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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.

Die Heirath war früher in Japan nur ein Civilcontract, um
welchen sich, wenigstens in den unteren Classen, Kirche und Staat
nicht kümmerten, während sie bei Kuge und Daimio nur mit Zu-
stimmung der Centralregierung in Yedo stattfinden durfte *). Gewöhn-
lich ging ihr eine feierliche Verlobung voraus, welche noch in höherem
Grade bindend war, wie eine solche heutzutage vor dem amerikani-
schen Gesetz erscheint. Ein von den Eltern des Bräutigams oder der
Braut betrauter Heirathsvermittler (nakodo) bewirkte eine Zusammen-
kunft oder mi-ai (von miru, sehen und a-u, passen) beider Familien
im Theater oder einem Theehause. Hatten so die jungen Leute sich
kennen gelernt und Neigung zu einander, so wurden Geschenke aus-
getauscht und damit die Verlobung besiegelt. Später folgte die
Ueberführung der Braut in das Haus des Bräutigams und damit der
Anfang der Ehe **).

An die Rolle, welche die japanische Frau in derselben spielt,
dürfen wir nicht den gewohnten Maassstab legen; denn es ist eine
der segensreichsten Wirkungen des Christenthums gewesen, der Frau
eine dem Manne ebenbürtige Erziehung und Stellung zu geben; nur
in der christlichen Ehe erhielt dieselbe das Recht, mit dem Manne
an einem Tische zu essen, alle Sorgen und Freuden des Lebens zu
theilen; nur in ihm erscheint dieselbe als gleichberechtigte Lebens-
gefährtin.

Weder Confucius noch Buddha weisen der Frau eine geachtete
Stellung an. Nach diesem hat sie keine Seele und kann nur wün-
schen, beim Wiedereintritt ins Leben als Mann zu erscheinen; nach
jenem hat sie nur Pflichten, keine Rechte. Diese sanjo (drei grossen
Pflichten), welche man auch in Japan nach der Staatsweisheit des
chinesischen Philosophen jeder Frau von Jugend auf einprägte, waren
und sind, wie bereits früher erwähnt wurde, Gehorsam dem Vater
(und der Mutter), dem Manne, dem ältesten Sohne, je nachdem sie
unverheirathet, Ehefrau oder Wittwe war. Der Mann hatte das Recht
über die Person und das Eigenthum seiner Frau, ihm war das Con-
cubinat gestattet, während er den Ehebruch seiner Frau mit dem
Tode bestrafen durfte. In sieben Fällen stand ihm das Recht der
Scheidung zu, das er einfach durch Zurücksendung seiner Ehehälfte

*) Ich folge hier im wesentlichen der schönen Abhandlung von Gebauer
über den Gegenstand im 13. Heft der Zeitschrift der deutschen ostasiatischen
Gesellschaft.
**) Der Mann musste 16, die Frau 13 Jahre alt sein, um heirathen zu können.
Niemand durfte ausser seinem Stande heirathen, der Samurai keine Heimin, der
Heimin keine Eta.
II. Ethnographie.

Die Heirath war früher in Japan nur ein Civilcontract, um
welchen sich, wenigstens in den unteren Classen, Kirche und Staat
nicht kümmerten, während sie bei Kuge und Daimio nur mit Zu-
stimmung der Centralregierung in Yedo stattfinden durfte *). Gewöhn-
lich ging ihr eine feierliche Verlobung voraus, welche noch in höherem
Grade bindend war, wie eine solche heutzutage vor dem amerikani-
schen Gesetz erscheint. Ein von den Eltern des Bräutigams oder der
Braut betrauter Heirathsvermittler (nakôdo) bewirkte eine Zusammen-
kunft oder mi-ai (von miru, sehen und a-u, passen) beider Familien
im Theater oder einem Theehause. Hatten so die jungen Leute sich
kennen gelernt und Neigung zu einander, so wurden Geschenke aus-
getauscht und damit die Verlobung besiegelt. Später folgte die
Ueberführung der Braut in das Haus des Bräutigams und damit der
Anfang der Ehe **).

An die Rolle, welche die japanische Frau in derselben spielt,
dürfen wir nicht den gewohnten Maassstab legen; denn es ist eine
der segensreichsten Wirkungen des Christenthums gewesen, der Frau
eine dem Manne ebenbürtige Erziehung und Stellung zu geben; nur
in der christlichen Ehe erhielt dieselbe das Recht, mit dem Manne
an einem Tische zu essen, alle Sorgen und Freuden des Lebens zu
theilen; nur in ihm erscheint dieselbe als gleichberechtigte Lebens-
gefährtin.

Weder Confucius noch Buddha weisen der Frau eine geachtete
Stellung an. Nach diesem hat sie keine Seele und kann nur wün-
schen, beim Wiedereintritt ins Leben als Mann zu erscheinen; nach
jenem hat sie nur Pflichten, keine Rechte. Diese sanjô (drei grossen
Pflichten), welche man auch in Japan nach der Staatsweisheit des
chinesischen Philosophen jeder Frau von Jugend auf einprägte, waren
und sind, wie bereits früher erwähnt wurde, Gehorsam dem Vater
(und der Mutter), dem Manne, dem ältesten Sohne, je nachdem sie
unverheirathet, Ehefrau oder Wittwe war. Der Mann hatte das Recht
über die Person und das Eigenthum seiner Frau, ihm war das Con-
cubinat gestattet, während er den Ehebruch seiner Frau mit dem
Tode bestrafen durfte. In sieben Fällen stand ihm das Recht der
Scheidung zu, das er einfach durch Zurücksendung seiner Ehehälfte

*) Ich folge hier im wesentlichen der schönen Abhandlung von Gebauer
über den Gegenstand im 13. Heft der Zeitschrift der deutschen ostasiatischen
Gesellschaft.
**) Der Mann musste 16, die Frau 13 Jahre alt sein, um heirathen zu können.
Niemand durfte ausser seinem Stande heirathen, der Samurai keine Heimin, der
Heimin keine Eta.
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[492/0526] II. Ethnographie. Die Heirath war früher in Japan nur ein Civilcontract, um welchen sich, wenigstens in den unteren Classen, Kirche und Staat nicht kümmerten, während sie bei Kuge und Daimio nur mit Zu- stimmung der Centralregierung in Yedo stattfinden durfte *). Gewöhn- lich ging ihr eine feierliche Verlobung voraus, welche noch in höherem Grade bindend war, wie eine solche heutzutage vor dem amerikani- schen Gesetz erscheint. Ein von den Eltern des Bräutigams oder der Braut betrauter Heirathsvermittler (nakôdo) bewirkte eine Zusammen- kunft oder mi-ai (von miru, sehen und a-u, passen) beider Familien im Theater oder einem Theehause. Hatten so die jungen Leute sich kennen gelernt und Neigung zu einander, so wurden Geschenke aus- getauscht und damit die Verlobung besiegelt. Später folgte die Ueberführung der Braut in das Haus des Bräutigams und damit der Anfang der Ehe **). An die Rolle, welche die japanische Frau in derselben spielt, dürfen wir nicht den gewohnten Maassstab legen; denn es ist eine der segensreichsten Wirkungen des Christenthums gewesen, der Frau eine dem Manne ebenbürtige Erziehung und Stellung zu geben; nur in der christlichen Ehe erhielt dieselbe das Recht, mit dem Manne an einem Tische zu essen, alle Sorgen und Freuden des Lebens zu theilen; nur in ihm erscheint dieselbe als gleichberechtigte Lebens- gefährtin. Weder Confucius noch Buddha weisen der Frau eine geachtete Stellung an. Nach diesem hat sie keine Seele und kann nur wün- schen, beim Wiedereintritt ins Leben als Mann zu erscheinen; nach jenem hat sie nur Pflichten, keine Rechte. Diese sanjô (drei grossen Pflichten), welche man auch in Japan nach der Staatsweisheit des chinesischen Philosophen jeder Frau von Jugend auf einprägte, waren und sind, wie bereits früher erwähnt wurde, Gehorsam dem Vater (und der Mutter), dem Manne, dem ältesten Sohne, je nachdem sie unverheirathet, Ehefrau oder Wittwe war. Der Mann hatte das Recht über die Person und das Eigenthum seiner Frau, ihm war das Con- cubinat gestattet, während er den Ehebruch seiner Frau mit dem Tode bestrafen durfte. In sieben Fällen stand ihm das Recht der Scheidung zu, das er einfach durch Zurücksendung seiner Ehehälfte *) Ich folge hier im wesentlichen der schönen Abhandlung von Gebauer über den Gegenstand im 13. Heft der Zeitschrift der deutschen ostasiatischen Gesellschaft. **) Der Mann musste 16, die Frau 13 Jahre alt sein, um heirathen zu können. Niemand durfte ausser seinem Stande heirathen, der Samurai keine Heimin, der Heimin keine Eta.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/526>, abgerufen am 22.11.2024.