihn vergiften wolle, und darüber ward er ſchwer-
müthig. In dieſem Zuſtande beharrte er achtzehn
Jahre lang. Dann änderte ſich der Gegenſtand
ſeiner Verkehrtheit; er bildete ſich anfangs ein,
ein groſser Herr der Erde und zuletzt der Mit-
regierer der Welt zu ſeyn. Im Gefolge der ver-
änderten Idee änderte ſich auch die Stimmung ſei-
ner Seele. Er ward nun ſo glücklich, als er
vorher unglücklich geweſen war *). So wechſelt
auch der fixe Wahn mit andern Arten von Gei-
ſteszerrüttungen, oder geht ganz und gar in die-
ſelben über. Seltner verwandelt er ſich in Tob-
ſucht, häufiger in Narrheit und Blödſinn. Die
örtliche Verkehrtheit breitet ſich aus, und die
*) Mém. de la Soc. méd. d’émul. T. III. p. 9.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/323>, abgerufen am 21.11.2024.
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