ihr Interesse verlieren, verweben könne. Sie muss seinen Kräften und Neigungen angemessen seyn, und dadurch ihn anziehn. Sind keine Ge- genstände der Art aufzufinden, die durch ihr natürliches Interesse fesseln, so verschafft man ihnen ein erkünsteltes, durch vorgeschobne und scheinbare Gefahren *). Alles dies gelingt in öffentlichen Anstalten besser als in Privathäusern.
Zuweilen kann ein plötzlicher und unerwar- teter Eindruck der fixirten Seelenstimmung des Kranken plötzlich eine andere Richtung geben. Ein junger Mensch, der ausser der fixen Idee, er sey ein schwedischer Prinz, vernünftig war, wur- de einer Frau zur Kur übergeben, die sich in der Heilung der Irrenden grossen Ruf erworben hatte. Sie setzte ihn den ersten Mittag neben sich am Tische. Er sprach und handelte lange consequent, bis er auf einmal auf seine fixe Idee absprang. In demselben Augenblick bekam er eine Maulschel- le, dass ihm der Kopf brummte. Diese Behand- lung, die er theils nicht von einer Frau, theils nicht am ersten Tage seiner Aufnahme, gegen die Pflichten der Gastfreundschaft erwartet hatte, wirkte so sehr auf ihn, dass er seiner Grille nie wieder erwähnte. So können auch erregte Lei- denschaften des Schrecks, der Liebe, der Hoffnung, die man auf wichtige Objekte der Religion, der Ehre, der Furcht vor Uebeln grün-
*) S. oben 237 S.
ihr Intereſſe verlieren, verweben könne. Sie muſs ſeinen Kräften und Neigungen angemeſſen ſeyn, und dadurch ihn anziehn. Sind keine Ge- genſtände der Art aufzufinden, die durch ihr natürliches Intereſſe feſſeln, ſo verſchafft man ihnen ein erkünſteltes, durch vorgeſchobne und ſcheinbare Gefahren *). Alles dies gelingt in öffentlichen Anſtalten beſſer als in Privathäuſern.
Zuweilen kann ein plötzlicher und unerwar- teter Eindruck der fixirten Seelenſtimmung des Kranken plötzlich eine andere Richtung geben. Ein junger Menſch, der auſser der fixen Idee, er ſey ein ſchwediſcher Prinz, vernünftig war, wur- de einer Frau zur Kur übergeben, die ſich in der Heilung der Irrenden groſsen Ruf erworben hatte. Sie ſetzte ihn den erſten Mittag neben ſich am Tiſche. Er ſprach und handelte lange conſequent, bis er auf einmal auf ſeine fixe Idee abſprang. In demſelben Augenblick bekam er eine Maulſchel- le, daſs ihm der Kopf brummte. Dieſe Behand- lung, die er theils nicht von einer Frau, theils nicht am erſten Tage ſeiner Aufnahme, gegen die Pflichten der Gaſtfreundſchaft erwartet hatte, wirkte ſo ſehr auf ihn, daſs er ſeiner Grille nie wieder erwähnte. So können auch erregte Lei- denſchaften des Schrecks, der Liebe, der Hoffnung, die man auf wichtige Objekte der Religion, der Ehre, der Furcht vor Uebeln grün-
*) S. oben 237 S.
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ihr Intereſſe verlieren, verweben könne. Sie
muſs ſeinen Kräften und Neigungen angemeſſen
ſeyn, und dadurch ihn anziehn. Sind keine Ge-
genſtände der Art aufzufinden, die durch ihr
natürliches Intereſſe feſſeln, ſo verſchafft man
ihnen ein erkünſteltes, durch vorgeſchobne und
ſcheinbare Gefahren *). Alles dies gelingt in
öffentlichen Anſtalten beſſer als in Privathäuſern.
Zuweilen kann ein plötzlicher und unerwar-
teter Eindruck der fixirten Seelenſtimmung des
Kranken plötzlich eine andere Richtung geben.
Ein junger Menſch, der auſser der fixen Idee, er
ſey ein ſchwediſcher Prinz, vernünftig war, wur-
de einer Frau zur Kur übergeben, die ſich in der
Heilung der Irrenden groſsen Ruf erworben hatte.
Sie ſetzte ihn den erſten Mittag neben ſich am
Tiſche. Er ſprach und handelte lange conſequent,
bis er auf einmal auf ſeine fixe Idee abſprang. In
demſelben Augenblick bekam er eine Maulſchel-
le, daſs ihm der Kopf brummte. Dieſe Behand-
lung, die er theils nicht von einer Frau, theils
nicht am erſten Tage ſeiner Aufnahme, gegen
die Pflichten der Gaſtfreundſchaft erwartet hatte,
wirkte ſo ſehr auf ihn, daſs er ſeiner Grille nie
wieder erwähnte. So können auch erregte Lei-
denſchaften des Schrecks, der Liebe, der
Hoffnung, die man auf wichtige Objekte der
Religion, der Ehre, der Furcht vor Uebeln grün-
*) S. oben 237 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/332>, abgerufen am 21.11.2024.
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