legislativer Behörden zur Besprechung der Landesangelegenheiten, welches derselbe bei Ergreifung der Regierung gab, gehalten hat; 2. die Regierung hat die Samurai durch rücksichtslose Behandlung tief gekränkt, 3. die Kopfsteuer nicht recht vertheilt, 4. sich um die so nothwendige Reform der Landtaxe nicht gekümmert; 5. die Finanzverwaltung liegt im Argen; 6. die Verträge mit fremden Mächten bedürfen der Reform; 7. in den Angelegenheiten betreffs Korea, Formosa und Sachalin hat die Regierung die Ehre des Landes nicht gewahrt.
Was die beiden letzten Punkte anlangt, so waren die Vorwürfe, welche man auch von anderen Seiten den leitenden japanischen Staats- männern gemacht hat, jedenfalls nicht gerechtfertigt und entsprangen einer Unkenntniss der Verhältnisse und einer grossen Ueberschätzung der Macht und Mittel des Landes; im übrigen aber sagte das Schrift- stück der Regierung manche bittere Wahrheit und konnte immerhin als Ausdruck der herrschenden Stimmung im Lande gelten.
Keine der erwähnten Empörungen war gegen die Person des Mikado selbst gerichtet, dessen Prestige als Tenno unbedingten, blin- den Gehorsam verlangt und von keiner Seite bestritten wird. Aber dieser Gehorsam wurde oft verweigert, wenn man glaubte, nicht dem freien Willen des Landesherrn, sondern dem verderblichen Einfluss corrupter, selbstsüchtiger Räthe gegenüber zu stehen. Nicht der abso- lute Wille des Mikado regiert Japan, sondern eine Oligarchie, be- stehend aus einer Anzahl mehr oder weniger talentvoller Männer, welche die grosse Umwälzung planten und leiteten und seit dem Sturze des Shogunats das Staatsschiff gelenkt haben, im ganzen mit Geschick und Glück an mancher gefährlichen Klippe vorbei. Das System, welches sie wählten, ist im wesentlichen dasjenige, welches vor der Entwickelung des Feudalismus in Japan herrschte und nichts weniger als mustergültig. Eine allmächtige, unverantwortliche Bureau- kratie beherrscht factisch das Land. Dieselbe zerfällt in drei Stufen mit 15 Rangklassen, nämlich die Choku-nin (1.--3. Classe), die So- nin (4.--7. Classe) und die Han-nin (8.--15. Classe).
Der Dai-jo-kuan (grosse Staatsrath), welcher schon 786 n. Chr. nach chinesischem Vorbilde eingesetzt wurde und aus drei Staats- ministern (Dai-jin, d. h. grosse Personen) und den Staatsräthen (Sagi) besteht, ist die oberste legislative und administrative Behörde, deren Sitzungen der Mikado beiwohnt und die durch Gouverneure (Rei oder Ken-rei) die Verwaltungsbezirke (Ken) regiert. Die Vorstände der drei Fu (Hauptstädte) führen den Titel Chiji. Zu den Dai-jin gehört: 1. der Daijo-Daijin (grosser Minister der grossen Regierung) oder
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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
legislativer Behörden zur Besprechung der Landesangelegenheiten, welches derselbe bei Ergreifung der Regierung gab, gehalten hat; 2. die Regierung hat die Samurai durch rücksichtslose Behandlung tief gekränkt, 3. die Kopfsteuer nicht recht vertheilt, 4. sich um die so nothwendige Reform der Landtaxe nicht gekümmert; 5. die Finanzverwaltung liegt im Argen; 6. die Verträge mit fremden Mächten bedürfen der Reform; 7. in den Angelegenheiten betreffs Korea, Formosa und Sachalin hat die Regierung die Ehre des Landes nicht gewahrt.
Was die beiden letzten Punkte anlangt, so waren die Vorwürfe, welche man auch von anderen Seiten den leitenden japanischen Staats- männern gemacht hat, jedenfalls nicht gerechtfertigt und entsprangen einer Unkenntniss der Verhältnisse und einer grossen Ueberschätzung der Macht und Mittel des Landes; im übrigen aber sagte das Schrift- stück der Regierung manche bittere Wahrheit und konnte immerhin als Ausdruck der herrschenden Stimmung im Lande gelten.
Keine der erwähnten Empörungen war gegen die Person des Mikado selbst gerichtet, dessen Prestige als Tennô unbedingten, blin- den Gehorsam verlangt und von keiner Seite bestritten wird. Aber dieser Gehorsam wurde oft verweigert, wenn man glaubte, nicht dem freien Willen des Landesherrn, sondern dem verderblichen Einfluss corrupter, selbstsüchtiger Räthe gegenüber zu stehen. Nicht der abso- lute Wille des Mikado regiert Japan, sondern eine Oligarchie, be- stehend aus einer Anzahl mehr oder weniger talentvoller Männer, welche die grosse Umwälzung planten und leiteten und seit dem Sturze des Shôgunats das Staatsschiff gelenkt haben, im ganzen mit Geschick und Glück an mancher gefährlichen Klippe vorbei. Das System, welches sie wählten, ist im wesentlichen dasjenige, welches vor der Entwickelung des Feudalismus in Japan herrschte und nichts weniger als mustergültig. Eine allmächtige, unverantwortliche Bureau- kratie beherrscht factisch das Land. Dieselbe zerfällt in drei Stufen mit 15 Rangklassen, nämlich die Choku-nin (1.—3. Classe), die So- nin (4.—7. Classe) und die Han-nin (8.—15. Classe).
Der Dai-jô-kuan (grosse Staatsrath), welcher schon 786 n. Chr. nach chinesischem Vorbilde eingesetzt wurde und aus drei Staats- ministern (Dai-jin, d. h. grosse Personen) und den Staatsräthen (Sagi) besteht, ist die oberste legislative und administrative Behörde, deren Sitzungen der Mikado beiwohnt und die durch Gouverneure (Rei oder Ken-rei) die Verwaltungsbezirke (Ken) regiert. Die Vorstände der drei Fu (Hauptstädte) führen den Titel Chiji. Zu den Dai-jin gehört: 1. der Daijô-Daijin (grosser Minister der grossen Regierung) oder
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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
legislativer Behörden zur Besprechung der Landesangelegenheiten,
welches derselbe bei Ergreifung der Regierung gab, gehalten hat;
2. die Regierung hat die Samurai durch rücksichtslose Behandlung
tief gekränkt, 3. die Kopfsteuer nicht recht vertheilt, 4. sich um
die so nothwendige Reform der Landtaxe nicht gekümmert; 5. die
Finanzverwaltung liegt im Argen; 6. die Verträge mit fremden Mächten
bedürfen der Reform; 7. in den Angelegenheiten betreffs Korea,
Formosa und Sachalin hat die Regierung die Ehre des Landes nicht
gewahrt.
Was die beiden letzten Punkte anlangt, so waren die Vorwürfe,
welche man auch von anderen Seiten den leitenden japanischen Staats-
männern gemacht hat, jedenfalls nicht gerechtfertigt und entsprangen
einer Unkenntniss der Verhältnisse und einer grossen Ueberschätzung
der Macht und Mittel des Landes; im übrigen aber sagte das Schrift-
stück der Regierung manche bittere Wahrheit und konnte immerhin
als Ausdruck der herrschenden Stimmung im Lande gelten.
Keine der erwähnten Empörungen war gegen die Person des
Mikado selbst gerichtet, dessen Prestige als Tennô unbedingten, blin-
den Gehorsam verlangt und von keiner Seite bestritten wird. Aber
dieser Gehorsam wurde oft verweigert, wenn man glaubte, nicht dem
freien Willen des Landesherrn, sondern dem verderblichen Einfluss
corrupter, selbstsüchtiger Räthe gegenüber zu stehen. Nicht der abso-
lute Wille des Mikado regiert Japan, sondern eine Oligarchie, be-
stehend aus einer Anzahl mehr oder weniger talentvoller Männer,
welche die grosse Umwälzung planten und leiteten und seit dem
Sturze des Shôgunats das Staatsschiff gelenkt haben, im ganzen mit
Geschick und Glück an mancher gefährlichen Klippe vorbei. Das
System, welches sie wählten, ist im wesentlichen dasjenige, welches
vor der Entwickelung des Feudalismus in Japan herrschte und nichts
weniger als mustergültig. Eine allmächtige, unverantwortliche Bureau-
kratie beherrscht factisch das Land. Dieselbe zerfällt in drei Stufen
mit 15 Rangklassen, nämlich die Choku-nin (1.—3. Classe), die So-
nin (4.—7. Classe) und die Han-nin (8.—15. Classe).
Der Dai-jô-kuan (grosse Staatsrath), welcher schon 786 n. Chr.
nach chinesischem Vorbilde eingesetzt wurde und aus drei Staats-
ministern (Dai-jin, d. h. grosse Personen) und den Staatsräthen (Sagi)
besteht, ist die oberste legislative und administrative Behörde, deren
Sitzungen der Mikado beiwohnt und die durch Gouverneure (Rei oder
Ken-rei) die Verwaltungsbezirke (Ken) regiert. Die Vorstände der
drei Fu (Hauptstädte) führen den Titel Chiji. Zu den Dai-jin gehört:
1. der Daijô-Daijin (grosser Minister der grossen Regierung) oder
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/463>, abgerufen am 22.11.2024.
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