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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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der Pabst die Barmherzigkeit gehabt hätte, ihn
wirklich zum Kardinal zu machen *).

Meistens ist der Wahnsinn, der auf uner-
reichten Zwecken haftet, und daher mit gehässigen
Leidenschaften verknüpft ist, leichter zu heilen
als der Thor, der im Besitz seiner Zwecke zu
seyn glaubt, sich in seiner Lage wohl gefällt, und
sie eben deswegen zu erhalten sucht. Man hat
hier nicht allein die falsche Voraussetzung, son-
dern auch die Vorliebe für dieselbe zu überwin-
den. Das letzte kann man dadurch heben, dass
man irgend ein physisches oder moralisches Uebel
unmittelbar an die Aeusserung seiner Idee knüpft,
und zwar so, dass der Kranke das Uebel für eine
natürliche Folge seiner Idee hält. Der Narr, der
mit Wohlgefallen sich für einen schwedischen
Prinzen hielt, trennte sich von dieser Hoheit, als
unmittelbar auf ihre Anmeldung eine Maulschelle
gefolgt war. Hätte der Pater Sgambari in
jedem Augenblick, wo er sich für eine Eminenz
hielt, ein ähnliches Uebel erdulden müssen, er
würde seiner Würde bald so gramm geworden seyn,
als er sie lieb gewonnen hatte.

Oben habe ich schon bemerkt, dass der
fixirte Wahnsinn unendlich viele Modifika-
tionen
nach seinen Graden, nach seiner Dauer,
Zusammensetzung, entfernten Ursachen und nach
der Art und Weise habe, wie er auf das Begeh-

*) Muratori l. c. 2 B. 9 S.

der Pabſt die Barmherzigkeit gehabt hätte, ihn
wirklich zum Kardinal zu machen *).

Meiſtens iſt der Wahnſinn, der auf uner-
reichten Zwecken haftet, und daher mit gehäſſigen
Leidenſchaften verknüpft iſt, leichter zu heilen
als der Thor, der im Beſitz ſeiner Zwecke zu
ſeyn glaubt, ſich in ſeiner Lage wohl gefällt, und
ſie eben deswegen zu erhalten ſucht. Man hat
hier nicht allein die falſche Vorausſetzung, ſon-
dern auch die Vorliebe für dieſelbe zu überwin-
den. Das letzte kann man dadurch heben, daſs
man irgend ein phyſiſches oder moraliſches Uebel
unmittelbar an die Aeuſserung ſeiner Idee knüpft,
und zwar ſo, daſs der Kranke das Uebel für eine
natürliche Folge ſeiner Idee hält. Der Narr, der
mit Wohlgefallen ſich für einen ſchwediſchen
Prinzen hielt, trennte ſich von dieſer Hoheit, als
unmittelbar auf ihre Anmeldung eine Maulſchelle
gefolgt war. Hätte der Pater Sgambari in
jedem Augenblick, wo er ſich für eine Eminenz
hielt, ein ähnliches Uebel erdulden müſſen, er
würde ſeiner Würde bald ſo gramm geworden ſeyn,
als er ſie lieb gewonnen hatte.

Oben habe ich ſchon bemerkt, daſs der
fixirte Wahnſinn unendlich viele Modifika-
tionen
nach ſeinen Graden, nach ſeiner Dauer,
Zuſammenſetzung, entfernten Urſachen und nach
der Art und Weiſe habe, wie er auf das Begeh-

*) Muratori l. c. 2 B. 9 S.
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[332/0337] der Pabſt die Barmherzigkeit gehabt hätte, ihn wirklich zum Kardinal zu machen *). Meiſtens iſt der Wahnſinn, der auf uner- reichten Zwecken haftet, und daher mit gehäſſigen Leidenſchaften verknüpft iſt, leichter zu heilen als der Thor, der im Beſitz ſeiner Zwecke zu ſeyn glaubt, ſich in ſeiner Lage wohl gefällt, und ſie eben deswegen zu erhalten ſucht. Man hat hier nicht allein die falſche Vorausſetzung, ſon- dern auch die Vorliebe für dieſelbe zu überwin- den. Das letzte kann man dadurch heben, daſs man irgend ein phyſiſches oder moraliſches Uebel unmittelbar an die Aeuſserung ſeiner Idee knüpft, und zwar ſo, daſs der Kranke das Uebel für eine natürliche Folge ſeiner Idee hält. Der Narr, der mit Wohlgefallen ſich für einen ſchwediſchen Prinzen hielt, trennte ſich von dieſer Hoheit, als unmittelbar auf ihre Anmeldung eine Maulſchelle gefolgt war. Hätte der Pater Sgambari in jedem Augenblick, wo er ſich für eine Eminenz hielt, ein ähnliches Uebel erdulden müſſen, er würde ſeiner Würde bald ſo gramm geworden ſeyn, als er ſie lieb gewonnen hatte. Oben habe ich ſchon bemerkt, daſs der fixirte Wahnſinn unendlich viele Modifika- tionen nach ſeinen Graden, nach ſeiner Dauer, Zuſammenſetzung, entfernten Urſachen und nach der Art und Weiſe habe, wie er auf das Begeh- *) Muratori l. c. 2 B. 9 S.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/337>, abgerufen am 22.11.2024.