zu Hause mit zureichendem Verstande. So bald er aber aus demselben ging, fing er an zu seufzen, sich zu ängstigen und verfiel zuletzt in eine hef- tige Raserey, von welcher er nicht eher geheilt wurde, als bis er in seine Werckstätte zurück kehrte. Das Bewusstseyn seiner Persönlichkeit war so abhängig von den Gegenständen in dersel- ben, dass er es ohne sie nicht festhalten konnte, sondern verwirrt wurde. Im Traume irren wir uns immer in Ansehung des Raums, der Zeit und unserer Person. Wir springen von einem Welttheil zum andern, von einem Jahrhundert ins andere über und spielen jede Rolle vom König bis zum Bettler, die uns die zauberische Phantasie zutheilt. Eben dies geschieht im Wahnsinn, der ein Traum im Wachen ist.
Zum Beschluss noch etwas über Schlaf und Traum, ein Paar Erscheinungen der thieri- schen Oekonomie, die soviel Räthselhaftes haben, dass sie uns in das grösste Erstaunen setzen wür- den, wenn sie nicht so alltäglich wären. Sie stehn mit dem Bewusstseyn, dessen verschiednen Zuständen und mit dem Wahnsinn in einer so na- hen Verwandtschaft, und ändern sich gegenseitig in gleichen Verhältnissen von Moment zu Moment ab, dass höchst wahrscheinlich alle diese Erschei- nungen eine analoge Beschaffenheit in der Orga- nisation zur Basis haben. Wir würden daher dem Bewusstseyn und dem Wahnsinn bald auf die
zu Hauſe mit zureichendem Verſtande. So bald er aber aus demſelben ging, fing er an zu ſeufzen, ſich zu ängſtigen und verfiel zuletzt in eine hef- tige Raſerey, von welcher er nicht eher geheilt wurde, als bis er in ſeine Werckſtätte zurück kehrte. Das Bewuſstſeyn ſeiner Perſönlichkeit war ſo abhängig von den Gegenſtänden in derſel- ben, daſs er es ohne ſie nicht feſthalten konnte, ſondern verwirrt wurde. Im Traume irren wir uns immer in Anſehung des Raums, der Zeit und unſerer Perſon. Wir ſpringen von einem Welttheil zum andern, von einem Jahrhundert ins andere über und ſpielen jede Rolle vom König bis zum Bettler, die uns die zauberiſche Phantaſie zutheilt. Eben dies geſchieht im Wahnſinn, der ein Traum im Wachen iſt.
Zum Beſchluſs noch etwas über Schlaf und Traum, ein Paar Erſcheinungen der thieri- ſchen Oekonomie, die ſoviel Räthſelhaftes haben, daſs ſie uns in das gröſste Erſtaunen ſetzen wür- den, wenn ſie nicht ſo alltäglich wären. Sie ſtehn mit dem Bewuſstſeyn, deſſen verſchiednen Zuſtänden und mit dem Wahnſinn in einer ſo na- hen Verwandtſchaft, und ändern ſich gegenſeitig in gleichen Verhältniſſen von Moment zu Moment ab, daſs höchſt wahrſcheinlich alle dieſe Erſchei- nungen eine analoge Beſchaffenheit in der Orga- niſation zur Baſis haben. Wir würden daher dem Bewuſstſeyn und dem Wahnſinn bald auf die
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zu Hauſe mit zureichendem Verſtande. So bald
er aber aus demſelben ging, fing er an zu ſeufzen,
ſich zu ängſtigen und verfiel zuletzt in eine hef-
tige Raſerey, von welcher er nicht eher geheilt
wurde, als bis er in ſeine Werckſtätte zurück
kehrte. Das Bewuſstſeyn ſeiner Perſönlichkeit
war ſo abhängig von den Gegenſtänden in derſel-
ben, daſs er es ohne ſie nicht feſthalten konnte,
ſondern verwirrt wurde. Im Traume irren wir
uns immer in Anſehung des Raums, der Zeit
und unſerer Perſon. Wir ſpringen von einem
Welttheil zum andern, von einem Jahrhundert ins
andere über und ſpielen jede Rolle vom König
bis zum Bettler, die uns die zauberiſche Phantaſie
zutheilt. Eben dies geſchieht im Wahnſinn, der
ein Traum im Wachen iſt.
Zum Beſchluſs noch etwas über Schlaf
und Traum, ein Paar Erſcheinungen der thieri-
ſchen Oekonomie, die ſoviel Räthſelhaftes haben,
daſs ſie uns in das gröſste Erſtaunen ſetzen wür-
den, wenn ſie nicht ſo alltäglich wären. Sie
ſtehn mit dem Bewuſstſeyn, deſſen verſchiednen
Zuſtänden und mit dem Wahnſinn in einer ſo na-
hen Verwandtſchaft, und ändern ſich gegenſeitig
in gleichen Verhältniſſen von Moment zu Moment
ab, daſs höchſt wahrſcheinlich alle dieſe Erſchei-
nungen eine analoge Beſchaffenheit in der Orga-
niſation zur Baſis haben. Wir würden daher
dem Bewuſstſeyn und dem Wahnſinn bald auf die
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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