wo Columbus noch immer bestrebt war, den westlichen Weg nach Zipangu und Cathai und ihren von Marco Polo so sehr gerühmten Schätzen zu finden.
Zu den Schrecken des nie endenden Bürgerkrieges kamen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig gewaltige Erdbeben, Dürre und Misswachs, Hungersnoth und verheerende Krankheiten und ver- mehrten das Elend und die Noth, unter welchen die Masse der Be- völkerung ohne Aussicht auf Erlösung seufzte. Selbst der Trost der Religion fehlte, denn die buddhistische Priesterschaft war der hohen Aufgabe, solchen zu bringen, welche Siddhartha ihr einst zugedacht hatte, längst entfremdet. Im Streben nach Macht und Einfluss nahm sie an allen Händeln und Intriguen der Zeit lebhaften Antheil, im genusssüchtigen, ausschweifenden Leben stand sie den Grossen nicht nach. Ihre Klöster waren Festungen, in welchen nur der grosse po- litische Kartenspieler, nicht der unterdrückte gemeine Mann Trost und Hülfe fand. Handel und Gewerbe, ausser denen, welche der Ausrüstung des Kriegers dienten, lagen ganz danieder; immer allge- meiner und tiefer greifend wurde die Verwilderung. Manche Stadt, manches glückliche Heim wurde ein Raub der Flammen; die es be- sessen, irrten umher. Das Land verödete, denn die es hätten be- bauen können, waren verscheucht oder zu Frohndiensten für militä- rische Zwecke in Anspruch genommen.
"Um das Jahr 1545", so erzählt Dickson, "war Kioto so redu- ciert, dass Niemand darin leben konnte, und wer es dennoch wagte, sich in den Ruinen aufzuhalten, riskierte entweder verbrannt oder ermordet zu werden, oder sonst Hungers zu sterben. Die Kuge (der Hofadel) hatten die Stadt verlassen und bei Buke (Feudalherren) in der Provinz Obdach und Schutz gesucht".
Dies ist in kurzen Zügen das Bild Japans um die Mitte des 16. Jahrhunderts während der letzten Jahrzehnte des Shogunats der Ashikaga. Es war die Zeit der grössten politischen Verwirrung, der rechtlosesten und trübseligsten Zustände, welche die Geschichte des Landes aufzuweisen hat. Da fiel plötzlich mitten in diese Finsterniss und schaudererregenden Verhältnisse hinein aus dem fernen Abend- lande ein Lichtstrahl, an dem sich bald viele Tausende erwärmen und wieder aufrichten sollten, der Lichtstrahl des Evangeliums. Es waren "die Waffen und die hochberühmten Helden, die von dem Westge- stade Portugals in früher niemals noch durchschifften Meeren sogar bis jenseits Taprobana *) drangen" --, welche ihm den Weg bahnten.
*) Tapobane des Ptolemäus, die Insel Ceylon.
I. Geschichte des japanischen Volkes.
wo Columbus noch immer bestrebt war, den westlichen Weg nach Zipangu und Cathai und ihren von Marco Polo so sehr gerühmten Schätzen zu finden.
Zu den Schrecken des nie endenden Bürgerkrieges kamen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig gewaltige Erdbeben, Dürre und Misswachs, Hungersnoth und verheerende Krankheiten und ver- mehrten das Elend und die Noth, unter welchen die Masse der Be- völkerung ohne Aussicht auf Erlösung seufzte. Selbst der Trost der Religion fehlte, denn die buddhistische Priesterschaft war der hohen Aufgabe, solchen zu bringen, welche Siddhârtha ihr einst zugedacht hatte, längst entfremdet. Im Streben nach Macht und Einfluss nahm sie an allen Händeln und Intriguen der Zeit lebhaften Antheil, im genusssüchtigen, ausschweifenden Leben stand sie den Grossen nicht nach. Ihre Klöster waren Festungen, in welchen nur der grosse po- litische Kartenspieler, nicht der unterdrückte gemeine Mann Trost und Hülfe fand. Handel und Gewerbe, ausser denen, welche der Ausrüstung des Kriegers dienten, lagen ganz danieder; immer allge- meiner und tiefer greifend wurde die Verwilderung. Manche Stadt, manches glückliche Heim wurde ein Raub der Flammen; die es be- sessen, irrten umher. Das Land verödete, denn die es hätten be- bauen können, waren verscheucht oder zu Frohndiensten für militä- rische Zwecke in Anspruch genommen.
»Um das Jahr 1545«, so erzählt Dickson, »war Kiôto so redu- ciert, dass Niemand darin leben konnte, und wer es dennoch wagte, sich in den Ruinen aufzuhalten, riskierte entweder verbrannt oder ermordet zu werden, oder sonst Hungers zu sterben. Die Kuge (der Hofadel) hatten die Stadt verlassen und bei Buke (Feudalherren) in der Provinz Obdach und Schutz gesucht«.
Dies ist in kurzen Zügen das Bild Japans um die Mitte des 16. Jahrhunderts während der letzten Jahrzehnte des Shôgunats der Ashikaga. Es war die Zeit der grössten politischen Verwirrung, der rechtlosesten und trübseligsten Zustände, welche die Geschichte des Landes aufzuweisen hat. Da fiel plötzlich mitten in diese Finsterniss und schaudererregenden Verhältnisse hinein aus dem fernen Abend- lande ein Lichtstrahl, an dem sich bald viele Tausende erwärmen und wieder aufrichten sollten, der Lichtstrahl des Evangeliums. Es waren »die Waffen und die hochberühmten Helden, die von dem Westge- stade Portugals in früher niemals noch durchschifften Meeren sogar bis jenseits Taprobana *) drangen« —, welche ihm den Weg bahnten.
*) Tapobane des Ptolemäus, die Insel Ceylon.
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I. Geschichte des japanischen Volkes.
wo Columbus noch immer bestrebt war, den westlichen Weg nach
Zipangu und Cathai und ihren von Marco Polo so sehr gerühmten
Schätzen zu finden.
Zu den Schrecken des nie endenden Bürgerkrieges kamen in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig gewaltige Erdbeben, Dürre
und Misswachs, Hungersnoth und verheerende Krankheiten und ver-
mehrten das Elend und die Noth, unter welchen die Masse der Be-
völkerung ohne Aussicht auf Erlösung seufzte. Selbst der Trost der
Religion fehlte, denn die buddhistische Priesterschaft war der hohen
Aufgabe, solchen zu bringen, welche Siddhârtha ihr einst zugedacht
hatte, längst entfremdet. Im Streben nach Macht und Einfluss nahm
sie an allen Händeln und Intriguen der Zeit lebhaften Antheil, im
genusssüchtigen, ausschweifenden Leben stand sie den Grossen nicht
nach. Ihre Klöster waren Festungen, in welchen nur der grosse po-
litische Kartenspieler, nicht der unterdrückte gemeine Mann Trost
und Hülfe fand. Handel und Gewerbe, ausser denen, welche der
Ausrüstung des Kriegers dienten, lagen ganz danieder; immer allge-
meiner und tiefer greifend wurde die Verwilderung. Manche Stadt,
manches glückliche Heim wurde ein Raub der Flammen; die es be-
sessen, irrten umher. Das Land verödete, denn die es hätten be-
bauen können, waren verscheucht oder zu Frohndiensten für militä-
rische Zwecke in Anspruch genommen.
»Um das Jahr 1545«, so erzählt Dickson, »war Kiôto so redu-
ciert, dass Niemand darin leben konnte, und wer es dennoch wagte,
sich in den Ruinen aufzuhalten, riskierte entweder verbrannt oder
ermordet zu werden, oder sonst Hungers zu sterben. Die Kuge (der
Hofadel) hatten die Stadt verlassen und bei Buke (Feudalherren) in
der Provinz Obdach und Schutz gesucht«.
Dies ist in kurzen Zügen das Bild Japans um die Mitte des
16. Jahrhunderts während der letzten Jahrzehnte des Shôgunats der
Ashikaga. Es war die Zeit der grössten politischen Verwirrung, der
rechtlosesten und trübseligsten Zustände, welche die Geschichte des
Landes aufzuweisen hat. Da fiel plötzlich mitten in diese Finsterniss
und schaudererregenden Verhältnisse hinein aus dem fernen Abend-
lande ein Lichtstrahl, an dem sich bald viele Tausende erwärmen und
wieder aufrichten sollten, der Lichtstrahl des Evangeliums. Es waren
»die Waffen und die hochberühmten Helden, die von dem Westge-
stade Portugals in früher niemals noch durchschifften Meeren sogar
bis jenseits Taprobana *) drangen« —, welche ihm den Weg bahnten.
*) Tapobane des Ptolemäus, die Insel Ceylon.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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