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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
Kamon-no-Kami, Fürst von Hikone, Tairo (Premierminister).
Er war jetzt die tonangebende Persönlichkeit des Bakufu, und da er
Angst hatte vor den Fremden und befürchtete, dass die Warnung
des holländischen Residenten in Erfüllung gehen und Japan, wenn
es sich den Barbaren feindlich entgegenstellen sollte, verwüstet würde,
wie die chinesische Provinz Kuantung durch die Engländer, so gab
er endlich dem Drängen nach und schloss ohne Zustimmung des
Mikado-Hofes neue Verträge und zwar mit Harris zu Kanagawa,
mit Engländern, Franzosen und Russen zu Yedo.

Diese Verträge waren so ziemlich von gleicher Tragweite. Die
wichtigsten Bestimmungen derselben sind folgende:

1. Diplomatische Agenten der betreffenden Regierungen erhalten
das Recht, in Yedo zu wohnen, stehen unter dem Schutze des Shogun
und dürfen im Lande ungehindert reisen.

2. Ebenso dürfen die Vertragsmächte an allen dem Handel zu
öffnenden Häfen Consulate errichten.

3. Kanagawa (Yokohama), Nagasaki und Hakodate werden am
1. Juli 1859 dem fremden Verkehr geöffnet, Niigata 1860, Hiogo und
Osaka 1863.

4. An jedem dieser Orte wird den Fremden ein bestimmtes Ter-
rain eingeräumt, das sie nach Zahlung einer festgesetzten Taxe be-
bauen können.

5. Dieselben bleiben unter der Jurisdiction ihrer eigenen Con-
sulatsbehörden.

6. Sie geniessen Religionsfreiheit und Handelsfreiheit, soweit sie
die festgesetzten Zollabgaben entrichten.

7. Innerhalb eines Rayon von 10 ri dürfen sie sich frei bewegen,
die Grenze jedoch ohne Erlaubniss der japanischen Regierung unter
keinen Umständen überschreiten.

Neben diesen und einigen anderen Bestimmungen enthält ein
jeder Vertrag auch noch die Clausel von der meistbegünstigten Nation.
Man sieht, es waren gewaltige Errungenschaften; doch sollten, wie
sich zeigte, die Fremden sie noch nicht so ungestört geniessen.

Um die nämliche Zeit, in welcher jene Verträge abgeschlossen
wurden, starb der nur 35 Jahre alte Shogun kinderlos. Als sein
nahes Ende vorausgesehen werden konnte, hatten die nächsten Ver-
wandten, die Fürsten von Owari, Echizen und Mito beschlossen, dass
der achte Sohn des Letzteren, Namens Shitotsubashi Giobukio,
ein populärer, sehr gelehrter Prinz und Liebling seines Vaters, der
Nachfolger werden sollte; allein Ii Kamon berief sich auf die Be-
stimmungen des Jyeyasu, setzte seinen Willen durch und bewirkte

I. Geschichte des japanischen Volkes.
Kamon-no-Kami, Fürst von Hikone, Tairô (Premierminister).
Er war jetzt die tonangebende Persönlichkeit des Bakufu, und da er
Angst hatte vor den Fremden und befürchtete, dass die Warnung
des holländischen Residenten in Erfüllung gehen und Japan, wenn
es sich den Barbaren feindlich entgegenstellen sollte, verwüstet würde,
wie die chinesische Provinz Kuantung durch die Engländer, so gab
er endlich dem Drängen nach und schloss ohne Zustimmung des
Mikado-Hofes neue Verträge und zwar mit Harris zu Kanagawa,
mit Engländern, Franzosen und Russen zu Yedo.

Diese Verträge waren so ziemlich von gleicher Tragweite. Die
wichtigsten Bestimmungen derselben sind folgende:

1. Diplomatische Agenten der betreffenden Regierungen erhalten
das Recht, in Yedo zu wohnen, stehen unter dem Schutze des Shôgun
und dürfen im Lande ungehindert reisen.

2. Ebenso dürfen die Vertragsmächte an allen dem Handel zu
öffnenden Häfen Consulate errichten.

3. Kanagawa (Yokohama), Nagasaki und Hakodate werden am
1. Juli 1859 dem fremden Verkehr geöffnet, Niigata 1860, Hiogo und
Ôsaka 1863.

4. An jedem dieser Orte wird den Fremden ein bestimmtes Ter-
rain eingeräumt, das sie nach Zahlung einer festgesetzten Taxe be-
bauen können.

5. Dieselben bleiben unter der Jurisdiction ihrer eigenen Con-
sulatsbehörden.

6. Sie geniessen Religionsfreiheit und Handelsfreiheit, soweit sie
die festgesetzten Zollabgaben entrichten.

7. Innerhalb eines Rayon von 10 ri dürfen sie sich frei bewegen,
die Grenze jedoch ohne Erlaubniss der japanischen Regierung unter
keinen Umständen überschreiten.

Neben diesen und einigen anderen Bestimmungen enthält ein
jeder Vertrag auch noch die Clausel von der meistbegünstigten Nation.
Man sieht, es waren gewaltige Errungenschaften; doch sollten, wie
sich zeigte, die Fremden sie noch nicht so ungestört geniessen.

Um die nämliche Zeit, in welcher jene Verträge abgeschlossen
wurden, starb der nur 35 Jahre alte Shôgun kinderlos. Als sein
nahes Ende vorausgesehen werden konnte, hatten die nächsten Ver-
wandten, die Fürsten von Owari, Echizen und Mito beschlossen, dass
der achte Sohn des Letzteren, Namens Shitotsubashi Giôbukio,
ein populärer, sehr gelehrter Prinz und Liebling seines Vaters, der
Nachfolger werden sollte; allein Ii Kamon berief sich auf die Be-
stimmungen des Jyeyasu, setzte seinen Willen durch und bewirkte

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[398/0426] I. Geschichte des japanischen Volkes. Kamon-no-Kami, Fürst von Hikone, Tairô (Premierminister). Er war jetzt die tonangebende Persönlichkeit des Bakufu, und da er Angst hatte vor den Fremden und befürchtete, dass die Warnung des holländischen Residenten in Erfüllung gehen und Japan, wenn es sich den Barbaren feindlich entgegenstellen sollte, verwüstet würde, wie die chinesische Provinz Kuantung durch die Engländer, so gab er endlich dem Drängen nach und schloss ohne Zustimmung des Mikado-Hofes neue Verträge und zwar mit Harris zu Kanagawa, mit Engländern, Franzosen und Russen zu Yedo. Diese Verträge waren so ziemlich von gleicher Tragweite. Die wichtigsten Bestimmungen derselben sind folgende: 1. Diplomatische Agenten der betreffenden Regierungen erhalten das Recht, in Yedo zu wohnen, stehen unter dem Schutze des Shôgun und dürfen im Lande ungehindert reisen. 2. Ebenso dürfen die Vertragsmächte an allen dem Handel zu öffnenden Häfen Consulate errichten. 3. Kanagawa (Yokohama), Nagasaki und Hakodate werden am 1. Juli 1859 dem fremden Verkehr geöffnet, Niigata 1860, Hiogo und Ôsaka 1863. 4. An jedem dieser Orte wird den Fremden ein bestimmtes Ter- rain eingeräumt, das sie nach Zahlung einer festgesetzten Taxe be- bauen können. 5. Dieselben bleiben unter der Jurisdiction ihrer eigenen Con- sulatsbehörden. 6. Sie geniessen Religionsfreiheit und Handelsfreiheit, soweit sie die festgesetzten Zollabgaben entrichten. 7. Innerhalb eines Rayon von 10 ri dürfen sie sich frei bewegen, die Grenze jedoch ohne Erlaubniss der japanischen Regierung unter keinen Umständen überschreiten. Neben diesen und einigen anderen Bestimmungen enthält ein jeder Vertrag auch noch die Clausel von der meistbegünstigten Nation. Man sieht, es waren gewaltige Errungenschaften; doch sollten, wie sich zeigte, die Fremden sie noch nicht so ungestört geniessen. Um die nämliche Zeit, in welcher jene Verträge abgeschlossen wurden, starb der nur 35 Jahre alte Shôgun kinderlos. Als sein nahes Ende vorausgesehen werden konnte, hatten die nächsten Ver- wandten, die Fürsten von Owari, Echizen und Mito beschlossen, dass der achte Sohn des Letzteren, Namens Shitotsubashi Giôbukio, ein populärer, sehr gelehrter Prinz und Liebling seines Vaters, der Nachfolger werden sollte; allein Ii Kamon berief sich auf die Be- stimmungen des Jyeyasu, setzte seinen Willen durch und bewirkte

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/426>, abgerufen am 22.11.2024.