des gegenseitigen Einflusses beider Theile des Menschen aufgesucht, und mit dem Heilgeschäfft in der engsten Verbindung gesetzt sind. Es scheint, sie müsse nach eben dem Zuschnitt, wie die Arznei- kunde, die auf den Körper wirkt, also als Phy- siologie und Pathologie der Seele, psy- chische Heilmittellehre und Therapie geordnet werden. Die Physiologie betrachtet die Seelenvermögen, wie sie in der Regel und ihren Naturbestimmungen gemäss seyn müssen, und dient zur Norm in der Reflection über ihren kranken Zustand. Diesen behandelt die Patho- logie, deren Gebiet man nicht zu eng, etwan auf blosse Geistesverkehrtheiten einschränken darf. Denn die Seele leidet weit ausgedehnter, je nachdem ihre Kräfte einzeln oder insgesammt erhöht, erniedrigt, verstimmt, oder in ein fal- sches Verhältniss gesetzt sind. Sie leidet im Alp, dem Nachtwandeln, der Hypochondrie u. s. w. an Zufällen, die mit der Verrücktheit nichts ge- mein haben. In der allgemeinen Seelenpa- thologie würde der Begriff der Seelenkrank- heiten exponirt, und ihr Unterschied von mo- ralischen Gebrechen und körperlichen Krank- heiten festgesetzt. Dadurch werden zugleich ihre Grenzen abgesteckt. Dann müsste in der- selben der logische Eintheilungsgrund der See- lenkrankheiten aufgesucht, und ihre generische und specifische Differenz angegeben werden. Die
des gegenſeitigen Einfluſſes beider Theile des Menſchen aufgeſucht, und mit dem Heilgeſchäfft in der engſten Verbindung geſetzt ſind. Es ſcheint, ſie müſſe nach eben dem Zuſchnitt, wie die Arznei- kunde, die auf den Körper wirkt, alſo als Phy- ſiologie und Pathologie der Seele, pſy- chiſche Heilmittellehre und Therapie geordnet werden. Die Phyſiologie betrachtet die Seelenvermögen, wie ſie in der Regel und ihren Naturbeſtimmungen gemäſs ſeyn müſſen, und dient zur Norm in der Reflection über ihren kranken Zuſtand. Dieſen behandelt die Patho- logie, deren Gebiet man nicht zu eng, etwan auf bloſse Geiſtesverkehrtheiten einſchränken darf. Denn die Seele leidet weit ausgedehnter, je nachdem ihre Kräfte einzeln oder insgeſammt erhöht, erniedrigt, verſtimmt, oder in ein fal- ſches Verhältniſs geſetzt ſind. Sie leidet im Alp, dem Nachtwandeln, der Hypochondrie u. ſ. w. an Zufällen, die mit der Verrücktheit nichts ge- mein haben. In der allgemeinen Seelenpa- thologie würde der Begriff der Seelenkrank- heiten exponirt, und ihr Unterſchied von mo- raliſchen Gebrechen und körperlichen Krank- heiten feſtgeſetzt. Dadurch werden zugleich ihre Grenzen abgeſteckt. Dann müſste in der- ſelben der logiſche Eintheilungsgrund der See- lenkrankheiten aufgeſucht, und ihre generiſche und ſpecifiſche Differenz angegeben werden. Die
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des gegenſeitigen Einfluſſes beider
Theile des Menſchen aufgeſucht, und
mit dem Heilgeſchäfft in der engſten
Verbindung geſetzt ſind. Es ſcheint, ſie
müſſe nach eben dem Zuſchnitt, wie die Arznei-
kunde, die auf den Körper wirkt, alſo als Phy-
ſiologie und Pathologie der Seele, pſy-
chiſche Heilmittellehre und Therapie
geordnet werden. Die Phyſiologie betrachtet
die Seelenvermögen, wie ſie in der Regel und
ihren Naturbeſtimmungen gemäſs ſeyn müſſen,
und dient zur Norm in der Reflection über ihren
kranken Zuſtand. Dieſen behandelt die Patho-
logie, deren Gebiet man nicht zu eng, etwan
auf bloſse Geiſtesverkehrtheiten einſchränken
darf. Denn die Seele leidet weit ausgedehnter,
je nachdem ihre Kräfte einzeln oder insgeſammt
erhöht, erniedrigt, verſtimmt, oder in ein fal-
ſches Verhältniſs geſetzt ſind. Sie leidet im Alp,
dem Nachtwandeln, der Hypochondrie u. ſ. w.
an Zufällen, die mit der Verrücktheit nichts ge-
mein haben. In der allgemeinen Seelenpa-
thologie würde der Begriff der Seelenkrank-
heiten exponirt, und ihr Unterſchied von mo-
raliſchen Gebrechen und körperlichen Krank-
heiten feſtgeſetzt. Dadurch werden zugleich
ihre Grenzen abgeſteckt. Dann müſste in der-
ſelben der logiſche Eintheilungsgrund der See-
lenkrankheiten aufgeſucht, und ihre generiſche
und ſpecifiſche Differenz angegeben werden. Die
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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