Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Seinen Nachtstuhl versah er mit einem künstli-
chen Ventil. Kurz er verfertigte mit besonderer
Geschicklichkeit alles selbst, was zu seiner Sicher-
heit abzwecken konnte *). Diese Kranken muss
man beschäfftigen, ihnen bessere Ideen von der
Güte des menschlichen Herzens beibringen, sie
überreden, dass ihre Feinde gestorben sind, oder
sie mit denselben in ein solches Verhältniss brin-
gen, dass sie nicht nur kein Leides, sondern viel-
mehr Wohlthaten von ihnen empfangen. Zu-
weilen heilt die Zeit diesen Wahn, wie ich eini-
gemal gesehen habe. Schwerer sind die Kranken
zu behandeln, die sich über versäumte Pflichten
gegen Gott und ihren Nächsten Vorwürfe machen.
Man bringe sie vorerst durch Reizmittel aus ih-
rem dumpfen Wahnsinn zur Besonnenheit, und
suche sie dann über ihren Irrthum aufzuklären,
und sie auf die Barmherzigkeit Gottes aufmerk-
sam zu machen.

b) Einbildungen zu verarmen und
vor Hunger sterben zu müssen
, oft bey
hinlänglichem Vermögen. Sauvages **) er-
wähnt eines solchen Kranken, der nicht aus dem
Bette aufstand, um seine Kleider zu schonen.
Andere entschliessen sich, lieber gleich und will-
kührlich zu verhungern, um es nachher nicht
aus Noth zu müssen. Einen solchen Kranken

ge-
*) Moritz Magazin 1 B. 1 Heft 7 S.
**) Nosol. T. III. P. I. 379 S.

Seinen Nachtſtuhl verſah er mit einem künſtli-
chen Ventil. Kurz er verfertigte mit beſonderer
Geſchicklichkeit alles ſelbſt, was zu ſeiner Sicher-
heit abzwecken konnte *). Dieſe Kranken muſs
man beſchäfftigen, ihnen beſſere Ideen von der
Güte des menſchlichen Herzens beibringen, ſie
überreden, daſs ihre Feinde geſtorben ſind, oder
ſie mit denſelben in ein ſolches Verhältniſs brin-
gen, daſs ſie nicht nur kein Leides, ſondern viel-
mehr Wohlthaten von ihnen empfangen. Zu-
weilen heilt die Zeit dieſen Wahn, wie ich eini-
gemal geſehen habe. Schwerer ſind die Kranken
zu behandeln, die ſich über verſäumte Pflichten
gegen Gott und ihren Nächſten Vorwürfe machen.
Man bringe ſie vorerſt durch Reizmittel aus ih-
rem dumpfen Wahnſinn zur Beſonnenheit, und
ſuche ſie dann über ihren Irrthum aufzuklären,
und ſie auf die Barmherzigkeit Gottes aufmerk-
ſam zu machen.

b) Einbildungen zu verarmen und
vor Hunger ſterben zu müſſen
, oft bey
hinlänglichem Vermögen. Sauvages **) er-
wähnt eines ſolchen Kranken, der nicht aus dem
Bette aufſtand, um ſeine Kleider zu ſchonen.
Andere entſchlieſsen ſich, lieber gleich und will-
kührlich zu verhungern, um es nachher nicht
aus Noth zu müſſen. Einen ſolchen Kranken

ge-
*) Moritz Magazin 1 B. 1 Heft 7 S.
**) Noſol. T. III. P. I. 379 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0341" n="336"/>
Seinen Nacht&#x017F;tuhl ver&#x017F;ah er mit einem kün&#x017F;tli-<lb/>
chen Ventil. Kurz er verfertigte mit be&#x017F;onderer<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit alles &#x017F;elb&#x017F;t, was zu &#x017F;einer Sicher-<lb/>
heit abzwecken konnte <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Moritz</hi> Magazin 1 B. 1 Heft 7 S.</note>. Die&#x017F;e Kranken mu&#x017F;s<lb/>
man be&#x017F;chäfftigen, ihnen be&#x017F;&#x017F;ere Ideen von der<lb/>
Güte des men&#x017F;chlichen Herzens beibringen, &#x017F;ie<lb/>
überreden, da&#x017F;s ihre Feinde ge&#x017F;torben &#x017F;ind, oder<lb/>
&#x017F;ie mit den&#x017F;elben in ein &#x017F;olches Verhältni&#x017F;s brin-<lb/>
gen, da&#x017F;s &#x017F;ie nicht nur kein Leides, &#x017F;ondern viel-<lb/>
mehr Wohlthaten von ihnen empfangen. Zu-<lb/>
weilen heilt die Zeit die&#x017F;en Wahn, wie ich eini-<lb/>
gemal ge&#x017F;ehen habe. Schwerer &#x017F;ind die Kranken<lb/>
zu behandeln, die &#x017F;ich über ver&#x017F;äumte Pflichten<lb/>
gegen Gott und ihren Näch&#x017F;ten Vorwürfe machen.<lb/>
Man bringe &#x017F;ie vorer&#x017F;t durch Reizmittel aus ih-<lb/>
rem dumpfen Wahn&#x017F;inn zur Be&#x017F;onnenheit, und<lb/>
&#x017F;uche &#x017F;ie dann über ihren Irrthum aufzuklären,<lb/>
und &#x017F;ie auf die Barmherzigkeit Gottes aufmerk-<lb/>
&#x017F;am zu machen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">b) Einbildungen zu verarmen und<lb/>
vor Hunger &#x017F;terben zu mü&#x017F;&#x017F;en</hi>, oft bey<lb/>
hinlänglichem Vermögen. <hi rendition="#g">Sauvages</hi> <note place="foot" n="**)">No&#x017F;ol. T. III. P. I. 379 S.</note> er-<lb/>
wähnt eines &#x017F;olchen Kranken, der nicht aus dem<lb/>
Bette auf&#x017F;tand, um &#x017F;eine Kleider zu &#x017F;chonen.<lb/>
Andere ent&#x017F;chlie&#x017F;sen &#x017F;ich, lieber gleich und will-<lb/>
kührlich zu verhungern, um es nachher nicht<lb/>
aus Noth zu mü&#x017F;&#x017F;en. Einen &#x017F;olchen Kranken<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0341] Seinen Nachtſtuhl verſah er mit einem künſtli- chen Ventil. Kurz er verfertigte mit beſonderer Geſchicklichkeit alles ſelbſt, was zu ſeiner Sicher- heit abzwecken konnte *). Dieſe Kranken muſs man beſchäfftigen, ihnen beſſere Ideen von der Güte des menſchlichen Herzens beibringen, ſie überreden, daſs ihre Feinde geſtorben ſind, oder ſie mit denſelben in ein ſolches Verhältniſs brin- gen, daſs ſie nicht nur kein Leides, ſondern viel- mehr Wohlthaten von ihnen empfangen. Zu- weilen heilt die Zeit dieſen Wahn, wie ich eini- gemal geſehen habe. Schwerer ſind die Kranken zu behandeln, die ſich über verſäumte Pflichten gegen Gott und ihren Nächſten Vorwürfe machen. Man bringe ſie vorerſt durch Reizmittel aus ih- rem dumpfen Wahnſinn zur Beſonnenheit, und ſuche ſie dann über ihren Irrthum aufzuklären, und ſie auf die Barmherzigkeit Gottes aufmerk- ſam zu machen. b) Einbildungen zu verarmen und vor Hunger ſterben zu müſſen, oft bey hinlänglichem Vermögen. Sauvages **) er- wähnt eines ſolchen Kranken, der nicht aus dem Bette aufſtand, um ſeine Kleider zu ſchonen. Andere entſchlieſsen ſich, lieber gleich und will- kührlich zu verhungern, um es nachher nicht aus Noth zu müſſen. Einen ſolchen Kranken ge- *) Moritz Magazin 1 B. 1 Heft 7 S. **) Noſol. T. III. P. I. 379 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/341
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/341>, abgerufen am 27.07.2024.