c. Aufhebung des Feudalsystems, Mediatisierung der Fürsten und Samurai und andere Neuerungen. Samurai-Aufstände. Expe- dition nach Formosa. Die Satsuma-Rebellion.
Dem Sturz des Shogunats und Bürgerkriege folgte im Jahre 1869 die Mediatisierung der Daimios, wozu sie theils freiwillig die Hand boten, theils durch die Macht der Verhältnisse gezwungen wurden *). Kido entwarf das denkwürdige Memorandum an den Thron, welches von den hervorragendsten Fürsten des Südens unterzeichnet wurde, zu dem aber Tosa die erste Anregung gab und in dem die Daimio er- klärten, dass sie ihre Herrschaften in die Hände des Mikado, welchem sie nach göttlichem Rechte gehörten, zurückgeben wollten. Es ist dieser Schritt vielfach bei uns als eine hervorragende patriotische That bezeichnet worden; wenn man aber die Verhältnisse näher kennen lernt, aus denen er hervorging, so verliert derselbe viel von seinem Bewundernswerthen und erscheint vor allem auch als kein grosses Opfer des Feudaladels. Derselbe besass nämlich mit wenigen rühmlichen Ausnahmen nicht den Geist und das Ansehen, um den Strom aufzuhalten, sondern war aufgewachsen in Indolenz, Luxus und Fiction, meist schwach an Körper und Geist. Die Daimio waren vielfach Kinder und ganz in den Händen ihrer höchsten thätigen und ehrgeizigen Beamten, welche nach der Restauration viel mehr Einfluss und einträglichere Stellen fanden. Ueberdies aber darf der Menschen Fühlen, Denken und Handeln in so ausserordentlichen Zeitläufen mit ihren mächtig einwirkenden äusseren Impulsen nicht nach dem Maassstabe des Alltagslebens gemessen werden, noch dürfen wir im vorliegenden Falle ausser Acht lassen, dass wir es mit einem Volke von ganz eigenem Entwickelungsgange und von einer in man- cher Hinsicht uns fremden Denk- und Handlungsweise zu thun haben. Und gerade hierfür fehlt den meisten Fremden, welche mit Japanern in Berührung kommen, bei der grossen Schwierigkeit, die ihre Sprache bietet, und ihrem verschlossenen Charakter, vielfach das rechte Ver- ständniss.
Die alte Regel "dem Sieger gehört die Beute" fand bei der Re- construction Japans ihre volle Anwendung. Nicht blos wurden alle
*) Im Jahre zuvor hatten die meisten noch keine Ahnung von einer solchen Bewegung. Viele "mietheten" fremde Instructoren, Bergleute, Aerzte, Lehrer etc., um ihre Truppen und Besitzungen auf eine höhere Stufe der Leistungsfähigkeit zu bringen. In diese Zeit fällt auch die Rolle unseres Landsmannes, des Feld- webel Koeppen, beim Fürsten von Kiushiu zu Wakayama (siehe dieses im topographischen Theile).
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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
c. Aufhebung des Feudalsystems, Mediatisierung der Fürsten und Samurai und andere Neuerungen. Samurai-Aufstände. Expe- dition nach Formosa. Die Satsuma-Rebellion.
Dem Sturz des Shôgunats und Bürgerkriege folgte im Jahre 1869 die Mediatisierung der Daimios, wozu sie theils freiwillig die Hand boten, theils durch die Macht der Verhältnisse gezwungen wurden *). Kido entwarf das denkwürdige Memorandum an den Thron, welches von den hervorragendsten Fürsten des Südens unterzeichnet wurde, zu dem aber Tosa die erste Anregung gab und in dem die Daimio er- klärten, dass sie ihre Herrschaften in die Hände des Mikado, welchem sie nach göttlichem Rechte gehörten, zurückgeben wollten. Es ist dieser Schritt vielfach bei uns als eine hervorragende patriotische That bezeichnet worden; wenn man aber die Verhältnisse näher kennen lernt, aus denen er hervorging, so verliert derselbe viel von seinem Bewundernswerthen und erscheint vor allem auch als kein grosses Opfer des Feudaladels. Derselbe besass nämlich mit wenigen rühmlichen Ausnahmen nicht den Geist und das Ansehen, um den Strom aufzuhalten, sondern war aufgewachsen in Indolenz, Luxus und Fiction, meist schwach an Körper und Geist. Die Daimio waren vielfach Kinder und ganz in den Händen ihrer höchsten thätigen und ehrgeizigen Beamten, welche nach der Restauration viel mehr Einfluss und einträglichere Stellen fanden. Ueberdies aber darf der Menschen Fühlen, Denken und Handeln in so ausserordentlichen Zeitläufen mit ihren mächtig einwirkenden äusseren Impulsen nicht nach dem Maassstabe des Alltagslebens gemessen werden, noch dürfen wir im vorliegenden Falle ausser Acht lassen, dass wir es mit einem Volke von ganz eigenem Entwickelungsgange und von einer in man- cher Hinsicht uns fremden Denk- und Handlungsweise zu thun haben. Und gerade hierfür fehlt den meisten Fremden, welche mit Japanern in Berührung kommen, bei der grossen Schwierigkeit, die ihre Sprache bietet, und ihrem verschlossenen Charakter, vielfach das rechte Ver- ständniss.
Die alte Regel »dem Sieger gehört die Beute« fand bei der Re- construction Japans ihre volle Anwendung. Nicht blos wurden alle
*) Im Jahre zuvor hatten die meisten noch keine Ahnung von einer solchen Bewegung. Viele »mietheten« fremde Instructoren, Bergleute, Aerzte, Lehrer etc., um ihre Truppen und Besitzungen auf eine höhere Stufe der Leistungsfähigkeit zu bringen. In diese Zeit fällt auch die Rolle unseres Landsmannes, des Feld- webel Koeppen, beim Fürsten von Kiushiu zu Wakayama (siehe dieses im topographischen Theile).
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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
c. Aufhebung des Feudalsystems, Mediatisierung der Fürsten
und Samurai und andere Neuerungen. Samurai-Aufstände. Expe-
dition nach Formosa. Die Satsuma-Rebellion.
Dem Sturz des Shôgunats und Bürgerkriege folgte im Jahre 1869
die Mediatisierung der Daimios, wozu sie theils freiwillig die Hand
boten, theils durch die Macht der Verhältnisse gezwungen wurden *).
Kido entwarf das denkwürdige Memorandum an den Thron, welches
von den hervorragendsten Fürsten des Südens unterzeichnet wurde, zu
dem aber Tosa die erste Anregung gab und in dem die Daimio er-
klärten, dass sie ihre Herrschaften in die Hände des Mikado, welchem
sie nach göttlichem Rechte gehörten, zurückgeben wollten. Es ist
dieser Schritt vielfach bei uns als eine hervorragende patriotische
That bezeichnet worden; wenn man aber die Verhältnisse näher
kennen lernt, aus denen er hervorging, so verliert derselbe viel von
seinem Bewundernswerthen und erscheint vor allem auch als kein
grosses Opfer des Feudaladels. Derselbe besass nämlich mit wenigen
rühmlichen Ausnahmen nicht den Geist und das Ansehen, um den
Strom aufzuhalten, sondern war aufgewachsen in Indolenz, Luxus
und Fiction, meist schwach an Körper und Geist. Die Daimio waren
vielfach Kinder und ganz in den Händen ihrer höchsten thätigen
und ehrgeizigen Beamten, welche nach der Restauration viel mehr
Einfluss und einträglichere Stellen fanden. Ueberdies aber darf der
Menschen Fühlen, Denken und Handeln in so ausserordentlichen
Zeitläufen mit ihren mächtig einwirkenden äusseren Impulsen nicht
nach dem Maassstabe des Alltagslebens gemessen werden, noch dürfen
wir im vorliegenden Falle ausser Acht lassen, dass wir es mit einem
Volke von ganz eigenem Entwickelungsgange und von einer in man-
cher Hinsicht uns fremden Denk- und Handlungsweise zu thun haben.
Und gerade hierfür fehlt den meisten Fremden, welche mit Japanern
in Berührung kommen, bei der grossen Schwierigkeit, die ihre Sprache
bietet, und ihrem verschlossenen Charakter, vielfach das rechte Ver-
ständniss.
Die alte Regel »dem Sieger gehört die Beute« fand bei der Re-
construction Japans ihre volle Anwendung. Nicht blos wurden alle
*) Im Jahre zuvor hatten die meisten noch keine Ahnung von einer solchen
Bewegung. Viele »mietheten« fremde Instructoren, Bergleute, Aerzte, Lehrer etc.,
um ihre Truppen und Besitzungen auf eine höhere Stufe der Leistungsfähigkeit
zu bringen. In diese Zeit fällt auch die Rolle unseres Landsmannes, des Feld-
webel Koeppen, beim Fürsten von Kiushiu zu Wakayama (siehe dieses im
topographischen Theile).
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/447>, abgerufen am 22.11.2024.
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