da, als wenn er auch den letzten Vorzug der Menschen, die aufrechte Stellung, nicht mehr be- haupten könnte. Seine Bewegungen sind träge, ohne Ründung und Gewandtheit. Einige Blöd- sinnige sitzen gar Tage lang auf einem Fleck, oh- ne auch nur ein Glied zu rühren.
Dass die Asthenie des Gehirns, sofern es gleichsam der Hauptheerd ist, von welchem alle Reizung des Organismus ausgeht, auch in allen übrigen Functionen des Körpers, in dem Kreis- lauf der Säfte, der Wärme, den Absonderungen u. s. w. sichtbar werden müsse, ist nicht zu be- zweifeln. Doch sind die Erscheinungen aus die- sen Quellen Symptome eigner Krankheiten, die den Blödsinn, als solchem, nichts angehn. Eini- ge andere Symptome desselben will ich unten noch bey den Graden desselben anführen.
Der Blödsinn hat fast häufigere, mehr oder weniger zufällige Modifikationen, als jede andere Krankheit. Denn er kann vielleicht, da er bloss symptomatisch bestimmt ist, von Krank- heiten verschiedner Natur Product seyn, welche in diesem Fall, neben dem gemeinschaftlichen Symptom des Blödsinns, noch ihre eigenthüm- lichen Charaktere haben. Er variirt nach seinen nosologischen Verhältnissen, so fern er ursprüng- lich im Verstande, oder durch Asthenieen der übrigen Seelenkräfte entstanden ist, die auf den Verstand übergegangen sind; nach der Ausbrei- tung der Asthenieen durch eins, mehrere oder
da, als wenn er auch den letzten Vorzug der Menſchen, die aufrechte Stellung, nicht mehr be- haupten könnte. Seine Bewegungen ſind träge, ohne Ründung und Gewandtheit. Einige Blöd- ſinnige ſitzen gar Tage lang auf einem Fleck, oh- ne auch nur ein Glied zu rühren.
Daſs die Aſthenie des Gehirns, ſofern es gleichſam der Hauptheerd iſt, von welchem alle Reizung des Organiſmus ausgeht, auch in allen übrigen Functionen des Körpers, in dem Kreis- lauf der Säfte, der Wärme, den Abſonderungen u. ſ. w. ſichtbar werden müſſe, iſt nicht zu be- zweifeln. Doch ſind die Erſcheinungen aus die- ſen Quellen Symptome eigner Krankheiten, die den Blödſinn, als ſolchem, nichts angehn. Eini- ge andere Symptome deſſelben will ich unten noch bey den Graden deſſelben anführen.
Der Blödſinn hat faſt häufigere, mehr oder weniger zufällige Modifikationen, als jede andere Krankheit. Denn er kann vielleicht, da er bloſs ſymptomatiſch beſtimmt iſt, von Krank- heiten verſchiedner Natur Product ſeyn, welche in dieſem Fall, neben dem gemeinſchaftlichen Symptom des Blödſinns, noch ihre eigenthüm- lichen Charaktere haben. Er variirt nach ſeinen noſologiſchen Verhältniſſen, ſo fern er urſprüng- lich im Verſtande, oder durch Aſthenieen der übrigen Seelenkräfte entſtanden iſt, die auf den Verſtand übergegangen ſind; nach der Ausbrei- tung der Aſthenieen durch eins, mehrere oder
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da, als wenn er auch den letzten Vorzug der
Menſchen, die aufrechte Stellung, nicht mehr be-
haupten könnte. Seine Bewegungen ſind träge,
ohne Ründung und Gewandtheit. Einige Blöd-
ſinnige ſitzen gar Tage lang auf einem Fleck, oh-
ne auch nur ein Glied zu rühren.
Daſs die Aſthenie des Gehirns, ſofern es
gleichſam der Hauptheerd iſt, von welchem alle
Reizung des Organiſmus ausgeht, auch in allen
übrigen Functionen des Körpers, in dem Kreis-
lauf der Säfte, der Wärme, den Abſonderungen
u. ſ. w. ſichtbar werden müſſe, iſt nicht zu be-
zweifeln. Doch ſind die Erſcheinungen aus die-
ſen Quellen Symptome eigner Krankheiten, die
den Blödſinn, als ſolchem, nichts angehn. Eini-
ge andere Symptome deſſelben will ich unten
noch bey den Graden deſſelben anführen.
Der Blödſinn hat faſt häufigere, mehr oder
weniger zufällige Modifikationen, als jede
andere Krankheit. Denn er kann vielleicht, da
er bloſs ſymptomatiſch beſtimmt iſt, von Krank-
heiten verſchiedner Natur Product ſeyn, welche
in dieſem Fall, neben dem gemeinſchaftlichen
Symptom des Blödſinns, noch ihre eigenthüm-
lichen Charaktere haben. Er variirt nach ſeinen
noſologiſchen Verhältniſſen, ſo fern er urſprüng-
lich im Verſtande, oder durch Aſthenieen der
übrigen Seelenkräfte entſtanden iſt, die auf den
Verſtand übergegangen ſind; nach der Ausbrei-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/417>, abgerufen am 22.11.2024.
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