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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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entweder unsere Persönlichkeit bezwei-
feln oder unser Ich mit einer fremden
Person verwechseln, fremde Qualitä-
ten uns anmassen und unsere eigen-
thümlichen Zustände auf andere ver-
pflanzen
. In einer Gesellschaft schwärmender
Studenten befand sich einer, dessen Vater gestor-
ben war. Als der Wein zu berauschen anfing,
brach plötzlich ein anderer in ein lautes Weinen
aus, weil er fest des Glaubens war, er sey derje-
nige, dem der Vater gestorben sey. -- Eben diese
Wirkung hatte der Wein auf einen Wirtembergi-
schen Beamten. Sein Schreiber wollte ihn die
Treppe herunter führen, allein er schämte sich
dessen, riss sich loss und fiel der Länge nach her-
unter. Der Schreiber sprang zu, half seinem
Herrn wieder auf, und als er wieder auf den Bei-
nen stand, bedauerte er den Fall des Schreibers,
und erkundigte sich angelegentlich, ob er auch
Schaden genommen habe *). -- Ein Candidat,
der erst aus dem Irrenhause entlassen war, sass an
einem schönen Frühlingsabend am Abhange
des Ufers, wo ein vorüberfliessender Strom
eine Krümmung bildete. Eine lange hagere
Figur. Sein Haar floss in schlichten Locken
um sein Haupt und ein Zug des Tiefsinnes
schien der herrschende in seiner hohlen, aber

*) Mauchart's allgemeines Repertorium für die
empirische Psychologie, Nürnberg 1792, 1ster
Band, S. 108.

entweder unſere Perſönlichkeit bezwei-
feln oder unſer Ich mit einer fremden
Perſon verwechſeln, fremde Qualitä-
ten uns anmaſsen und unſere eigen-
thümlichen Zuſtände auf andere ver-
pflanzen
. In einer Geſellſchaft ſchwärmender
Studenten befand ſich einer, deſſen Vater geſtor-
ben war. Als der Wein zu berauſchen anfing,
brach plötzlich ein anderer in ein lautes Weinen
aus, weil er feſt des Glaubens war, er ſey derje-
nige, dem der Vater geſtorben ſey. — Eben dieſe
Wirkung hatte der Wein auf einen Wirtembergi-
ſchen Beamten. Sein Schreiber wollte ihn die
Treppe herunter führen, allein er ſchämte ſich
deſſen, riſs ſich loſs und fiel der Länge nach her-
unter. Der Schreiber ſprang zu, half ſeinem
Herrn wieder auf, und als er wieder auf den Bei-
nen ſtand, bedauerte er den Fall des Schreibers,
und erkundigte ſich angelegentlich, ob er auch
Schaden genommen habe *). — Ein Candidat,
der erſt aus dem Irrenhauſe entlaſſen war, ſaſs an
einem ſchönen Frühlingsabend am Abhange
des Ufers, wo ein vorüberflieſsender Strom
eine Krümmung bildete. Eine lange hagere
Figur. Sein Haar floſs in ſchlichten Locken
um ſein Haupt und ein Zug des Tiefſinnes
ſchien der herrſchende in ſeiner hohlen, aber

*) Mauchart’s allgemeines Repertorium für die
empiriſche Pſychologie, Nürnberg 1792, 1ſter
Band, S. 108.
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[72/0077] entweder unſere Perſönlichkeit bezwei- feln oder unſer Ich mit einer fremden Perſon verwechſeln, fremde Qualitä- ten uns anmaſsen und unſere eigen- thümlichen Zuſtände auf andere ver- pflanzen. In einer Geſellſchaft ſchwärmender Studenten befand ſich einer, deſſen Vater geſtor- ben war. Als der Wein zu berauſchen anfing, brach plötzlich ein anderer in ein lautes Weinen aus, weil er feſt des Glaubens war, er ſey derje- nige, dem der Vater geſtorben ſey. — Eben dieſe Wirkung hatte der Wein auf einen Wirtembergi- ſchen Beamten. Sein Schreiber wollte ihn die Treppe herunter führen, allein er ſchämte ſich deſſen, riſs ſich loſs und fiel der Länge nach her- unter. Der Schreiber ſprang zu, half ſeinem Herrn wieder auf, und als er wieder auf den Bei- nen ſtand, bedauerte er den Fall des Schreibers, und erkundigte ſich angelegentlich, ob er auch Schaden genommen habe *). — Ein Candidat, der erſt aus dem Irrenhauſe entlaſſen war, ſaſs an einem ſchönen Frühlingsabend am Abhange des Ufers, wo ein vorüberflieſsender Strom eine Krümmung bildete. Eine lange hagere Figur. Sein Haar floſs in ſchlichten Locken um ſein Haupt und ein Zug des Tiefſinnes ſchien der herrſchende in ſeiner hohlen, aber *) Mauchart’s allgemeines Repertorium für die empiriſche Pſychologie, Nürnberg 1792, 1ſter Band, S. 108.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/77>, abgerufen am 25.11.2024.