Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Lippe sey zu einer ungeheuren Grösse an-
geschwollen. Einer seiner Bekannten hielt ihm
den Spiegel vor, um ihn von seinem Wahn zu
überzeugen, aber ohne Erfolg. Ein anderer gab
ihm Recht, tröstete ihn aber, dass das Uebel ver-
gehen würde. Schon am anderen Tage behaup-
tete der Kranke selbst, dass die Geschwulst sich
bereits gesetzt habe *). Ich sah im Berliner Toll-
hause eine Kranke, die sich für schwanger hielt,
und sich an alle Thüren drängte, um ins Gebähr-
haus zu kommen. Vielleicht wäre sie von ihrer
Thorheit geheilt, wenn man sie dahingebracht,
ihr durch Darmreize Koliken erregt und ein
Kind untergeschoben hätte. Tulpius **) heilte

autem sic insanientium animos gerere se pro
cujusque natura necessarium est. Quorumdam
enim vani metus levandi sunt: sicut in homine
praedivite famem timente incidit, cui subinde
falsae haereditates nunciabantur. Quorumdam
audacia coercenda est; sicut in his fit, in quibus
continendis plagae quoque adhibentur. Quo-
rumdam etiam intempestivus risus objurgatione
et minis prohibendus est. Quorumdam discu-
tiendae tristes cogitationes: ad quod symphoniae
et cymbala strepitusque proficiunt. Saepius ta-
men assentiendum, quam repugnandum est;
paulatimque et non evidenter, ab his, quae stulte
dicuntur, ad meliora mens abducenda. Celsus;
Art. med. princ. T. VIII. p. 161.
*) Wagner Beitr. l. c. 2 B. 9 S.
**) Observ. Lib. I. c. 16.

ſeine Lippe ſey zu einer ungeheuren Gröſse an-
geſchwollen. Einer ſeiner Bekannten hielt ihm
den Spiegel vor, um ihn von ſeinem Wahn zu
überzeugen, aber ohne Erfolg. Ein anderer gab
ihm Recht, tröſtete ihn aber, daſs das Uebel ver-
gehen würde. Schon am anderen Tage behaup-
tete der Kranke ſelbſt, daſs die Geſchwulſt ſich
bereits geſetzt habe *). Ich ſah im Berliner Toll-
hauſe eine Kranke, die ſich für ſchwanger hielt,
und ſich an alle Thüren drängte, um ins Gebähr-
haus zu kommen. Vielleicht wäre ſie von ihrer
Thorheit geheilt, wenn man ſie dahingebracht,
ihr durch Darmreize Koliken erregt und ein
Kind untergeſchoben hätte. Tulpius **) heilte

autem ſic inſanientium animos gerere ſe pro
cujusque natura neceſſarium eſt. Quorumdam
enim vani metus levandi ſunt: ſicut in homine
praedivite famem timente incidit, cui ſubinde
falſae haereditates nunciabantur. Quorumdam
audacia coercenda eſt; ſicut in his fit, in quibus
continendis plagae quoque adhibentur. Quo-
rumdam etiam intempeſtivus riſus objurgatione
et minis prohibendus eſt. Quorumdam discu-
tiendae triſtes cogitationes: ad quod ſymphoniae
et cymbala ſtrepitusque proficiunt. Saepius ta-
men aſſentiendum, quam repugnandum eſt;
paulatimque et non evidenter, ab his, quae ſtulte
dicuntur, ad meliora mens abducenda. Celſus;
Art. med. princ. T. VIII. p. 161.
*) Wagner Beitr. l. c. 2 B. 9 S.
**) Obſerv. Lib. I. c. 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0335" n="330"/>
&#x017F;eine Lippe &#x017F;ey zu einer ungeheuren Grö&#x017F;se an-<lb/>
ge&#x017F;chwollen. Einer &#x017F;einer Bekannten hielt ihm<lb/>
den Spiegel vor, um ihn von &#x017F;einem Wahn zu<lb/>
überzeugen, aber ohne Erfolg. Ein anderer gab<lb/>
ihm Recht, trö&#x017F;tete ihn aber, da&#x017F;s das Uebel ver-<lb/>
gehen würde. Schon am anderen Tage behaup-<lb/>
tete der Kranke &#x017F;elb&#x017F;t, da&#x017F;s die Ge&#x017F;chwul&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
bereits ge&#x017F;etzt habe <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Wagner</hi> Beitr. l. c. 2 B. 9 S.</note>. Ich &#x017F;ah im Berliner Toll-<lb/>
hau&#x017F;e eine Kranke, die &#x017F;ich für &#x017F;chwanger hielt,<lb/>
und &#x017F;ich an alle Thüren drängte, um ins Gebähr-<lb/>
haus zu kommen. Vielleicht wäre &#x017F;ie von ihrer<lb/>
Thorheit geheilt, wenn man &#x017F;ie dahingebracht,<lb/>
ihr durch Darmreize Koliken erregt und ein<lb/>
Kind unterge&#x017F;choben hätte. <hi rendition="#g">Tulpius</hi> <note place="foot" n="**)">Ob&#x017F;erv. Lib. I. c. 16.</note> heilte<lb/><note xml:id="seg2pn_6_2" prev="#seg2pn_6_1" place="foot" n="**)">autem &#x017F;ic in&#x017F;anientium animos gerere &#x017F;e pro<lb/>
cujusque natura nece&#x017F;&#x017F;arium e&#x017F;t. Quorumdam<lb/>
enim vani metus levandi &#x017F;unt: &#x017F;icut in homine<lb/>
praedivite famem timente incidit, cui &#x017F;ubinde<lb/>
fal&#x017F;ae haereditates nunciabantur. Quorumdam<lb/>
audacia coercenda e&#x017F;t; &#x017F;icut in his fit, in quibus<lb/>
continendis plagae quoque adhibentur. Quo-<lb/>
rumdam etiam intempe&#x017F;tivus ri&#x017F;us objurgatione<lb/>
et minis prohibendus e&#x017F;t. Quorumdam discu-<lb/>
tiendae tri&#x017F;tes cogitationes: ad quod &#x017F;ymphoniae<lb/>
et cymbala &#x017F;trepitusque proficiunt. Saepius ta-<lb/>
men a&#x017F;&#x017F;entiendum, quam repugnandum e&#x017F;t;<lb/>
paulatimque et non evidenter, ab his, quae &#x017F;tulte<lb/>
dicuntur, ad meliora mens abducenda. <hi rendition="#g">Cel&#x017F;us</hi>;<lb/>
Art. med. princ. T. VIII. p. 161.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0335] ſeine Lippe ſey zu einer ungeheuren Gröſse an- geſchwollen. Einer ſeiner Bekannten hielt ihm den Spiegel vor, um ihn von ſeinem Wahn zu überzeugen, aber ohne Erfolg. Ein anderer gab ihm Recht, tröſtete ihn aber, daſs das Uebel ver- gehen würde. Schon am anderen Tage behaup- tete der Kranke ſelbſt, daſs die Geſchwulſt ſich bereits geſetzt habe *). Ich ſah im Berliner Toll- hauſe eine Kranke, die ſich für ſchwanger hielt, und ſich an alle Thüren drängte, um ins Gebähr- haus zu kommen. Vielleicht wäre ſie von ihrer Thorheit geheilt, wenn man ſie dahingebracht, ihr durch Darmreize Koliken erregt und ein Kind untergeſchoben hätte. Tulpius **) heilte **) *) Wagner Beitr. l. c. 2 B. 9 S. **) Obſerv. Lib. I. c. 16. **) autem ſic inſanientium animos gerere ſe pro cujusque natura neceſſarium eſt. Quorumdam enim vani metus levandi ſunt: ſicut in homine praedivite famem timente incidit, cui ſubinde falſae haereditates nunciabantur. Quorumdam audacia coercenda eſt; ſicut in his fit, in quibus continendis plagae quoque adhibentur. Quo- rumdam etiam intempeſtivus riſus objurgatione et minis prohibendus eſt. Quorumdam discu- tiendae triſtes cogitationes: ad quod ſymphoniae et cymbala ſtrepitusque proficiunt. Saepius ta- men aſſentiendum, quam repugnandum eſt; paulatimque et non evidenter, ab his, quae ſtulte dicuntur, ad meliora mens abducenda. Celſus; Art. med. princ. T. VIII. p. 161.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/335
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/335>, abgerufen am 21.11.2024.