Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.II. Ethnographie. sehr sie auch im mündlichen Verkehre, selbst des gemeinen Mannes,mit einander verknüpft und verschmolzen werden, wahren in der Schrift ihren ursprünglichen Charakter, insofern die Worte chinesi- schen Ursprungs mit ihren alten Wurzelzeichen; die japanischen in der Silbenschrift wiedergegeben werden. Die japanische Sprache ist ein Mosaik aus chinesischen und indigenen Worten, kein Amalgam, und hierdurch wieder vom Englischen wesentlich verschieden. Zur Zeit, als mit der Philosophie von Koshi und Moshi (Confucius Aus den erwähnten Gründen vermag ein Chinese den Japaner *) Diese japanische Lesart chinesischer Zeichen heisst Kan-on oder Jion, die Uebertragung ins Yamato wird Yomi genannt. So liest der Japaner die chine- sischen Zeichen für Himmel, Erde, Mensch "ten, chi, jin", im Yomi aber "ame, tsuchi, hito". **) Im Sommer 1875 lernte der Verfasser in Kioto einen Amerikaner kennen,
welcher 20 Jahre in Shanghai im Dienste der Mission gewirkt und sich die chine- sische Sprache gründlich angeeignet hatte. Mit dieser Kenntniss kam er nach Japan und verständigte sich mit dem Wirthe vortrefflich durch die Schrift, ob- gleich beide kein Wort der gesprochenen Rede von einander verstehen konnten. II. Ethnographie. sehr sie auch im mündlichen Verkehre, selbst des gemeinen Mannes,mit einander verknüpft und verschmolzen werden, wahren in der Schrift ihren ursprünglichen Charakter, insofern die Worte chinesi- schen Ursprungs mit ihren alten Wurzelzeichen; die japanischen in der Silbenschrift wiedergegeben werden. Die japanische Sprache ist ein Mosaik aus chinesischen und indigenen Worten, kein Amalgam, und hierdurch wieder vom Englischen wesentlich verschieden. Zur Zeit, als mit der Philosophie von Kôshi und Môshi (Confucius Aus den erwähnten Gründen vermag ein Chinese den Japaner *) Diese japanische Lesart chinesischer Zeichen heisst Kan-on oder Jion, die Uebertragung ins Yamato wird Yomi genannt. So liest der Japaner die chine- sischen Zeichen für Himmel, Erde, Mensch »ten, chi, jin«, im Yomi aber »ame, tsuchi, hito«. **) Im Sommer 1875 lernte der Verfasser in Kiôto einen Amerikaner kennen,
welcher 20 Jahre in Shanghai im Dienste der Mission gewirkt und sich die chine- sische Sprache gründlich angeeignet hatte. Mit dieser Kenntniss kam er nach Japan und verständigte sich mit dem Wirthe vortrefflich durch die Schrift, ob- gleich beide kein Wort der gesprochenen Rede von einander verstehen konnten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0494" n="460"/><fw place="top" type="header">II. Ethnographie.</fw><lb/> sehr sie auch im mündlichen Verkehre, selbst des gemeinen Mannes,<lb/> mit einander verknüpft und verschmolzen werden, wahren in der<lb/> Schrift ihren ursprünglichen Charakter, insofern die Worte chinesi-<lb/> schen Ursprungs mit ihren alten Wurzelzeichen; die japanischen in<lb/> der Silbenschrift wiedergegeben werden. Die japanische Sprache ist<lb/> ein Mosaik aus chinesischen und indigenen Worten, kein Amalgam,<lb/> und hierdurch wieder vom Englischen wesentlich verschieden.</p><lb/> <p>Zur Zeit, als mit der Philosophie von Kôshi und Môshi (Confucius<lb/> und Mencius), ganz besonders aber durch den Buddhismus die chine-<lb/> sische Sprache zu den Japanern gelangte und bei denselben mehr<lb/> und mehr in Uebung kam, besassen sie für ihre eigene alte Um-<lb/> gangssprache, das Yamato, noch keine Schriftzeichen, sondern ent-<lb/> nahmen solche erst — und zwar ein Silbenalphabet — um das Jahr<lb/> 800 n. Chr. chinesischen Wortzeichen. Die chinesischen Wurzel-<lb/> zeichen sind dieselben geblieben, wie im Mutterlande, aber ihre<lb/> Aussprache <note place="foot" n="*)">Diese japanische Lesart chinesischer Zeichen heisst Kan-on oder Jion, die<lb/> Uebertragung ins Yamato wird Yomi genannt. So liest der Japaner die chine-<lb/> sischen Zeichen für Himmel, Erde, Mensch »ten, chi, jin«, im Yomi aber »ame,<lb/> tsuchi, hito«.</note> hat unter dem Einflusse des wohlklingenden japanischen<lb/> Idioms eine gewaltige Umwandlung und Accommodation an letzteres<lb/> erfahren, dergestalt, dass die vielen Gutturaltöne der Chinesen ganz<lb/> und die nasalen Laute alle bis auf das finale n (ng) geschwunden<lb/> sind, ebenso die eigenartigen Intonierungen. Damit hat aber der<lb/> Japaner auch aufgehört, manche Begriffswörter, wie der Chinese,<lb/> durch die Aussprache zu unterscheiden und eine überraschende Menge<lb/> von Homonymen erhalten, deren verschiedener Sinn nur durch den<lb/> Zusammenhang und die Wortfolge, in einzelnen Fällen jedoch nur<lb/> aus den Schriftzeichen zu erkennen ist. So kann das phonetisch ge-<lb/> schriebene Wort <hi rendition="#g">»san«</hi> drei, Berg, Herr, Geburt, Rechnen mit dem<lb/> Abacus etc. bedeuten und für die Silbe <hi rendition="#g">»sho«</hi> gibt es wenigstens<lb/> zwei Dutzend verschiedene chinesische Wurzelzeichen und Bedeutungen.</p><lb/> <p>Aus den erwähnten Gründen vermag ein Chinese den Japaner<lb/> und umgekehrt der Japaner den Chinesen nicht zu verstehen, wäh-<lb/> rend sich beide schriftlich sehr wohl unterhalten können <note place="foot" n="**)">Im Sommer 1875 lernte der Verfasser in Kiôto einen Amerikaner kennen,<lb/> welcher 20 Jahre in Shanghai im Dienste der Mission gewirkt und sich die chine-<lb/> sische Sprache gründlich angeeignet hatte. Mit dieser Kenntniss kam er nach<lb/> Japan und verständigte sich mit dem Wirthe vortrefflich durch die Schrift, ob-<lb/> gleich beide kein Wort der gesprochenen Rede von einander verstehen konnten.</note>. Dieses<lb/> so veränderte colloquial-chinesisch der Japaner pflegt man mit dem<lb/> Namen <hi rendition="#g">sinico-</hi> (sino-) <hi rendition="#g">japanisch</hi> zu bezeichnen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [460/0494]
II. Ethnographie.
sehr sie auch im mündlichen Verkehre, selbst des gemeinen Mannes,
mit einander verknüpft und verschmolzen werden, wahren in der
Schrift ihren ursprünglichen Charakter, insofern die Worte chinesi-
schen Ursprungs mit ihren alten Wurzelzeichen; die japanischen in
der Silbenschrift wiedergegeben werden. Die japanische Sprache ist
ein Mosaik aus chinesischen und indigenen Worten, kein Amalgam,
und hierdurch wieder vom Englischen wesentlich verschieden.
Zur Zeit, als mit der Philosophie von Kôshi und Môshi (Confucius
und Mencius), ganz besonders aber durch den Buddhismus die chine-
sische Sprache zu den Japanern gelangte und bei denselben mehr
und mehr in Uebung kam, besassen sie für ihre eigene alte Um-
gangssprache, das Yamato, noch keine Schriftzeichen, sondern ent-
nahmen solche erst — und zwar ein Silbenalphabet — um das Jahr
800 n. Chr. chinesischen Wortzeichen. Die chinesischen Wurzel-
zeichen sind dieselben geblieben, wie im Mutterlande, aber ihre
Aussprache *) hat unter dem Einflusse des wohlklingenden japanischen
Idioms eine gewaltige Umwandlung und Accommodation an letzteres
erfahren, dergestalt, dass die vielen Gutturaltöne der Chinesen ganz
und die nasalen Laute alle bis auf das finale n (ng) geschwunden
sind, ebenso die eigenartigen Intonierungen. Damit hat aber der
Japaner auch aufgehört, manche Begriffswörter, wie der Chinese,
durch die Aussprache zu unterscheiden und eine überraschende Menge
von Homonymen erhalten, deren verschiedener Sinn nur durch den
Zusammenhang und die Wortfolge, in einzelnen Fällen jedoch nur
aus den Schriftzeichen zu erkennen ist. So kann das phonetisch ge-
schriebene Wort »san« drei, Berg, Herr, Geburt, Rechnen mit dem
Abacus etc. bedeuten und für die Silbe »sho« gibt es wenigstens
zwei Dutzend verschiedene chinesische Wurzelzeichen und Bedeutungen.
Aus den erwähnten Gründen vermag ein Chinese den Japaner
und umgekehrt der Japaner den Chinesen nicht zu verstehen, wäh-
rend sich beide schriftlich sehr wohl unterhalten können **). Dieses
so veränderte colloquial-chinesisch der Japaner pflegt man mit dem
Namen sinico- (sino-) japanisch zu bezeichnen.
*) Diese japanische Lesart chinesischer Zeichen heisst Kan-on oder Jion, die
Uebertragung ins Yamato wird Yomi genannt. So liest der Japaner die chine-
sischen Zeichen für Himmel, Erde, Mensch »ten, chi, jin«, im Yomi aber »ame,
tsuchi, hito«.
**) Im Sommer 1875 lernte der Verfasser in Kiôto einen Amerikaner kennen,
welcher 20 Jahre in Shanghai im Dienste der Mission gewirkt und sich die chine-
sische Sprache gründlich angeeignet hatte. Mit dieser Kenntniss kam er nach
Japan und verständigte sich mit dem Wirthe vortrefflich durch die Schrift, ob-
gleich beide kein Wort der gesprochenen Rede von einander verstehen konnten.
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