Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

det, dazu beitragen, dass die fixe Idee verdrängt
werde. Als Orestes den Tod seines Vaters
mit dem Blute seiner Mutter Clytemnestra
gerächt hatte, fiel er in den Wahn, als wenn die
Manen derselben, mit Fackeln und Schlangen be-
waffnet, ihn verfolgten. Das Orakel rieth ihm
zu einer Seereise mit seinem Freunde Pylades.
Er landete in Chersonesus, und kam daselbst in
Gefahr, den Göttern des Landes geopfert zu wer-
den. Doch entging er dem Tode, und erfuhr,
dass er durch seine Schwester Iphigenia ge-
rettet sey. Beide Leidenschaften, Schreck und
Freude, wirkten so sehr auf ihn, dass er ver-
nünftig nach Griechenland zurückkehrte, und
die Zügel der Regierung übernehmen konnte.
Ein Kaufmann in Frankreich hatte wegen einiger
Unglücksfälle im Handel die fixe Idee gefasst, er
müsse vor Armuth verhungern. Um die Zeit
brach die Reformation in Deutschland aus. Dies
zog die Aufmerksamkeit des Kranken stärker an,
er vertheidigte das Pabstthum durch Reden und
Schriften, und wurde von seinem Wahn geheilt *).
Als Achilles über den Tod des Patroclus
wüthend geworden war, und die grausamste Ra-
che an dem gefallenen Hector ausübte, suchte
seine Mutter Thetis der Wuth eine andere Lei-
denschaft, Liebe, zur Seite zu stellen, und lenkte
durch diesen Umweg ihren Sohn endlich dahin,

*) Pinel l. c. 254 S.

det, dazu beitragen, daſs die fixe Idee verdrängt
werde. Als Oreſtes den Tod ſeines Vaters
mit dem Blute ſeiner Mutter Clytemneſtra
gerächt hatte, fiel er in den Wahn, als wenn die
Manen derſelben, mit Fackeln und Schlangen be-
waffnet, ihn verfolgten. Das Orakel rieth ihm
zu einer Seereiſe mit ſeinem Freunde Pylades.
Er landete in Cherſoneſus, und kam daſelbſt in
Gefahr, den Göttern des Landes geopfert zu wer-
den. Doch entging er dem Tode, und erfuhr,
daſs er durch ſeine Schweſter Iphigenia ge-
rettet ſey. Beide Leidenſchaften, Schreck und
Freude, wirkten ſo ſehr auf ihn, daſs er ver-
nünftig nach Griechenland zurückkehrte, und
die Zügel der Regierung übernehmen konnte.
Ein Kaufmann in Frankreich hatte wegen einiger
Unglücksfälle im Handel die fixe Idee gefaſst, er
müſſe vor Armuth verhungern. Um die Zeit
brach die Reformation in Deutſchland aus. Dies
zog die Aufmerkſamkeit des Kranken ſtärker an,
er vertheidigte das Pabſtthum durch Reden und
Schriften, und wurde von ſeinem Wahn geheilt *).
Als Achilles über den Tod des Patroclus
wüthend geworden war, und die grauſamſte Ra-
che an dem gefallenen Hector ausübte, ſuchte
ſeine Mutter Thetis der Wuth eine andere Lei-
denſchaft, Liebe, zur Seite zu ſtellen, und lenkte
durch dieſen Umweg ihren Sohn endlich dahin,

*) Pinel l. c. 254 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0333" n="328"/>
det, dazu beitragen, da&#x017F;s die fixe Idee verdrängt<lb/>
werde. Als <hi rendition="#g">Ore&#x017F;tes</hi> den Tod &#x017F;eines Vaters<lb/>
mit dem Blute &#x017F;einer Mutter <hi rendition="#g">Clytemne&#x017F;tra</hi><lb/>
gerächt hatte, fiel er in den Wahn, als wenn die<lb/>
Manen der&#x017F;elben, mit Fackeln und Schlangen be-<lb/>
waffnet, ihn verfolgten. Das Orakel rieth ihm<lb/>
zu einer Seerei&#x017F;e mit &#x017F;einem Freunde <hi rendition="#g">Pylades</hi>.<lb/>
Er landete in Cher&#x017F;one&#x017F;us, und kam da&#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
Gefahr, den Göttern des Landes geopfert zu wer-<lb/>
den. Doch entging er dem Tode, und erfuhr,<lb/>
da&#x017F;s er durch &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter <hi rendition="#g">Iphigenia</hi> ge-<lb/>
rettet &#x017F;ey. Beide Leiden&#x017F;chaften, Schreck und<lb/>
Freude, wirkten &#x017F;o &#x017F;ehr auf ihn, da&#x017F;s er ver-<lb/>
nünftig nach Griechenland zurückkehrte, und<lb/>
die Zügel der Regierung übernehmen konnte.<lb/>
Ein Kaufmann in Frankreich hatte wegen einiger<lb/>
Unglücksfälle im Handel die fixe Idee gefa&#x017F;st, er<lb/>&#x017F;&#x017F;e vor Armuth verhungern. Um die Zeit<lb/>
brach die Reformation in Deut&#x017F;chland aus. Dies<lb/>
zog die Aufmerk&#x017F;amkeit des Kranken &#x017F;tärker an,<lb/>
er vertheidigte das Pab&#x017F;tthum durch Reden und<lb/>
Schriften, und wurde von &#x017F;einem Wahn geheilt <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Pinel</hi> l. c. 254 S.</note>.<lb/><hi rendition="#g">Als Achilles</hi> über den Tod des <hi rendition="#g">Patroclus</hi><lb/>
wüthend geworden war, und die grau&#x017F;am&#x017F;te Ra-<lb/>
che an dem gefallenen <hi rendition="#g">Hector</hi> ausübte, &#x017F;uchte<lb/>
&#x017F;eine Mutter <hi rendition="#g">Thetis</hi> der Wuth eine andere Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft, <hi rendition="#g">Liebe</hi>, zur Seite zu &#x017F;tellen, und lenkte<lb/>
durch die&#x017F;en Umweg ihren Sohn endlich dahin,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0333] det, dazu beitragen, daſs die fixe Idee verdrängt werde. Als Oreſtes den Tod ſeines Vaters mit dem Blute ſeiner Mutter Clytemneſtra gerächt hatte, fiel er in den Wahn, als wenn die Manen derſelben, mit Fackeln und Schlangen be- waffnet, ihn verfolgten. Das Orakel rieth ihm zu einer Seereiſe mit ſeinem Freunde Pylades. Er landete in Cherſoneſus, und kam daſelbſt in Gefahr, den Göttern des Landes geopfert zu wer- den. Doch entging er dem Tode, und erfuhr, daſs er durch ſeine Schweſter Iphigenia ge- rettet ſey. Beide Leidenſchaften, Schreck und Freude, wirkten ſo ſehr auf ihn, daſs er ver- nünftig nach Griechenland zurückkehrte, und die Zügel der Regierung übernehmen konnte. Ein Kaufmann in Frankreich hatte wegen einiger Unglücksfälle im Handel die fixe Idee gefaſst, er müſſe vor Armuth verhungern. Um die Zeit brach die Reformation in Deutſchland aus. Dies zog die Aufmerkſamkeit des Kranken ſtärker an, er vertheidigte das Pabſtthum durch Reden und Schriften, und wurde von ſeinem Wahn geheilt *). Als Achilles über den Tod des Patroclus wüthend geworden war, und die grauſamſte Ra- che an dem gefallenen Hector ausübte, ſuchte ſeine Mutter Thetis der Wuth eine andere Lei- denſchaft, Liebe, zur Seite zu ſtellen, und lenkte durch dieſen Umweg ihren Sohn endlich dahin, *) Pinel l. c. 254 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/333
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/333>, abgerufen am 21.11.2024.