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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
Aneinanderstossen mit den Schwertscheiden war ein grober Bruch
der Etiquette, das Drehen des Schwertes in der Scheide, als wolle
man es ziehen, kam einer Herausforderung und das Niederlegen
desselben auf den blossen Boden oder das verächtliche Anstossen des
Schwertgestells einer tödtlichen Beleidigung gleich.

Doch der auffallendste und eigenthümlichste Brauch, zu welchem
schon frühzeitig das hohe Ehrgefühl und der ritterliche Sinn die ja-
panischen Samurai geführt hatte, der aber erst mit der Ausbildung
des Feudalwesens sich in feststehenden Normen bewegte, ist das
Harakiri, Seppuku oder Bauchaufschlitzen *). Diese Japan ganz
eigene Art des Selbstmordes war in den Augen der Samurai der
ehrenvollste und würdigste unnatürliche Tod, mochte er nun aus
eigener Wahl oder als verhängte Strafe erfolgen. Das Harakiri galt
als der beste Ausweg, die gekränkte Ehre zu retten, wenn Rache
nicht möglich war, oder einer unvermeidlichen Strafe wegen Ver-
sehen im Amte zu entgehen, oder dem Kopfabschlagen durch den
Feind in verlorener Schlacht; und wenn die Regierung einen Samurai
wegen irgend eines Vergehens zum Tode verurteilen musste, so sah
man es als eine hohe Vergünstigung an, falls der Verurteilte denselben
in Gegenwart von Freunden und Zeugen mit eigener Hand herbeiführen
durfte. Unter allen Umständen reinigte das Seppuku von jedem Makel,
sicherte ein ehrenvolles Begräbniss und ein geachtetes Andenken.

Wenn der sich selbst Entleibende nach dem Aufschlitzen des Unter-
leibes noch Kraft und Geistesgegenwart genug hatte, um den Dolch
umzukehren und sich damit die Kehle zu durchstechen, oder wenn
er ihn wohl gar noch zurück in die Scheide zu stecken vermochte,
so galt dies für die grösstmögliche ritterliche Bravour, welche viele
Generationen hindurch gerühmt wurde.

Besonders feierlich war die Ausführung des Harakiri, wenn es
als Strafe zu erfolgen hatte, ein Brauch, den die Tokugawa-Shogune
erst einführten. Es fand dann Nachts unter freiem Himmel, in einem
Tempel oder besonders zugerichteten Zimmer statt. War der Ver-
urteilte ein angesehener Mann, so wurde das Gemach mit weisser
Seide behangen und schwach erleuchtet. Auf etwas erhöhter Stelle
in der Mitte des so hergerichteten Raumes nahm der aus dem Leben
Scheidende knieend Platz, das Gesicht gen Norden gewendet. Laut-
los umgaben ihn in weitem Bogen seine Freunde und die Zeugen
der Handlung. Dann las der designierte Beamte das Urteil vor und

*) Eine ausführliche Darstellung befindet sich in Mitford's "Tales of Old
Japan".

6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
Aneinanderstossen mit den Schwertscheiden war ein grober Bruch
der Etiquette, das Drehen des Schwertes in der Scheide, als wolle
man es ziehen, kam einer Herausforderung und das Niederlegen
desselben auf den blossen Boden oder das verächtliche Anstossen des
Schwertgestells einer tödtlichen Beleidigung gleich.

Doch der auffallendste und eigenthümlichste Brauch, zu welchem
schon frühzeitig das hohe Ehrgefühl und der ritterliche Sinn die ja-
panischen Samurai geführt hatte, der aber erst mit der Ausbildung
des Feudalwesens sich in feststehenden Normen bewegte, ist das
Harakiri, Seppuku oder Bauchaufschlitzen *). Diese Japan ganz
eigene Art des Selbstmordes war in den Augen der Samurai der
ehrenvollste und würdigste unnatürliche Tod, mochte er nun aus
eigener Wahl oder als verhängte Strafe erfolgen. Das Harakiri galt
als der beste Ausweg, die gekränkte Ehre zu retten, wenn Rache
nicht möglich war, oder einer unvermeidlichen Strafe wegen Ver-
sehen im Amte zu entgehen, oder dem Kopfabschlagen durch den
Feind in verlorener Schlacht; und wenn die Regierung einen Samurai
wegen irgend eines Vergehens zum Tode verurteilen musste, so sah
man es als eine hohe Vergünstigung an, falls der Verurteilte denselben
in Gegenwart von Freunden und Zeugen mit eigener Hand herbeiführen
durfte. Unter allen Umständen reinigte das Seppuku von jedem Makel,
sicherte ein ehrenvolles Begräbniss und ein geachtetes Andenken.

Wenn der sich selbst Entleibende nach dem Aufschlitzen des Unter-
leibes noch Kraft und Geistesgegenwart genug hatte, um den Dolch
umzukehren und sich damit die Kehle zu durchstechen, oder wenn
er ihn wohl gar noch zurück in die Scheide zu stecken vermochte,
so galt dies für die grösstmögliche ritterliche Bravour, welche viele
Generationen hindurch gerühmt wurde.

Besonders feierlich war die Ausführung des Harakiri, wenn es
als Strafe zu erfolgen hatte, ein Brauch, den die Tokugawa-Shôgune
erst einführten. Es fand dann Nachts unter freiem Himmel, in einem
Tempel oder besonders zugerichteten Zimmer statt. War der Ver-
urteilte ein angesehener Mann, so wurde das Gemach mit weisser
Seide behangen und schwach erleuchtet. Auf etwas erhöhter Stelle
in der Mitte des so hergerichteten Raumes nahm der aus dem Leben
Scheidende knieend Platz, das Gesicht gen Norden gewendet. Laut-
los umgaben ihn in weitem Bogen seine Freunde und die Zeugen
der Handlung. Dann las der designierte Beamte das Urteil vor und

*) Eine ausführliche Darstellung befindet sich in Mitford’s »Tales of Old
Japan«.
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[379/0407] 6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc. Aneinanderstossen mit den Schwertscheiden war ein grober Bruch der Etiquette, das Drehen des Schwertes in der Scheide, als wolle man es ziehen, kam einer Herausforderung und das Niederlegen desselben auf den blossen Boden oder das verächtliche Anstossen des Schwertgestells einer tödtlichen Beleidigung gleich. Doch der auffallendste und eigenthümlichste Brauch, zu welchem schon frühzeitig das hohe Ehrgefühl und der ritterliche Sinn die ja- panischen Samurai geführt hatte, der aber erst mit der Ausbildung des Feudalwesens sich in feststehenden Normen bewegte, ist das Harakiri, Seppuku oder Bauchaufschlitzen *). Diese Japan ganz eigene Art des Selbstmordes war in den Augen der Samurai der ehrenvollste und würdigste unnatürliche Tod, mochte er nun aus eigener Wahl oder als verhängte Strafe erfolgen. Das Harakiri galt als der beste Ausweg, die gekränkte Ehre zu retten, wenn Rache nicht möglich war, oder einer unvermeidlichen Strafe wegen Ver- sehen im Amte zu entgehen, oder dem Kopfabschlagen durch den Feind in verlorener Schlacht; und wenn die Regierung einen Samurai wegen irgend eines Vergehens zum Tode verurteilen musste, so sah man es als eine hohe Vergünstigung an, falls der Verurteilte denselben in Gegenwart von Freunden und Zeugen mit eigener Hand herbeiführen durfte. Unter allen Umständen reinigte das Seppuku von jedem Makel, sicherte ein ehrenvolles Begräbniss und ein geachtetes Andenken. Wenn der sich selbst Entleibende nach dem Aufschlitzen des Unter- leibes noch Kraft und Geistesgegenwart genug hatte, um den Dolch umzukehren und sich damit die Kehle zu durchstechen, oder wenn er ihn wohl gar noch zurück in die Scheide zu stecken vermochte, so galt dies für die grösstmögliche ritterliche Bravour, welche viele Generationen hindurch gerühmt wurde. Besonders feierlich war die Ausführung des Harakiri, wenn es als Strafe zu erfolgen hatte, ein Brauch, den die Tokugawa-Shôgune erst einführten. Es fand dann Nachts unter freiem Himmel, in einem Tempel oder besonders zugerichteten Zimmer statt. War der Ver- urteilte ein angesehener Mann, so wurde das Gemach mit weisser Seide behangen und schwach erleuchtet. Auf etwas erhöhter Stelle in der Mitte des so hergerichteten Raumes nahm der aus dem Leben Scheidende knieend Platz, das Gesicht gen Norden gewendet. Laut- los umgaben ihn in weitem Bogen seine Freunde und die Zeugen der Handlung. Dann las der designierte Beamte das Urteil vor und *) Eine ausführliche Darstellung befindet sich in Mitford’s »Tales of Old Japan«.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/407>, abgerufen am 22.11.2024.