heftigen Anstrengungen der Seele stumpfen end- lich ihre Kräfte ab.
Der fixe Wahn unterscheidet sich durch sei- ne örtliche Verkehrtheit von der Tobsucht und Narrheit, in welchen die ganze Seele leidet. In der Narrheit sind täuschende Vorstellungen, die der Kranke nicht heftig verfolgt. In der Tob- sucht ist das Nervensystem auf den äussersten Grad erregt, aber die kühnen Handlungen sind, soweit wir es einsehn, nicht sowohl Produkte eines auf- gestellten Zwecks, sondern eines blinden körper- lichen Drangs. Der Blödsinn charakterisirt sich durch Ohnmacht, und kann die Merkmale des fixen Wahns an sich tragen, wenn er aus dem- selben entsprungen ist.
Ueber die Natur des fixen Wahns und seiner psychologischen Entwickelung aus dem Wesen unserer Seele habe ich wenig Be- friedigendes in den Schriften über die Seelenlehre gefunden. Das normale Verhältniss in der Dy- namik der Theile des Seelenorgans ist verstimmt. Einige seiner Fasern sind zu reizbar, wirken her- vorstechend, halten den aufgefassten Gegenstand unwandelbar fest, associiren sich mit allen, auch heterogenen Erregungen, und erschöpfen die Summe der Kraft so sehr, dass keine andern Handlungen wirklich werden können. Die Fort- dauer erzeugt Fertigkeit, nach den Gesetzen der Gewohnheit. Die ungeübten Theile rosten ein. Die Seele ist genöthiget, das ihr unablässig auf-
heftigen Anſtrengungen der Seele ſtumpfen end- lich ihre Kräfte ab.
Der fixe Wahn unterſcheidet ſich durch ſei- ne örtliche Verkehrtheit von der Tobſucht und Narrheit, in welchen die ganze Seele leidet. In der Narrheit ſind täuſchende Vorſtellungen, die der Kranke nicht heftig verfolgt. In der Tob- ſucht iſt das Nervenſyſtem auf den äuſserſten Grad erregt, aber die kühnen Handlungen ſind, ſoweit wir es einſehn, nicht ſowohl Produkte eines auf- geſtellten Zwecks, ſondern eines blinden körper- lichen Drangs. Der Blödſinn charakteriſirt ſich durch Ohnmacht, und kann die Merkmale des fixen Wahns an ſich tragen, wenn er aus dem- ſelben entſprungen iſt.
Ueber die Natur des fixen Wahns und ſeiner pſychologiſchen Entwickelung aus dem Weſen unſerer Seele habe ich wenig Be- friedigendes in den Schriften über die Seelenlehre gefunden. Das normale Verhältniſs in der Dy- namik der Theile des Seelenorgans iſt verſtimmt. Einige ſeiner Faſern ſind zu reizbar, wirken her- vorſtechend, halten den aufgefaſsten Gegenſtand unwandelbar feſt, aſſociiren ſich mit allen, auch heterogenen Erregungen, und erſchöpfen die Summe der Kraft ſo ſehr, daſs keine andern Handlungen wirklich werden können. Die Fort- dauer erzeugt Fertigkeit, nach den Geſetzen der Gewohnheit. Die ungeübten Theile roſten ein. Die Seele iſt genöthiget, das ihr unabläſſig auf-
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heftigen Anſtrengungen der Seele ſtumpfen end-
lich ihre Kräfte ab.
Der fixe Wahn unterſcheidet ſich durch ſei-
ne örtliche Verkehrtheit von der Tobſucht und
Narrheit, in welchen die ganze Seele leidet. In
der Narrheit ſind täuſchende Vorſtellungen, die
der Kranke nicht heftig verfolgt. In der Tob-
ſucht iſt das Nervenſyſtem auf den äuſserſten Grad
erregt, aber die kühnen Handlungen ſind, ſoweit
wir es einſehn, nicht ſowohl Produkte eines auf-
geſtellten Zwecks, ſondern eines blinden körper-
lichen Drangs. Der Blödſinn charakteriſirt ſich
durch Ohnmacht, und kann die Merkmale des
fixen Wahns an ſich tragen, wenn er aus dem-
ſelben entſprungen iſt.
Ueber die Natur des fixen Wahns und
ſeiner pſychologiſchen Entwickelung
aus dem Weſen unſerer Seele habe ich wenig Be-
friedigendes in den Schriften über die Seelenlehre
gefunden. Das normale Verhältniſs in der Dy-
namik der Theile des Seelenorgans iſt verſtimmt.
Einige ſeiner Faſern ſind zu reizbar, wirken her-
vorſtechend, halten den aufgefaſsten Gegenſtand
unwandelbar feſt, aſſociiren ſich mit allen, auch
heterogenen Erregungen, und erſchöpfen die
Summe der Kraft ſo ſehr, daſs keine andern
Handlungen wirklich werden können. Die Fort-
dauer erzeugt Fertigkeit, nach den Geſetzen der
Gewohnheit. Die ungeübten Theile roſten ein.
Die Seele iſt genöthiget, das ihr unabläſſig auf-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/324>, abgerufen am 21.11.2024.
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