Krankheiten, denen es gemeinschaftlich ange- hört, ein seiner Kräfte beraubtes oder ein zer- störtes Organ, höchst verschiedne Objekte sind. Er ist Symptom und so wenig wie die Blindheit specifische Krankheit, die von einer Trägheit oder Zerstörung der Netzhaut, von Verdunkelung der Säfte des Auges u. s. w. entstehen kann. Sind innerhalb der Hirnschaale oder auch ausser- halb derselben Verletzungen der Organisation vorhanden, die zwar als entfernte Ursache das Denkorgan seiner Erregbarkeit berauben, aber doch nicht in demselben selbst enthalten sind; so sind zwar organische Verletzungen da, aber der Blödsinn an sich ist dynamisch. Aecht organisch ist er also nur, wenn die Gehirnmasse in eine andere Substanz verwandelt oder durch Blasen- würmer, Wasserkopf u. s. w. ganz annihilirt ist.
Der dynamische Blödsinn ist entweder tran- sitorisch oder anhaltend. Der transitorische entsteht von einem vorübergehenden Raub der Vitalität des Gehirns. So verliert die Netzhaut für einen Augenblick ihre Sehkraft vom An- schauen der Sonne. Es giebt Sinnlosigkeiten und Ohnmachten, die mit einer vollkommenen Feier aller Seelenkräfte verbunden sind. Auch nach Gehirnerschütterungen, heftigen Leidenschaften, Phrenesieen und andern schweren Nervenkrank- heiten kann dieser transitorische Blödsinn entstehn. Häufig ist er in Gefässfiebern. Die Kranken sind ohne Bewusstseyn, achten auf nichts, murmeln
Krankheiten, denen es gemeinſchaftlich ange- hört, ein ſeiner Kräfte beraubtes oder ein zer- ſtörtes Organ, höchſt verſchiedne Objekte ſind. Er iſt Symptom und ſo wenig wie die Blindheit ſpecifiſche Krankheit, die von einer Trägheit oder Zerſtörung der Netzhaut, von Verdunkelung der Säfte des Auges u. ſ. w. entſtehen kann. Sind innerhalb der Hirnſchaale oder auch auſser- halb derſelben Verletzungen der Organiſation vorhanden, die zwar als entfernte Urſache das Denkorgan ſeiner Erregbarkeit berauben, aber doch nicht in demſelben ſelbſt enthalten ſind; ſo ſind zwar organiſche Verletzungen da, aber der Blödſinn an ſich iſt dynamiſch. Aecht organiſch iſt er alſo nur, wenn die Gehirnmaſſe in eine andere Subſtanz verwandelt oder durch Blaſen- würmer, Waſſerkopf u. ſ. w. ganz annihilirt iſt.
Der dynamiſche Blödſinn iſt entweder tran- ſitoriſch oder anhaltend. Der tranſitoriſche entſteht von einem vorübergehenden Raub der Vitalität des Gehirns. So verliert die Netzhaut für einen Augenblick ihre Sehkraft vom An- ſchauen der Sonne. Es giebt Sinnloſigkeiten und Ohnmachten, die mit einer vollkommenen Feier aller Seelenkräfte verbunden ſind. Auch nach Gehirnerſchütterungen, heftigen Leidenſchaften, Phreneſieen und andern ſchweren Nervenkrank- heiten kann dieſer tranſitoriſche Blödſinn entſtehn. Häufig iſt er in Gefäſsfiebern. Die Kranken ſind ohne Bewuſstſeyn, achten auf nichts, murmeln
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Krankheiten, denen es gemeinſchaftlich ange-
hört, ein ſeiner Kräfte beraubtes oder ein zer-
ſtörtes Organ, höchſt verſchiedne Objekte ſind.
Er iſt Symptom und ſo wenig wie die Blindheit
ſpecifiſche Krankheit, die von einer Trägheit
oder Zerſtörung der Netzhaut, von Verdunkelung
der Säfte des Auges u. ſ. w. entſtehen kann.
Sind innerhalb der Hirnſchaale oder auch auſser-
halb derſelben Verletzungen der Organiſation
vorhanden, die zwar als entfernte Urſache das
Denkorgan ſeiner Erregbarkeit berauben, aber
doch nicht in demſelben ſelbſt enthalten ſind; ſo
ſind zwar organiſche Verletzungen da, aber der
Blödſinn an ſich iſt dynamiſch. Aecht organiſch
iſt er alſo nur, wenn die Gehirnmaſſe in eine
andere Subſtanz verwandelt oder durch Blaſen-
würmer, Waſſerkopf u. ſ. w. ganz annihilirt iſt.
Der dynamiſche Blödſinn iſt entweder tran-
ſitoriſch oder anhaltend. Der tranſitoriſche
entſteht von einem vorübergehenden Raub der
Vitalität des Gehirns. So verliert die Netzhaut
für einen Augenblick ihre Sehkraft vom An-
ſchauen der Sonne. Es giebt Sinnloſigkeiten und
Ohnmachten, die mit einer vollkommenen Feier
aller Seelenkräfte verbunden ſind. Auch nach
Gehirnerſchütterungen, heftigen Leidenſchaften,
Phreneſieen und andern ſchweren Nervenkrank-
heiten kann dieſer tranſitoriſche Blödſinn entſtehn.
Häufig iſt er in Gefäſsfiebern. Die Kranken ſind
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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